Beurteilung von Kommunikationssystemen erfordert Kenntnis der Produkt- und Belastungswerte:

Kriterien für die Auswahl eines BK-Netzes

25.04.1986

Für Bürokommunikation (BK) auf der Basis von ISDN-Nebenstellenanlagen gibt es, so versichern einige Ihrer Hersteller, Planungsinstrumente und auch Einführungsstrategien. Die Qual der Wahl bleibt dennoch. Einige wesentliche Auswahlkriterien für den Anwender soll folgender Artikel des Siemens-Mitarbeiters Walter Enderlein aufzeigen. Die Meßlatte ist deshalb nicht unbedingt das Siemens-Produkt Hicom, sondern wohl eher ein theoretisches Systemkonzept, mit dem sich auch andere Systeme werten lassen. Mangelnde Anhaltspunkte zur Messung eines Preis-Leistungs-Verhältnisses im Sektor Bürocommunikation haben es bisher schwergemacht, Rationalisierungseffekte nachzuweisen. Der Beitrag kann hierbei Abhilfe schaffen.

Für den Anwender wird die Auswahl eines Datennetzes immer schwieriger, weil immer mehr Lösungsmöglichkeiten infolge des umfangreicher werdenden Angebotes und der Vielfalt an Kombinationen untersucht werden müßten.

Eine weitere Erschwernis ergibt sich bei der Auswahl eines hausinternen Kommunikationsnetzes, weil seit einiger Zeit die Möglichkeit geboten wird, neben den herkömmlichen Festverbindungen und Fernsprechnebenstellenanlagen neue, digitale (ISDN-) Nebenstellenanlagen und LAN (Nahbereichsnetze) einzusetzen.

Eine Sonderstellung in der Diskussion nimmt die "Bürokommunikation" ein: Hier wird (zukünftig) verlangt, über eine Schnittstelle und unter einer Rufnummer, neben und zum Teil parallel zur Sprachübermittlung, noch digitale Information (Text, Fax) zu übermitteln und zwar von Bildschirm zu Bildschirm, von/ zu Speichern und zu Druckern. Für diese Technik werden neue Schnittstellen und entsprechend angepaßte Gerate erforderlich. Der Verkehrscharakter wird dabei aber wesentlich anders als der heute übliche Datenverkehr sein (also anders als für Spezialisten, die Programme schreiben, oder als für Sachbearbeiter, die DV-Verfahren bei Routinetätigkeiten benutzen).

Nach welchen Kriterien sollte der Anwender nun vorgehen, wenn zu beurteilen ist, was die heute angekündigten Produkte neben den herkömmlichen für seine zukünftigen Anwendungen bedeuten?

Die Antwort ist:

Für die gegenwärtigen wie für die zukünftigen Anwendungen gelten die gleichen Gesichtspunkte für Produktauswahl und Projektierung wie für die heute üblichen "Datenfernverarbeitungsverfahren". Nach wie vor müssen die zu erwartende Belastung sowie die Leistung der Kommunikationssysteme richtig beschrieben und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Es ist der Zweck dieses Beitrags, dem Anwender in spe zu zeigen, welche Angaben über die Belastung er machen muß (!) und wie man aufgrund dieser Angaben unterschiedliche Angebote beurteilt.

Im folgenden wird unter diesem Gesichtspunkt ein Überblick über aktuelle Technologien und Belastungsarten gegeben. Anschließend werden Kriterien genannt, nach denen die Auswahl eines Kommunikationsnetzes erfolgen sollte, kurze Erläuterungen zum Verständnis der Kriterien gegeben und ein Beispiel für eine Leistungsuntersuchung gebracht.

Die Zahlen, die in dieser Veröffentlichung genannt werden, beruhen zum Teil auf Literatur, zum Teil auf Annahmen des Verfassers. Sie sind als Größenordnung zu verstehen und dienen nur dazu, die Beurteilungsmethode und die Kriterien verständlich zu machen.

Für die im folgenden beschriebenen Technologien werden kurz die für den Anwender wichtigsten Kennwerte angegeben:

- Übertragungsgeschwindigkeit.

- Signalisierungsgeschwindigkeit und Verbindungsaufbauzeit,

- Schnittstellen.

