Fremdsoftware - ja oder nein?

Kriterien für und gegen das Selberstricken

29.09.1978

Was ist Fremdsoftware? Software, die wir nicht selbst produziert haben. Wir alle setzen Fremdsoftware ein - und sei es auch nur das Betriebssystem des Hardware-Herstellers.

Die Frage kann also jeweils nur für eine bestimmte Kategorie Fremdsoftware beantwortet werden. Wir können dafür das Angebot an Fremdsoftware in Gruppen einteilen:

A Betriebssystem-Komponenten (zum Beispiel Sort-/Merge-Generator, Dump/Restore-Programme, Compiler, Verwaltungsprogramme für die Quellprogramm-Bibliothek, Spool-Systeme)

B Betriebssysteme - nahe Software (zum Beispiel Datenbank-Verwaltungssysteme, TP-Monitoren, Online-Programmiersysteme, Vorübersetzer, Software-Monitoren, SMF-Auswertungen Job-Accounting-Programme)

C Allgemeine Problemlösungen (wie etwa Datei-Auswertungs-Generatoren, Automatische Magnetbandverwaltung, maschinelle Dokumentation, Lohn- und Gehaltsabrechnung, Kostenrechnung,

Gleitzeitabrechnung. Finanz- und Anlagenbuchhaltung)

D Branchengruppen- und branchengebundene Problemlösungen (Fertigungssteuerung, Abrechnung und Fakturierung, Fuhrparkoptimierung, Lagerwirtschaft, Textverarbeitung)

E Spezifische Problemlösungen (wenige kennzeichnende Beispiele können hier nicht aufgeführt werden. Die Möglichkeiten reichen tief in die einzelnen Probleme.)

Untersuchungskriterien für diese Gruppen sind:

* Leistung und Preis

* Sicherheit und

* Einfügung in bestehende Abläufe.

Diese Reihenfolge ist nicht gleichzeitig eine Gewichtung. Das Gewicht ist von Fall zu Fall und von Anwender zu Anwender verschieden.

Gruppe A:

Als Anbieter treten Hardwarehersteller und bestimmte Softwarehäuser in Wettbewerb. Das Kriterium "Preis/Leistung" steht im Vordergrund der Überlegungen. Ein Softwarehaus muß bessere Produkte anbieten, um gegen den Hardware-Hersteller bestehen zu können, Besser heißt: Schneller, ökonomischer, komfortabler. Durch eine Probeinstallation kann der Anwender schnell nachprüfen, ob diese Eigenschaften vorhanden sind.

Das Merkmal "Sicherheit" ist deshalb nicht so schwerwiegend, weil bei ernsthaften Schwierigkeiten auf das Produkt des Hardware-Herstellers zurückgegriffen werden kann.

Das Kriterium "Einfügung in bestehende Arbeitsabläufe" ist bei A. mehr eine Frage der Kompatibilität, die als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werden muß. Ein Implementierungsaufwand größeren Umfanges wird hier von den Anwendern allgemein nicht akzeptiert.

Zusammengefaßt zu A.: Wenn ein in Preis/Leistung besseres Produkt angeboten wird, besteht für den Anwender keine Veranlassung, nicht zuzugreifen. Die Hardware-Hersteller erleichtern dieses kostenbewußte Verhalten ihrer Kunden durch ihre unbundling-Politik.

Gruppe B.:

Anbieter sind wie bei A. Hardware-Hersteller und Softwarehäuser.

Für Datenbank-Verwaltungssysteme und TP-Monitoren gibt es zwar Seminare, die den Anwender in die Struktur und Arbeitsweise solcher stets komplizierter Systeme einfuhren. Die wirklichen Vorzüge oder Schwächen werden dem Anwender aber erst klar, wenn er praktisch mit einem DB-/DC-System arbeitet - doch dann kann es für eine Revision der getroffenen Entscheidung zu spät sein, Voraussetzung für die Wahl des richtigen Systems ist also unter anderem eine ausgereifte Unternehmensplanung.

Dem Gesichtspunkt "Sicherheit" kommt bei B. große Bedeutung zu. Ein DB-/DC-System ist so stark mit dem Benutzersystem verflochten, daß Störungen oder gar eine notwendige Herauslösung den Anwender vor gravierende Probleme stellen.

Die "Einfügung in bestehende Abläufe" erscheint dagegen bei betriebssystemnaher Software nicht problematisch, da es sich hier durchwegs um selbständige Programme oder Programmpakete handelt.

Zusammenfassung zu B.: Wenn das oft nur sehr aufwendig zu ermittelnde - Verhältnis Leistung/Preis stimmt und befriedigende Sicherheitsgarantien vorhanden sind, ist die im Thema gestellte Frage mit ja zu beantworten. Eigenentwicklung kommt - abgesehen vielleicht von Größtanwendern - nicht in Betracht.

