New Work City

Künftig höchstens 15 Minuten zur Arbeit

11.08.2021
Von  und
Fredericke Fricke ist Projektassistentin bei Black Box Open
Dr. Colin Roth ist Geschäftsführer und Inhaber der Nürnberger Unternehmensberatung Black Box Open
Wenn New Work für den gesamten Arbeitsalltag gedacht wird, müssen Stadt und Land mit einbezogen werden, Begegnungen und kurze Entfernungen sollten das Ziel sein.
Wissenschaftler und Praktiker sind dabei, neue Konzepte zu erarbeiten, wie sich Lernen, Arbeiten und Leben am besten gestalten lassen.
Wissenschaftler und Praktiker sind dabei, neue Konzepte zu erarbeiten, wie sich Lernen, Arbeiten und Leben am besten gestalten lassen.
Foto: G-Stock Studio - shutterstock.com

"New Work City" steht für die urbane Arbeitswelt der Zukunft. Langes Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz gehören der Vergangenheit an. Diese Vision verfolgt beispielsweise auch die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, laut der kein wichtiger Weg, ob zur Arbeit, zum Friseur oder zum Sport länger als 15 Minuten dauern sollte. Flexible Arbeitsformen wie mobiles Arbeiten und Home-Office erhielten durch die Pandemie starken Rückenwind und sind zum Arbeitsalltag geworden.

Wie aber können wir künftig virtuelle, hybride und Live-Zusammenarbeit effektiv gestalten? Was müssen wir bei der Städteplanung beachten, sobald wir den Arbeitsort flexibler gestalten und häufiger wechseln? Eine Antwort auf diese Fragen könnte beispielsweise der "dritte Ort" sein.

Innovationen für alle zugänglich

Immer häufiger wird die Stadt als Begegnungs- und Erlebnisraum aufgefasst und in den Fokus von New Work gerückt. Wenn wir Arbeitsorte nicht binär in Büro und Home-Office denken, sondern potenziell die ganze Welt als mobilen Arbeitsplatz in Betracht ziehen, müssen wir uns auch über die Stadtgestaltung entsprechende Gedanken machen.

Benedikt Hoeckmayr zum Beispiel ist überzeugt, dass die Stadt dann ein attraktiver Ort wird, wenn sie Innovation und Co-Kreation ermöglicht. Er bietet als Wirtschaftsinformatiker und CEO des Josephs Innovationslabors eine Fläche für Unternehmen, um ihre Innovationen für die breite Bevölkerung zugänglich zu präsentieren und weiterzuentwickeln. "Man muss Menschen an Veränderungen teilhaben lassen und das nicht durch viele E-Mails, sondern Menschen sollen bei uns Innovation live mit Freunden und Familie erleben können", so Hoeckmayr.

Stadt neu denken

Je nachdem, wen man fragt, was Menschen sich in der Stadt wünschen, erhält man ganz unterschiedliche Antworten. Der Einzelhandel plädiert für mehr Geschäfte, die Außenwerbung für mehr Kultur und einige Unternehmen vielleicht für mehr Grünflächen und Parkplätze. Joachim Hasebrook, Leiter des Lehrstuhls für Human Capital Management an der Steinbeis-Hochschule Berlin, hat mit seinem Team hingegen in einer Interview-Studie die Bevölkerung nach ihren Wünschen gefragt. Und die häufigste Antwort lautete: Menschen wünschen sich Menschen.

"Gerade aufgrund der Pandemie sehnen sich Menschen noch vielmehr als zuvor nach einem inszenierten Raum für Begegnungen wie Konzerte, Stadtfeste, ein Publikum, in dem man sich selbst und andere erleben kann. "Die Stadt ist kein Ort, wo sich eine Reihe von Geschäften versammelt hat, sondern die Stadt ist ein Ort, wo man sich begegnet", so Professor Hasebrook.

Sven Laumer, Friedrich-Alexander Universität Erlangen Nürnberg: "Damit ein Team gut funktioniert, sollte es sich wenigstens einmal real treffen und sich kennenlernen."
Sven Laumer, Friedrich-Alexander Universität Erlangen Nürnberg: "Damit ein Team gut funktioniert, sollte es sich wenigstens einmal real treffen und sich kennenlernen."

Ganz oben auf der Wunschliste der befragten Menschen der Sehnsuchtsstudie stehen außerdem individuelle, charakteristische Geschäfte, die Erleben und Überraschung ermöglichen. Außerdem auch das Antreffen einer heterogenen Bevölkerung. Man möchte nicht in seinem Milieu versumpfen, sondern Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und beruflichen Hintergründen, diversen Alters begegnen können.

"Es braucht keinen großen Aufwand oder den kompletten Umbau von Städten, sondern gezielte Maßnahmen wie Begrünung und Sitzmöglichkeiten, um die Menschen wieder in die Stadt zu bringen", so der Berliner Wissenschaftler. Die Stadt müsse wandelbar sein, immer wieder neue Erlebnisse schaffen - das mache eine Stadt von heute aus.

