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"Kunden lieben es zu konsolidieren"

13.09.2001
IBMs Server-Topmanager Bill Zeitler sprach mit der Computerwoche exklusiv über die Hard- und Softwarezukunft und die Rolle von Linux im Betriebssystem-Portfolio.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit Bill Zeitler, Senior Vice President und Chef von Big Blues Server Group, sprach in den IBM-Labors in Böblingen CW-Redakteurin Kriemhilde Klippstätter.

CW: Derzeit wird darüber spekuliert, ob IBM mittelfristig das hauseigene Unix-Derivat AIX durch Linux ersetzen wird.

ZEITLER: Lassen Sie mich dazu ein wenig weiter ausholen. Vor zwei Jahren haben wir mit angefangen, IBMs Position im Servermarkt kritisch zu durchleuchten. Der Grund war, dass wir damals Jahr für Jahr Marktanteile verloren. Uns war klar, dass das E-Business für uns eine enorme Chance bedeutete, da wir dafür die Infrastruktur liefern konnten. Unsere Untersuchungen erbrachten, dass es im E-Commerce verschiedene Arten von Workload gibt, welche die Infrastruktur bedienen muss. Wir beschlossen, unsere Server für die unterschiedlichen Anforderungen, also eher transaktions- oder applikationsorientierte Belastungen, zu optimieren. Als ich vor einem Jahr die Verantwortung für das Servergeschäft von Samuel Palmisano übernahm, gingen wir mit unserer neuen Serverstrategie "E-Server" an die Öffentlichkeit.

CW: Vordergründig bestand diese Strategie darin, dass alle Serverreihen neue Namen bekamen, die sich anfangs keiner merken konnte.

ZEITLER: Die Idee dahinter war, alle Techniken aus den Labors für Halbleiter, Mainframes oder Supercomputing für jede Serverfamilie, sprich die unterschiedlichen Workload-Bedürfnisse, zur Verfügung zu stellen. Der zweite Schritt war das, was wir "application flexibility" nannten ...

CW: ... Was verbirgt sich dahinter?

ZEITLER: Uns war klar, dass die Techniken der Open-Source-Bewegung wie Linux, Apache oder XML die Art und Weise, wie Anwendungsprogramme entwickelt und verbreitet werden, drastisch verändern. Deshalb setzten wir uns zum Ziel, auf allen Plattformen eine exzellente Entwicklungsumgebungen für jede der neuen Techniken anzubieten. Zudem wollten wir flexibel genug sein, um diese Applikationen auch auf AIX, OS/400 und OS/390 ablaufen lassen zu können. Damit konnten wir unseren Kunden Investitionsschutz für die bereits getätigten Ausgaben bieten, ohne sie daran zu hindern, die Vorteile der neuen Techniken zu nutzen. Was bislang noch fehlt, sind Werkzeuge, damit sich diese sehr komplexen Umgebungen auch verwalten lassen. Das soll die "eLiza"-Initiative leisten.

CW: Wie sieht die neue Serverstrategie nun technisch betrachtet aus?

ZEITLER: Als wir vor fast genau einem Jahr die neuen Mainframes und das Z/OS-Betriebssystem vorstellten, kündigten wir auch an, dass wir Dinge, die zuvor nur für Großrechner verfügbar waren, etwa logische Partitionierung, Workload-Management oder der Hypervisor-Layer, auch für die andere Serverfamilien nutzen wollen. Als Erste kam die i-Series in den Genuss der ehemaligen Mainframe-Technik. Der Grundgedanke ist genau der Gleiche wie beim Mainframe, nämlich Linux in verschiedenen Partitionen der iSeries-Server laufen zu lassen.

CW: Was ist mit AIX?

ZEITLER: In der AIX-Welt passiert zweierlei: Mit AIX-L schufen wir eine sehr enge Verwandtschaft zu Linux. Prinzipiell können Sie jede Applikation nativ, ohne sie zu ändern, von Linux auf AIX-L bringen. Zweitens werden wir auf den neuen pServern mit dem Codenamen Regatta Hypervisors einrichten, dank derer man Partitionen für Linux oder AIX einrichten kann.

CW: Das funktioniert wie bei der iSeries und OS/400?

ZEITLER: Prinzipiell ja, nur mit dem Unterschied, dass wir zusätzlich eine möglichst nahe Verwandtschaft zwischen AIX und Linux erreichen wollen. Wir können der Open-Source-Gemeinde viele Funktionalitäten aus AIX zur Verfügung stellen, die helfen, dass Linux erwachsener wird.

CW: Also geht die Marschrichtung doch in Richtung Linux.

ZEITLER: Linux ist sehr stark bei Ein- und Zwei-Wege-Servern, und AIX ist ideal für 24- bis 32-Prozessor-Systeme. Wir sehen, dass Linux sich verbessert, aber wie sehen auch, dass der Bedarf an einem stärkeren AIX vorhanden ist.