1. Festverbindungen

Analog- und Digitalübertragung, Pollingsysteme, speichervermittelt (paketvermittelt), Wartesysteme.

- Übertragungsgeschwindigkeit pro Leitung: 10 bis einige 100 KBit/s (Kilobit pro Sekunde).

- Signalisierungsgeschwindigkeit: 10 bis 100 Pakete pro Sekunde

- Schnittstellen: Modem, Internschnittstellen (Gruppensteuerungsgerät)

2. Digitale Nebenstellenanlagen.

Häufig schon auf ISDN ausgerichtet. Digitalübermittlung, Leitungsvermittlung, Verlustsystem.

- Übertragungsgeschwindigkeit pro Kanal: 64 KBit/s

- Signalisierungsvolumen pro Zeiteinheit, pro Teilnehmeranschluß: 10 Rufe pro Stunde (Lit. 1), Verbindungsaufbauzeit: 1 Sekunde

- Schnittstellen: SO, U-Schnittstellen, a/b-Schnittstelle X-Schnittstellen

3. Local Area Networks (Nahbereichsnetze).

Digitalübertragung, speichervermittelt, (paketvermittelt), Zugriffsverfahren CSMA/CD (Contention) beziehungsweise Token-Passing (Polling), Wartesystem.

- Übertragungsgeschwindigkeit des Systems: 1-100 MBit/s (Megabit pro Sekunde)

- Signalisierungsgeschwindigkeit: 1000 Pakete pro Sekunde

- Schnittstellen: systemspezifische Schnittstellen (Bus)

Charakteristik aktueller Belastungsarten

Unter Belastungsarten für Kommunikationssysteme sind bisher Sprachverkehr, Telefax- und Datenverkehr zu verstehen. Dazu kommt neuerdings der zusätzliche Verkehr aus der Nutzung multifunktionaler Endgeräte (zum Beispiel in Form von Misch- und Mehrfachkommunikation, durch Zugriffe auf Ablage- und Druckservices) und der Anwendung herkömmlicher Endgeräte für die Bürokommunikation (zum Beispiel für elektronische Hauspost), der im folgenden als "Büroverkehr" bezeichnet wird. Der Unterschied zwischen diesen Belastungsarten ist:

- die Belegung pro Verbindung

- die Anzahl der Verbindungen pro Zeiteinheit (meist pro Hauptverkehrsstunde) und Teilnehmer (BHCA = busy hour call attempt, Belegungsversuche in der Hauptverkehrsstunde),

- die Anzahl der Teilnehmer pro Belastungsart und

- die Lage der Hauptverkehrsstunde (HVSTD).

Nachstehend wird eine Charakteristik wichtiger Belastungsarten gegeben, wobei die Zahlen sich zum Teil auf zukünftige Technik beziehen (zum Beispiel bezüglich der Bildschirme) (Lit. 1 ) .

Dabei ist die Belegung wichtig für die Bemessung von leistungsvermittelten Kommunikationsnetze benötigt wird.

Die Anzahl der Verbindungen pro Stunde und Teilnehmer bedeutet bereits ein Lastprofil. Für die nachfolgenden Berechnungen wird hier die Anzahl der Teilnehmer angegeben, wobei ein Standort mit 100 Teilnehmern angenommen wird (zehn Führungskräfte, 10 Sekretariatskräfte, 40 SW-Entwickler, 40 Sachbearbeiter).

Daten Typ 2 bedeutet Dialogverkehr durch Sachbearbeiter, die DV-Verfahren bei Routinetätigkeiten benutzen.

Unter Dialogbelegung ist zu verstehen, daß eine Verbindung für die Dauer eines Dialogs aufrechterhalten wird, daß also eine Verbindung pro Diallogschritt hergestellt wird (ein Eingabeblock, ein Verarbeitungsschritt, ein Ausgabeblock) (Lit. 2). Durch diese Betriebsart wird bei Datenübertragung über Datenwählnetze zwischen Terminal und Rechner eine Konzentration etwa um einen Faktor zehn erreicht (also entsprechend weniger Rechnereingänge als Terminals).

Es wird erreicht, daß der Zugriff auf Rechnereingänge oder Servereingänge nicht durch lange Pausen von Bearbeitern blockiert wird (man wird weitgehend unabhänig vom Wohlverhalten des Bearbeiters).

