"Datenfreiheit" für Wissenschaftler?

Kryptosystem neben Polizei und Verteidigung

10.04.1981

LINZ (eks) - "Sire, geben Sie Datenfreiheit", könnte man die Forderungen von Prof. Funk an Staatssekretär Nußbaumer zusammenfassen. Sie wurden erhoben auf dem Symposium "Wissenschaft und Datenschutz" am 4. März an der Universität Linz, veranstaltet vom Wissenschaftsministerium, der Österreichischen Gesellschaft für Informatik (GI) und dem Institut für Informatik.

Nußbaumer, seitens der Bundesregierung für das DSG zuständig, resümierte zunächst die Gründe für die restriktive Handhabung des Datenschutzes gegenüber den datendurstigen Forschern. Seiner Meinung nach werde der Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft gemeinhin eher überschätzt, und es ginge darum, Computeranwendungen in Bahnen zu lenken, wo andere Rechtsgüter nicht gefährdet würden. Aber so wie ein guter Anwalt nach Löchern in Gesetzen sucht, richten sich die Intensionen des Informatikers nach gerade noch zulässigen Auswertungsmöglichkeiten.

Gezwungenermaßen zielt das DSG nicht gegen die Vielzahl der harmlosen Forscher, sondern gegen den einen "schwarzen Raben". Keinen Widerspruch sieht Nußbaumer zwischen der verfassungsrechtlich verankerten (...)reiheit der Wissenschaft und dem Datenschutz. Erstere schützt den Forscher vor Dirigismus der Obrigkeit letzterer regelt die Beziehungen der Bürger zueinander.

Trost im Medienrecht

Unter Hinweis auf das kommende Medienrecht (Publizistik ist derzeit vom Datenschutz ausgenommen) meinte Nußbaumer, man werde den Wissenschaftlern nicht Informationen verwehren, die jedem Journalisten zugänglich sind. Der Staatssekretär verteidigte jedenfalls tapfer das D G in seiner heutigen Form, auch wenn Freud ihm einmal kräftig auf e Schulter klopfte, als er in einem Vergleich vom Datenschutz sprach, er verboten werden müßte (und die DV meinte).

Wo der Computer hintritt . . .

Forsch warf sich Prof. Funk von der Uni Graz ins Zeug. Er bemühte en Sagenkönig Midas. So wie a es zu Gold wird, was Midas berührt, so wild alles tabu, sobald DV im Spiel ist. Wohl wesentlichster und am meisten berechtigter Einwand ist die für die Wissenschaft unnatürliche Trennung in öffentliche und private Bereiche mit einem faktisch dazwischen stehenden Übermittlungsverbot .

Funk beklagte das Ausgeliefertsein an die lnformationswilligkeit öffentlicher Stellen. Hier stelle das DSG eine zusätzliche und oft willkommene Begründung, Daten zurückzuhalten.

Im Einleitungsvortrag gab ,ich Funk noch gemäßigt: Generelle Freistellung der Wissenschaft vom Datenschutz würde nur zu einem weiteren Kryptosystem neben Polizei und Verteidigung führen Anzustreben sei eine Lockerung der Verarbeitungsvorbehalte und Übermittlungsbeschränkungen.

Im weiteren Verlauf der Diskussion allerdings wurde argumentiert, daß die Universitäten den gesetzlichen Auftrag zur Forschung hätten, also quasi als verlängerter Arm der Staatsmacht agierten, und daß ihnen daher von Gesetzes wegen alle gewünschten Daten auszuliefern seien. Ob das die Vertreter der Hochschulautonomie freuen wird?

Dies wirft nun zunächst die Frage nach dem Schicksal durchaus erfolgreicher aber außeruniversitärer Institute und Privatgelehrter auf. Im übrigen ist "Forschersein" kein lebenslanger Zölibat, der ja auch nicht mehr ist, was er einmal war. Vor allem Wirtschafts- und Sozialforscher wechseln heute in fruchtbarer Weise zwischen Hochschule, Industrie und Regierung. Der eingangs erwähnte Staatssekretär Nußbaumer ist gleichzeitig Universitätsprofessor an der Wiener Wirtschaftsuni. Kürzlich wurde der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts zum Staatssekretär gekürt. Nun soll diesen beiden Persönlichkeiten beileibe kein Mißbrauch mit Daten unterstellt werden, andererseits mahnte ihr Chef Kreisky erst kürzlich öffentlich, "wie schnell etwas passiert".

Informationsunwillige Ordinarien

Prof. Grabner vom Medizinischen Rechenzentrum der Wiener Uni sieht die Gefahr, daß die Medizin zwar Daten gewinnt, aber das Vertrauen der Patienten und damit letztlich Informationen verliert. Daher meint er sogar, daß die Medizin der erste Bereich sein könnte, der den umfassenden EDV-Einsatz wieder abschafft, da der Schaden den Nutzen überwiegt. Energisch verbot sich Grabner einen Zwang zur Informationsweitergabe zwischen Forschern selbst. Sie müßten das Recht haben, mühsam erarbeitete Daten auch für spätere eigene Auswertung zu horten.

Genügsame Psychologen

Dr. Rudas vom Kuratorium für Psychosoziale Dienste regte an, die Psychologie solle zunächst einmal seit längerem geplante Vorhaben durchführen, für die Daten bereits vorhanden sind. Neue Daten seien nicht erforderlich, was man brauche, werde man selbst erheben und auch nicht speichern.

Prof. Gutmann, Inhaber einer Lehrkanzel in Psychologie, unterstrich daß seine Dissertanten praktisch ausschließlich mit EDV arbeiten. Eine Anonymisierung sei nicht möglich, da bis zum der Arbeit zur Prüfung neuer Hypothesen stets der Rückgriff auf einzelne Probanden erforderlich sei. Die Zeitgeschichtler bewegt die Frage, ab welchem Verwandtschaftsgrad zu einer Person der Zeitgeschichte der Datenschutz einsetzt.

Die erhoffte Erarbeitung von Richtlinien für den Datenschutz in der Forschung blieb jedenfalls aus Praktisch einmütig wandten sich die Teilnehmer schließlich an den EDV-Wesir der Wissenschaftsministerien, an Dr. Roszenich, und wünschten sich, er möge als deus ex ministerio die Herausgabe von Daten befehlen. Roszenich regte milde lächelnd an, eine Zusammenfassung der Standpunkte solle schriftlich dem Ministerium eingereicht werden.