Reality Check

Künstliche Intelligenz – die Flitterwochen sind vorbei

08.02.2018
Von 
Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
2018 wird das Jahr der Wahrheit für die Künstliche Intelligenz. Viele Unternehmen werden Projekte anstoßen und feststellen, dass ein Erfolg keineswegs garantiert ist.

"Die Flitterwochen für AI (Artificial Intelligence) sind vorbei", schreibt das Marktforschungs- und Beratungshaus Forrester in einem Bericht über die kommerziellen Perspektiven der Künstlichen Intelligenz (KI). Jetzt treffen die vielen Hoffnungen und Versprechen rund um die Potenziale der Künstlichen Intelligenz auf die Realität in den Unternehmen. Diese müssten sich mit veränderten Prozessen und neuen Rollenbildern auf den Wandel einstellen.

Viele Unternehmen tun sich noch schwer damit, den wirtschaftlichen Nutzen ihrer KI-Projekte nachzuweisen.
Viele Unternehmen tun sich noch schwer damit, den wirtschaftlichen Nutzen ihrer KI-Projekte nachzuweisen.
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

Der Anteil der Firmen, die in KI investieren, ist 2017 im Vergleich zum Vorjahr von 40 auf 51 Prozent gestiegen, berichtet Forrester unter Berufung auf eine internationale Befragung. Allerdings hätten 55 Prozent bislang keine messbaren wirtschaftlichen Vorteile daraus ziehen können. 43 Prozent gaben an, es sei noch zu früh, um darüber Auskunft zu geben. Künstliche Intelligenz sei kein Selbstläufer, folgern die Analysten daraus. Wenn Unternehmen es versäumten, einschlägige Initiativen gründlich zu planen, umzusetzen und zu überwachen, werde der Nutzen bestenfalls mager ausfallen. Im Worst Case könnten sich sogar negative Effekte ergeben.

Entscheider sähen in KI-Technologien heute in erster Linie ein Instrument, um aus ihren Analytics- und Big-Data-Initiativen mehr herauszuholen, beobachtet Forrester. Dabei komme es entscheidend darauf, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine zu verbessern. Für 2018 formulieren die Analysten dazu Prognosen und geben Empfehlungen, wie sich Unternehmen darauf einstellen sollten.

Prognose 1: Ein Viertel der Unternehmen wird klassische Analytics-Anwendungen mit Sprachschnittstellen ausstatten.

Vielen Organisationen fehle es in Sachen datengetriebene Entscheidungen an Know-how und an Selbstbedienungsfunktionen, so die Analysten. Vor allem Anwender aus Fachabteilungen wünschten sich Systeme, denen sie einfach eine Frage stellen können. Die Anbieter von Business-Intelligence-Lösungen reagieren darauf, indem sie Natural Language Processing (NLP) und Natural Language Generation (NLG) in ihre Produkte einbauen. Damit werden Datenabfragen per Sprache möglich, ebenso die Ausgabe von visualisierten Ergebnissen in Echtzeit. Rund 140.000 Unternehmen weltweit nutzen laut Forrester bereits derartige Plattformen und seien dabei, solche "Natural Conversational Interfaces" in ihre Analytics-Anwendungen zu integrieren.

Empfehlung für CIOs: Achten Sie auf Datenqualität und Datenpflege. Die berüchtigte Regel "Garbage-in - Garbage-out" gelte auch im Zeitalter der intuitiv bedienbaren Business-Anwendungen, warnen die Analysten. Entscheider sollten sich an diesem Punkt nicht von Versprechen der IT-Anbieter blenden lassen: Intuitive Mensch-Maschine-Schnittstellen seien zwar nützlich; sie entbänden Unternehmen aber nicht von der komplexen Aufgabe, die Datenqualität- und pflege sicherzustellen und ein Metadaten-Management aufzusetzen. Anders formuliert: Die beste Usability nützt wenig, wenn die Datenqualität nicht stimmt.

Prognose 2: In 20 Prozent der Unternehmen wird Künstliche Intelligenz selbständig Entscheidungen treffen und Echtzeitempfehlungen geben.

70 Prozent der von Forrester befragten Unternehmen wollen im laufenden Jahr KI-Technologien einsetzen. Als wichtigsten Einsatzbereich nennen sie das "Decision Management", sprich: Intelligente Maschinen sollen künftig selbständig Entscheidungen treffen. So wollen 20 Prozent der Befragten bereits 2018 KI-Systeme dazu nutzen, geschäftliche Entscheidungen zu treffen sowie Mitarbeitern und Kunden Handlungsempfehlungen zu geben. Solche Systeme könnten etwa vorschlagen, was einem Kunden angeboten wird, welche Konditionen ein Zulieferer erhält und was Mitarbeiter im Kundendialog sagen und tun sollen - das alles idealerweise in Echtzeit. Datengetriebene Entscheidungen ließen sich auf diese Weise dramatisch skalieren, argumentiert Forrester.

Empfehlung für CIOs:Unternehmen sollten genau prüfen, wo eine KI-gestützte Entscheidungsfindung am besten helfen kann, raten die Experten. Andernfalls könnten Sie schnell gegenüber Konkurrenten in Rückstand geraten. Längst nicht alle vorhandenen Systeme eigneten sich für eine Automatisierung mit Hilfe von KI-Techniken wie Machine Learning. Eher schwierige Kandidaten sieht Forrester etwa in vielen SaaS-Apps wie beispielsweise Google Sheets. Solche Anwendungen erhielten in der Regel viele Updates, mit denen AI-Bots derzeit noch schlecht zurechtkämen.

Prognose 3: KI eliminiert die Grenzen zwischen strukturierten und unstrukturierten Daten

Viele Unternehmen sitzen auf einem Berg von unstrukturierten Daten, die sie bislang kaum nutzen. Die Anzahl der Organisationen, die mehr als 100 Terabyte unstrukturierte Daten vorhalten, hat sich laut Forrester 2017 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Weil klassische Textanalyse-Plattformen extrem komplex seien, hätten bisher nur 32 Prozent der Befragten solche Daten erfolgreich analysiert. Noch geringer fällt der Anteil bei anderen unstrukturierten Informationen aus. Neue Deep-Learning-Methoden erlaubten mittlerweile aber eine genauere und skalierbare Analyse und dürften zu erheblichen Verbesserungen führen, erwarten die Marktforscher.

Empfehlung für CIOs: Experimentieren Sie mit den neuesten Technologien. Analysieren Sie strukturierte und unstrukturierte Daten gleichermaßen mit modernen Software-Tools wie Attivio und Cambridge Semantics, rät Forrester. Ein Grund für die lange Zeit sehr komplexe Analyse war, dass Experten KI-Systeme aufwändig mit domänenspezifischen Ontologien beispielsweise für den Gesundheitssektor trainieren mussten. Heute gebe es Alternativen: Spezialanbieter wie Digital Reasoning, Expert Systems und Stratifyd ermöglichten die Analyse unstrukturierter Daten mit Hilfe neuronaler Netzwerke und unbeaufsichtigtem Lernen.