Dialogbelegung setzt jedoch voraus, daß die Verbindungsaufbauzeit so kurz ist, daß die Antwortzeit nicht unzulässig lang wird, was bei modernen, digitalen Nebenstellenanlagen der Fall ist.

Die Belegungsarten Büro Typ und Typ 2 sind alternativ mit Dauerbelegung (Verbindung für mehrere Dialoge) oder mit Dialogbelegung berechnet worden.

Es wird weiterhin angenommen, daß Textbearbeitung, Tabellenkalkulation und ähnliche Verfahren nur lokal durchgeführt werden ("PC"). Das duchschnittliche Volumen pro Verbindung kann man heute für Datenverkehr mit zirka 1000 Zeichen (8000 Bit) ansetzen, für Teletex mit etwa 3000 Zeichen.

Bei der Beurteilung neuer Produkte wird sich der Anwender zuerst nach der Funktion erkundigen und anschließend die Frage stellen, welche Bedeutung das Produkt für ihn hat. Dabei sollte man sich bei der Funktionsbeschreibung nicht in Details verlieren. Man wird gerade auf dem hier besprochenen Gebiet einen vernünftigen Funktionsumfang für die einzelnen Produkte angeboten bekommen, an dem man ohnehin nichts ändern kann. So ist beispielsweise die Vermittlungsart (Leistungsvermittlung oder Paketvermittlung letztere nach X.25, CSMA/CD oder Token Passing und so weiter) eigentlich für den Anwender nur eine interessante, aber in diesem Zusammenhang nicht unbedingt erforderliche Information, ebenso wie das Übertragungsmedium (Kupfer, Glasfaser etc.) wirklich wichtig für die Systemauswahl sind die Kosten, das Zeitverhalten, die Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Lebensdauer wobei ein ausreichender Funktionsumfang zugrunde gelegt wird (zum Beispiel daß die Schnittstellen akzeptabel sind).

Die genannten Kriterien müssen nun im Zusammenhang mit der geplanten Belastung bei der Untersuchung von Systemkomponenten angewendet werden. Die Belastung setzt sich dabei aus den unterschiedlichen Belastungsarten zusammen. Die Kosten (Investitions- und Betriebskosten) sind das wichtigste Kriterium bei der Beurteilung eines Systemkonzepts, wobei vorausgesetzt wird, daß das zu untersuchende System prinzipiell funktioniert und in brauchbarer Leistungsfähigkeit lieferbar ist. Ausschlaggebend ist das Preis-Leistungs-Verhältnis, also der Preis für eine definierte Leistung.

Man erhält die Kosten, indem man ermittelt (berechnet), wie groß die erforderliche Installation für die zugrunde gelegte Belastung sein muß, also als Ergebnis einer Leistungsuntersuchung. Anschließend bestimmt man, welches Zeitverhalten (in welcher die Antwortzeit für Dialogbetrieb) sich für diese Installation und Belastung ergibt. Zum Schluß bewertet man, ob ein Kostenunterschied zwischen mehreren Angeboten durch Vorteile beziehungsweise Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Lebensdauer gerechtfertigt ist.

Leistungsuntersuchung und Verteilung der Belastung

Für die Leistungsuntersuchung wird das Lastprofil benötigt, und zwar für die Hauptverkehrsstunde (die Zeit der höchsten Systembelastung). Danach werden zwei Tageszeitbereiche definiert, einmal "früh und abends" (zum Beispiel 8 bis 10 und 16 bis 18 Uhr) und "tags" (zum Beispiel 10 bis 12 und 14 bis 16 Uhr). Dann werden die Belastungsarten auf diese Bereiche aufgeteilt, wobei angenommenn wird, daß sich einige Belastungsarten gegenseitig ganz oder teilweise ausschließen.

Bei leistungsvermittelten Systemen gilt, daß die DÜ-Geschwindigkeit pro Kanal (zum Beispiel 64 KBit/ s) ausreichend ist (weil sonst diese Systemalternative nicht funktioniert), so daß nur zu untersuchen ist wie hoch das erforderliche Signalisierungsvolumen pro Zeileneinheit sein muß. Bei speichervermittelten Systemen hingegen gibt es keine festgelegte Kanalgeschwindigkeit, sondern nur eine System-(Leistungs-) Geschwindigkeit. Dagegen spielt die Signalisierungsgeschwindigkeit keine Rolle (sie ist hoch genug). Daher ist zu untersuchen, wie hoch die erforderliche Auslastung eines Systems mit gegebener Geschwindigkeit ist.