CW: Wie sehen die Verbesserungen für Linux aus, die IBM aus dem AIX-Betriebssystem zur Verfügung stellen könnte?

ZEITLER: Beispielsweise das Journaling-File-System für die Cluster-Fähigkeiten. Die National Science Foundation, die kürzlich den Grid-Computing-Preis vergaben, fand unser Angebot sehr attraktiv, einige der Cluster-Management-Funktionen, die wir unter AIX laufen lassen, auch für Linux bereitzustellen.

CW: Wie viel Energie steckt IBM noch in die Entwicklung von AIX?

ZEITLER: Die Ressourcen dafür steigen von Jahr zu Jahr. Wir steigern unsere AIX-Entwicklung immer noch.

CW: Also keine Ablösung von OS/400 oder AIX durch Linux?

ZEITLER: Als wir vor zwei Jahren erklärten, Linux auf den Mainframe zu bringen - die Entwicklungsarbeit erfolgte übrigens hier in Böblingen -, malten manche Analysten das Ende des Großrechners an die Wand. Das Gegenteil trat ein: Die zSeries erfuhr gerade dadurch eine erhebliche Belebung. Das Gleiche gilt für iSeries, und das wird auch bei den neuen Modellen der pSeries eintreten. Kunden lieben es zu konsolidieren.

CW: Die Strategie heißt also Integration von alten und neuen Applikationen?

ZEITLER: Ja, das macht für die Kunden Sinn.

CW: Sie schaffen sich damit natürlich eine zusätzliche Betriebssystemplattform, die Sie pflegen und unterstützen müssen.

ZEITLER: Aber ich habe 250.000 Kunden mit 700.000 Systemen, die das lieben.

CW: Werden wir diese Funktionen auch auf den Intel-Servern sehen?

ZEITLER: Mit dem 32-Bit-"Foster"- und dem 64-Bit-"McKinley"-Chip von Intel wird man Acht-, 16- und 32-Wege-Systeme fertigen können. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Highend-Skalier- und System-Management-Techniken auch für das Intel-Segment benötigen. Wir kontrollieren zwar nicht das Betriebssystem, aber wir können beispielsweise mit Hypervisor-Middleware die Server so unterteilen, dass sie auf einem System verschiedene Betriebssysteme vertragen.

CW: Haben Sie AIX auf die Intel-Prozessoren portiert?

ZEITLER: Wir haben auf die 32-Bit-Plattform portiert. Unsere Strategie ist, für die 64-Bit-Plattform Linux als Betriebssystem zu verwenden.

CW: Wie beurteilen Sie Compaqs Entscheidung, die Alpha-Entwicklung zugunsten Intel nicht weiter zu forcieren?

ZEITLER: Es ist generell sehr kostspielig, Highend-Prozessorplattformen zu pflegen.

CW: So wie IBM die Power-Architektur?

ZEITLER: Wir haben mit IBM Microelectronics die Möglichkeit, unsere Prozessoren an andere Firmen zu verkaufen und im Embedded-Markt Geld zu verdienen. Das kann außer Intel niemand. Es gibt ja auch immer weniger Anbieter von Prozessoren.

CW: Das bedeutet, dass IBM die Power-Architektur in jedem Fall beibehalten will?

ZEITLER: Absolut. Wir verwenden diese Chips ja nicht nur für die i- und die pSeries, sondern eben auch für kundenspezifische Asics.

CW: Der Power-4-Prozessor kommt zuerst für die pSeries?

ZEITLER: Ja, der entsprechende Chip für die iSeries folgt ein paar Monate später.

CW: Erwarten Sie, dass Intel-Server zum Commodity-Produkt werden, die man an jeder Ecke kaufen kann?

ZEITLER: Ich glaube, dass sich der Intel-Markt in zwei Segmente aufspaltet. Der Bereich am unteren Leistungsende, also die Ein- und Zwei-Wege-Maschinen, werden große Händler, Distributoren oder Internet-Shops anbieten. Aber die großen SMP-Systeme, auf denen die gleiche Software läuft wie auf Risc- und Unix-Maschinen, werden über diesen Fachhandel und die VARs verkauft werden. Wir haben kürzlich sogar unsere Vertriebsorganisation dahingehend geändert und den Bereich für Intel-Server aufgeteilt.

CW: Sie haben vorhin das Grid-Computing angesprochen, bei dem ja sehr viele Intel-Server unter Linux zusammengeschaltet werden.

ZEITLER: Ja, das sind sehr komplexe Installationen, die kann man nicht von der Stange beziehen. In diesem Bereich streben wir eine Führungsrolle an. Grid-Computing ist übrigens auch ein Beweis dafür, wie sehr die Open-Source-Bewegung das Computern verändert.