Warum Unternehmen sich ändern müssen

Kunden an der Macht

14.04.2014
Von 
Klemens Skibicki ist Wirtschaftshistoriker und Mitgründer der Unternehmensberatung Brain Injection.

Beispiel Allianz Versicherung

So berichtet beispielsweise die Allianz AG auf Facebook im Zusammenhang mit Kunden aus der Filmbranche weniger von sich als tollem Versicherer. Sie malt zum Start des jüngsten James-Bond-Films aus, wie viele Autos bei den Dreharbeiten "geschrottet" wurden. Das interessiert viele - und die Allianz liefert die Hintergrundinformationen, die sie als Versicherer besitzt.

Kritiker fragen oft, was solche Aktionen bringen. Die Antwort ist einfach: Empfehlungen zwischen Menschen haben einen weit höheren Einfluss als alles, was althergebrachte Medien oder PR-Abteilungen liefern können. Die Erwähnung von Marken funktioniert im Social Web so wie im Partygespräch. Andererseits entfaltet auch Kritik eine ungeheure Kraft. Selbst eine massive Erhöhung der Werbeausgaben wird kaum helfen, gegen die öffentliche Meinung im Social Web anzukämpfen.

In Zeiten solch fundamentalen Wandels haben Unternehmen ein Problem: Etablierte und einstudierte Muster und Metriken der Kundenkommunikation in der "alten Welt" helfen im Social Web nicht weiter. Früher ließen sich Reaktionen der Konsumenten in Umfragen, Telefonaten oder Live-Treffen erheben. Zwar waren die Kosten hoch, doch die Risiken blieben überschaubar. Heute sind Reaktionen von Konsumenten im Social Web für jedermann sichtbar und nachvollziehbar. Gleichzeitig können Kunden unmittelbar nachfragen - ein Umstand, auf den sich Unternehmen vorbereiten müssen.

Die Marktmachtverschiebung zum Konsumenten bringt also massive Herausforderungen mit sich. Unternehmen müssen ihre Prozesse entlang der Wertschöpfungskette umgestalten: weg von einseitiger, zentraler Push-Kommunikation und hin zum lebendigen Dialog mit dem Kunden - in welchem Netz auch immer er sich aufhält.

Monitoring-Systeme erlauben mittlerweile, die Diskussionen im Social Web auszuwerten. Unternehmen, die das tun und sich aktiv in die öffentlichen Gespräche einschalten, können bessere Entscheidungen treffen. Musste früher viel Geld für Marktforschung und Kommunikationssteuerung in die Hand genommen werden, um den Kunden mit seinen Bedürfnissen zu verstehen, bieten soziale Medien nun ganz neue Chancen: Richtig genutzt, helfen sie der Produktentwicklung, dem Marketing, dem Kundenservice und der PR, näher am Kunden zu sein und sich mit ihm auszutauschen.

Telekom und Bahn

In Deutschland gehörten die Telekom und die Deutsche Bahn zu den ersten Unternehmen, die auf Twitter und Facebook in den Dialog mit ihren Kunden traten. Beide Konzerne legten Wert darauf, die Auswirkungen dieses neuen Engagements auf die gesamte Wertschöpfungskette zu analysieren und nicht nur auf den "Business-Case Kundenservice". So zeigten sich auch die positiven Einflüsse auf die PR-Arbeit, die Markenwahrnehmung und die langfristige Kundenbindung.

Coca-Cola

Coca-Cola machte in diesem Jahr mit einer Marketing-Kampagne zur Kundenbindung von sich reden: Das Unternehmen ließ Vornamen auf die Markenetiketten drucken. Prompt kauften Kunden Flaschen mit ihren Namen in den Supermarktregalen, fotografierten diese und posteten sie in den sozialen Netzwerken. Coke kam auf diese Weise als Marke millionenfach in die Newsfeeds auf Facebook & Co. - kostenlos.

Dell

Dell richtete bereits vor Jahren mehrere "Listening & Command Center" ein. Sie erfassten mit MonitoringDiensten weltweit die rund 27.000 Erwähnungen von Dell im Social Web, werteten sie aus und leiteten sie umgehend an verschiedene Entscheider in der Wertschöpfungskette weiter. Besonders wichtige Trends laufen bei einem "Chief Listening Officer" zusammen. Dieser hat die Befugnis, Entscheidungen für die Entwicklung von Produkten auf der Basis der Social-Web-Auswertungen zu verändern, die vorher allein von der Entwicklungsabteilung getroffen wurden.

Malerbetrieb Heyse

Der kleine Malerbetrieb Heyse bei Hannover startete 2011 mit ersten Aktivitäten im Social Web. Heute steht er, ausgehend von einem zentralen Blog, auf allen gängigen Plattformen wie Facebook, Xing, Google+, Twitter, Instagram, Pinterest etc. für Dialoge zur Verfügung. Dort versorgt er seine Follower mit Geschichten aus dem Alltagsleben der rund 20 Mitarbeiter. Der Eigentümer Matthias Schultze beziffert den täglichen Zeitaufwand hierfür auf rund vier Stunden. Dem steht aber ein zusätzlicher Umsatz durch direkte Akquisition oder Empfehlungen im Social Web von 360.000 Euro im Jahr 2012 gegenüber - Tendenz 2013 stark steigend. (mhr)