Gruppe C.:

Manche Hardwarehersteller bieten solche Programme noch an.

Das Angebot ist hier überaus vielfältig, wie ein Blick in Softwarekatalog und Fachzeitschriften zeigt. Die Feststellung des Verhältnisses Leistung/Preis ist deshalb auch bei C. nicht leicht. Manche Anwender richten sich nach der Zahl der Installationen und verlassen sich darauf, daß die Mehrheit das Richtige tut. Auch das Prinzip der "Fehlerrückkopplung" funktioniert bei vielen Installationen am besten.

Für die Gewichtung des Merkmals "Sicherheit" kommt es auf den Umfang des Softwarepaketes und den Grad der Integration an. Im allgemeinen durften hier aber keine schwerwiegenden Risiken verborgen sein.

Der "Einfügung in bestehende Abläufe" ist keine hohe Gewichtung zuzuordnen.

Zusammenfassung zu C.: Wenn ein entsprechender Bedarf entsteht, empfiehlt es sich angesichts des heutigen Angebotes auf jeden Fall, ein geeignetes Fremdprodukt auszuwählen und einzusetzen. Dies ist wirtschaftlicher und sicherer als die Eigenentwicklung.

Gruppe D.:

Diese Angebote finden wir vor allem in der MDT. Dort ist häufig keine Eigenprogrammierung vorgesehen.

Abbildung 1 zeigt den Ablauf einer Projektentwicklung. Aus Abbildung 2 ist der Ablauf bei Einsatz eines Fremdproduktes zu ersehen. Die Abläufe unterscheiden sich in dem Aktionenpaket 5. Die Aktionen 1-4, E6/7 und F6/7 sind in beiden Fällen und mit gleich hohem Aufwand notwendig. Ob die Aktion F8 dann vielleicht mit geringerem Aufwand als E8 läuft, ist eine Frage der Reife des Fremdprodukts.

Wichtig sind dabei für den betroffenen Anwender die in Abbildung 3 dargestellten Entscheidungen. Ist die primäre Entscheidung P = JA, entschließt der Anwender sich also zu einer Untersuchung der Softwareangebote nach Abschluß der Aktion 4, dann riskiert er, daß der Zeit- und Kostenaufwand für die Aktionen F5.1 - F5.3 vergeblich ist - dann nämlich, wenn die sekundäre Entscheidung S negativ ausfällt.

Je nach Umfang des anstehenden Problems kann dieser Aufwand sehr kostspielig werden und viel kostbare Planungszeit verschlingen. Ist zudem die Wahrscheinlichkeit gering, auf dem Markt ein brauchbares Produkt zu finden, dann tut der Anwender gut daran, lieber seine eigene Projektentwicklung konsequent weiterzuverfolgen.

Auf der anderen Seite winken natürlich eine Beschleunigung und Kosteneinsparung, wenn ein geeignetes Softwareprodukt gefunden wird. Allerdings darf dann der notwendige Aufwand für die Aktionen F5.4 und F5.5 nicht aus den Augen gelassen werden. Eine Modifikation des Sollkonzepts (Leistungsbeschreibung, Pflichtenheft) ist fast immer unumgänglich, und dabei kann es durchaus erforderlich werden, sogar nochmals auf die Aktionen 3 und 4 zurückzuschalten.

Das Ergebnis der Untersuchung zum Verhältnis Leistung/Preis muß also aus einer Gegenüberstellung der Aktionen E5/F5 bestehen, wobei der Preis des Softwarepakets zum Aufwand F5 zu addieren ist.

Das Kriterium "Sicherheit" ist hoch zu gewichten. Solche Verfahren sind naturgemäß eng mit der Ablauforganisation verflochten. Das Unternehmen ist damit von der Wartung des Fremdproduktes abhängig.

Hier kommt auch dem Merkmal "Einfügung in bestehende Abläufe" große Bedeutung zu, insbesondere dann, wenn die Problemlösung mit anderen Verfahren im Rahmen einer Gesamtunternehmensplanung harmonieren muß.

Zusammenfassung: Fremdsoftware der Gruppe D. kommt nur dann in Betracht, wenn sie

- weitgehend präzise die gestellten Aufgaben abdeckt,

- mit Wartungsgarantien versehen ist,

- in die Unternehmensplanung paßt.

Gruppe E.:

Hier gilt - noch deutlicher und konsequenter - das zur vorhergehenden Gruppe Gesagte.

Die Aussage der Softwareanbieter, wonach Standard-Software nur 10 bis 20 Prozent der Eigenentwicklung kostet, ist angreifbar und gilt sicher nicht allgemein. Gerade bei den Kategorien D. und E. sind es aber nicht allein die Kaufpreise der Standard-Software, die letztlich für den Einsatz ausschlaggebend sind, sondern auch - oder vor allem - die geschilderten Zusammenhänge.

*M. Wieland ist EDV-Chef in München