In der folgenden Tabelle wird die Belastung leistungsvermittelter Systeme dargestellt, Kriterium, Verbindungen pro Stunde, die durch diese Belastung zu dem jeweils betrachteten Tageszeitbereich entstehen.

Damit ergibt sich eine Nivellierung der Belastung und wie zu sehen ist, eine Entlastung der Nebenstellenanlage.

Ergebnis: Es zeigt sich, daß die anfänglich sehr hohe Signalisierungsbelastung erheblich reduziert wird, wenn die Belastung (realistisch!) aufgeteilt wird:

1. Der Datenverkehr Typ 1 läßt sich über Festverbindungen besser abwickeln. Es bleiben noch Profile drei bis neun.

2. Die Belastungsarten werden auf die Tageszeitbereiche aufgeteilt. Es bleiben noch Profile fünf bis neun.

3. Die sicherere Projektierung ergibt sich mit der Annahme, daß der Büroverkehr nach Typ 2 abgewickelt wird. Es bleiben noch Profile sieben bis neun.

4. Es wird davon ausgegangen, daß sich der Büroverkehr über den ganzen Tag verteilt. Es bleiben noch Profile acht und neun.

Die Systembelastung beträgt nach Profil acht und zwölf Rufe pro Teilnehmer und Stunde (weil 1200 Verbindungen pro Stunde: 100 Teilnehmer = zwölf Verbindungen pro Stunde und Teilnehmer). Das entspricht größenordnungsmäßig der Signalisierungsleistung von ISDN-Nebenstellenanlagen, woraus zu ersehen ist, daß eine solche Konfiguration prinzipiell möglich ist.

Das Zeitverhalten ergibt sich aus Übertragungs-, Datenverarbeitungsdauer und Verbindungsaufbauzeit und ist die Antwortzeit für einen Dialogschritt ("Daten" und "Büro"). Im vorliegenden Fall beträgt sie für eine DV-Dauer von einer Sekunde und für eine ISDN-Nebenstellenanlage etwa drei Stunden, was für Bürokommunikation ein guter Wert ist. Neben der Nebenstellenanlage wird die Festverbindung auch weiterhin für den Betrieb von Datenterminals mit fester Verkehrsbeziehung für SW-Entwickler) empfohlen, weil ein universelles Wählnetz hier keine Vorteile bringt und nur unnötig belastet wird.

In der nächsten Tabelle wird die Belastung eines LAN dargestellt. (Kriterium: Auslastung, Verkehr in Erlang), ebenfalls wieder für 100 Teilnehmer, Bürokommunikation und gemischter Sprach- und Datenübermittlung (Lit. 3). Dabei wird eine Geschwindigkeit von 10 MBit pro Sekunde ausgesetzt.

Ergebnis:

1. Bei dem gegebenen Lastprofil könnten etwa 400 Teilnehmer an diese LAN angeschlossen werden (weil 0,11 Erl * 4 = 0,44 Erl; dazu kommt noch der hier nicht dargestellte Protokollanteil), wobei eine entsprechende Anzahl Knoten erforderlich ist.

2. Der Sprachverkehr bringt die höchste Belastung.

3. Die hier angenommene Bürokommunikation und "normaler" Dateverkehr sind offensichtlich kein Argument für ein lokales Netz.

Bei zukünftigen Systemen werden voraussichtlich Nebenstellenanlagen und LANs häufig koexistieren.

Es ist die Erfahrung des Verfassers, daß man eine vernünftige Beurteilung nur für ein genügend detailliert es Systemkonzept durchführen kann. Die Beurteilung besteht in diesem Fall aus einer Leistungsuntersuchung, deren Ergebnis die erforderliche Systemgröße und damit deren Preis zu ermitteln gestattet. das heißt aber, daß man die richtigen Produkt- und Belastungskennwerte wissen muß, um unvoreingenommen wirklich vergleichbare Systemkonzepte entwickeln und beurteilen zu können.