Künstliche Intelligenz ist nicht Sciencefiction

08.01.1982

Ernstzunehmende Zweifel am Wert des Fachgebietes "Künstliche Intelligenz" werden heute nicht mehr geäußert. Aber ein Postulat der "Künstlichen Intelligenz" - man muß zum Entwurf und zur Implementation zukunftsweisender Kommunikationstechnologien tief in die Sprachwissenschaft und die kognitive Psychologie ausholen - dieses Postulat hat durch den Forschungspreis* ein sichtbares Ausrufungszeichen erhalten. Beachtenswert ist die Entscheidung des Kuratoriums der SEL-Stiftung besonders deshalb, weil der Hintergrund doch eher "harte" Kommunikationstechnologien sind, die entscheidenden Forschungsimpulse der "Künstlichen Intelligenz" aber, salopp gesprochen, noch softer als Software sind.

Das Gebiet "Künstliche Intelligenz" ist im Bewußtsein der Öffentlichkeit diffus in den Bereich zwischen Zukunftsforschung und Science Fiction geraten; in den Wissenschaften dagegen entstehen Probleme der Zuordnung.

Hier kurz einige Charakteristika des Faches: Die Forschung über "Künstliche Intelligenz" hat das Ziel, solche Informationsverarbeitungsprozesse, die in hohem Maße natürliche Intelligenzleistungen voraussetzen, zu untersuchen und mit Hilfe von Computerprogrammen nachzubilden, das heißt zu simulieren. Sie bedient sich dabei der Methoden und Erkenntnisse der Fachgebiete: Informatik, Linguistik und Psychologie. Die vier Hauptgegenstände der Forschung sind: Automatisches Beweisen, flexible Handhabungssysteme (Roboter), Szenenanalyse und Sprachfähigkeit.

Zu jedem dieser Gebiete sind zwei Sätze zu sagen: Im ersten Gebiet geht es um das automatische Auffinden von komplizierten Beweisen aus Voraussetzungen mit Hilfe logischer Regeln, zielgerichteter Strategien und durch Hintergrundwissen.

Flexible Handhabungssysteme sollen durch Implementierung intelligenter Reaktionsmöglichkeiten universeller einsetzbar werden und durch Anwendung von wissensbasierten Problemlösungsverfahren auch unvorhergesehenen Situationen taktil und motorisch gewachsen sein.

Szenenanalysesysteme simulieren die Intelligenz, die Menschen beim visuellen Wahrnehmen komplexer, oft sogar bewegter Sachverhalte anwenden, um Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden oder ganzheitliche Formen zu identifizieren.

Die Simulation der sprachlichen Intelligenzleistungen schließlich ist unser Forschungsgebiet.

Wir haben nun ein Experimentalsystem, die Laborversion eines Systems, entwickelt, das exemplarisch mit Fähigkeiten des Sprachverstehens, der Spracherzeugung und damit zusammenhängenden kognitiven Fähigkeiten ausgestattet ist. Dieses System heißt "Hamburger Redepartnermodell", abgekürzt: HAM-RPM. Damit kann man über Bildschirm und Tastatur relativ natürliche Dialoge über eingeschränkte Sachverhalte führen.

Zwei Aspekte unserer Forschungstätigkeit möchte ich zum Abschluß berühren:

Die Betriebsmittelariforderungen für unsere Experimentalsysteme sind enorm hoch und die benötigte Grundsoftware, zum Beispiel die Very-high-level-Programmiersprachen sind zur Zeit auf kommerziellen Rechnern nicht erhältlich.

Dennoch ist der Weg, so glauben wir, der richtige. Die Bebiebsmittel werden billiger und schon jetzt könnten konzeptionelle Gedanken solcher "Künstliche-Intelligenz-Systeme" übernommen werden oder weniger aufwendige bewährte Details aus lauffähigen Systemen in die Praxis gehen; Systeme, von denen in den USA die ersten bereits in der Praxiserprobung stehen.

Drei Argumente sprechen meines Erachtens eindeutig für die Systeme der Künstlichen Intelligenz.

-Sie ermöglichen eine extrem benutzernahe Mensch-Maschine-Schnittstelle; mit anderen Worten: Unsere Argumentations- und Kommunikationsgewohnheiten können wir bei der Mensch-Maschine-Kommunikation beibehalten und die überragenden Vorteile von natürlichen Sprachen (zum Beispiel Vagheit, Kürzbarkeit) nutzen.

-Nur KI-Systeme (Abkürzung für Künstliche Intelligenz) können mit Erklärungsfähigkeiten ausgestattet werden, so daß der Benutzer das System nach dem Zustandekommen von Antworten oder einer Begründung der Antwort fragen kann.

-Bei der Mensch-Maschine-Kommunikation mit "normaler" Sprache, gibt es keine technischen, sondern nur rechtliche oder moralische Zugangsschwellen zum Beispiel zu Datenbanken. Das heißt, wer das Recht hat und wer es auch will, der hat Zugriff auf die Ressourcen, nicht nur, wer es kann, oder wer jemanden zur Verfügung hat, der es kann (einen Informationsmittler).

Ein Aspekt, den ich kurz streifen will, ist der der Gefahren solcher intelligenter Systeme.

Ich bin der Meinung, daß die Computertechnik uns in den letzten Jahren intensiv darauf hingestoßen hat, über Wollen und Wünschen nachzudenken. Denn die Erfüllung mancher Wünsche auf Gebieten, die pauschal mit "Sozialtechnologie" umrissen werden, ist gar nicht mehr so schwierig.

Entsprechendes gilt hier: KI-Systeme sind auf Gebieten des instrumentellen und zweckrationalen Handelns eine ga entscheidende Hilfe und zum Beispiel als Expertensysteme wesentliche Bedingung vernünftigen Fortschritts. Überall da aber, wo partnerschaftliches, privates, sozial determiniertes Handeln die Menschen bestimmt, haben sich schon jetzt KI-Systeme disqualifiziert. Auch vorher schon waren Qualitäten wie "nachbarschaftlich", "verpflichtet", "begeisternd" oder ähnliches nicht instrumentell verfügbar und, werden es auch bleiben. Wir müssen diese menschlichen sozialen Bereiche aber auch, ganz unabhängig von intelligenten Computern, vor zweckrationalen und instrumentellen Denkkategorien bewahren wollen.

* Anläßlich der Verleihung des Forschungspreises der Standard Elektrik Lorenz Aktiengesellschaft 1981 für Technische Kommunikation hat Preisträger Professor Dr. Walther von Hahn den oben abgedruckten Vortrag gehalten; hier ist eine gekürzte Fassung wiedergegeben.