Brücke zwischen Wirtschaft und Gesellschaft

New-Work-Pionier Bernd Fels beschäftigt sich als Volkswirt, Berater und Gründer intensiv mit der Multifunktionalität von städtischen Gebäuden und der Schaffung von Work-Community-Hubs. Anhand des Projekts von "spaces4future" in Braunschweig, zeigt er, wie durch das Aufbrechen von Sektoren und Gewerbegebieten mehr Flexibilität und Diversität im Arbeitsalltag geschaffen werden kann.

Denn hier liegt die Brücke zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, zwischen Stadt und Arbeit. Die komplexe Zukunft wird durch die bereichsübergreifende Vernetzung bestritten. Nach dem Leitsatz "Nicht nur reden, sondern auch mal tun" haben die Workplace-Visionäre Michael Schmutzer und Sabine Sauber ein Paradebeispiel mit "Neue Höfe" in Neuhof an der Zenn geschaffen. Hier waren zum Beispiel Ende Juni 2021 renommierte Expertinnen und Experten mit interessanten Vorträgen zur CoCreation Expo #21 von BlackBox Open geladen.

Neue Regeln der virtuellen Kommunikation

Bei virtuellen Begegnungen gilt es, einige Regeln zu beachten, um das Miteinander effektiv zu gestalten. Steven Rogelberg, Organisationspsychologe und Chancellor's Professor an der Universität North Carolina, präsentierte hierzu die Forschungsergebnisse seines Buchs "The Surprising Science of Meetings" und betonte, dass, wenn nur zwei Besprechungsteilnehmer die komplette Diskussion dominieren, möglicherweise kein hinreichend sicherer Raum für alle Teilnehmer geschaffen wurde, in dem sich alle trauen mitzudiskutieren und Anmerkungen zu äußern.

In Sitzungen sollte die kleinstmögliche Anzahl an Personen teilnehmen, die sich alle ihrer Rolle in dem Thema bewusst sind. Es ist laut Rogelberg wichtig, einen Sitzungsverantwortlichen festzulegen, der jeden Teilnehmer einbindet und stets das Ziel und die Zeit im Überblick behält. Ist das Meeting beendet, sollten außerdem D-R-I's (directly responsible individuals) festgelegt werden, so dass jeder weiß, was sie oder er anschließend zu tun hat.

Lernen neu denken

Im Umgang mit der digitalen Transformation ist es wichtig, eine positive Lernkultur im Unternehmen zu etablieren. Wie das gelingen kann, thematisiert Julian Knorr, Gründer der Onestop Transformation AG, in seiner Arbeit. Die Forschung zeigt, dass Gelerntes bereits nach einem Tag im Durchschnitt zu 70 Prozent wieder vergessen ist. Neues lernen lohnt also gar nicht? - Doch, der Schlüssel ist das "Schritt für Schritt"-Lernen oder auch Microlearning.

Weiterbildung sollte daher viel mehr in Form von kleinen Einheiten in den Alltag verankert werden, statt nur zweimal im Jahr beim Besuch eines Weiterbildungsseminares stattfinden. Im Fokus sollten Softskills stehen, da Hardskills aufgrund der rasanten Weiterentwicklung eine immer geringere Halbwertszeit haben. Die virtuelle Arbeit kann gerade dann eine Hürde sein, wenn man sich in einem neuen Team und in eine neue Materie einarbeiten möchte.

Der agile Coach Jorma Schneider weiß aus Erfahrung, wie das Onboarding neuer Mitarbeiter auch aus dem Home-Office klappen kann: "Ich habe in unseren ersten Sitzungen alle dazu eingeladen, sich einmal zum Affen zu machen. Wie hört es sich denn an, wenn ich vergesse, mich im Meeting stumm zu schalten und man im Hintergrund die Toilettenspülung zu hören ist? - Einfach mal ausprobieren und zusammen lachen, so lässt sich das erste Eis gleich brechen".

Arbeitsalltag 2.0

Doch was macht unsere virtuelle Zusammenarbeit im Team letzten Endes produktiv? Kognitives Vertrauen, also wie viel wir unseren Teammitgliedern fachlich zutrauen, als auch emotionales Vertrauen, haben einen signifikanten Einfluss auf Produktivität von virtuellen Teams. Das Problem ist, dass sich kognitives Vertrauen online aufbauen lässt, es für den Aufbau von emotionalem Vertrauen aber den Kontakt in Person braucht.

Das Plädoyer an die Arbeitswelt ist: Ein Team, das zukünftig ausschließlich virtuell zusammenarbeiten wird, sollte sich wenigstens einmal persönlich kennengelernt haben. Ein Treffen reicht schon aus, um emotionales Vertrauen aufzubauen und die allgemeine Produktivität des Teams auschlaggebend zu verbessern. Dies sind die Ergebnisse von Sven Laumer, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberrg, der bei seiner Forschung den Menschen in den Mittelpunkt der Digitalisierung stellt.

Wenn wir über die neue (Arbeits-)Welt von morgen reden, reicht es nicht, virtuelle Meetingregeln festzulegen und im reinen Arbeitskontext zu denken. Für die Umsetzung von New Work muss an vielen Stellschrauben gedreht und der ganze Organismus der Arbeitswelt betrachtet werden. Wir brauchen weitere partizipative Ansätze, um eine Brücke zwischen Wirtschaft und Gesellschaft zu schlagen. Dafür müssen Denker von Städten und Arbeit zukünftig weiter zusammenkommen.