Für wen es jetzt aufwärtsgeht

Krise? - Welche Krise?

30.01.2009
Von 
Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Und es gibt sie doch: Menschen, Organisationen, Konzepte und Ideen, die eindeutig von der Konjunkturschwäche profitieren. Nicht nur in der IT-Branche.

Dass jeder Krise auch Chancen innewohnen, gehört zu den Binsen, die derzeit kaum einer hören mag. Dabei gibt es genügend Organisationen und auch Einzelpersonen, die genau das erfahren. Nicht wenige haben sich nach den Erfahrungen zurückliegender konjunktureller Einbrüche frühzeitig für schlechte Zeiten präpariert. "Gewinner sind all diejenigen, die bereits vor der Krise ihre Hausaufgaben gemacht haben", sagt deshalb Thomas Lünendonk, Gründer des gleichnamigen Marktforschungs- und Beratungshauses.

Gerade viele deutsche Unternehmen, die in den vergangenen vier bis fünf Jahren ihre Kosten reduziert und sich verschlankt hätten, zählten dazu. Im internationalen Vergleich ständen sie heute gut da. Zu den möglichen Profiteuren des weltweiten Abschwungs gehören aus seiner Sicht insbesondere Firmen, "die jetzt nicht das Wünschenswerte, sondern das dringend Nötige anbieten, das dann auch schnell wirksam wird". Lünendonk nennt Dienstleistungs- und Beratungsanbieter, die Kunden rasch von Kosten oder langwierigen Prozessen entlasten können.

Hier kommt die IT-Branche ins Spiel. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten erwarten Manager von ihren IT-Organisationen vor allem zwei Dinge: Flexibilität und einen Beitrag zur Kostensenkung. Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer rechnet daher trotz konjunktureller Turbulenzen mit leicht wachsenden IT-Ausgaben: "Die Informationstechnik ist für Unternehmen in einer Krisensituation von strategischer Bedeutung, weil sie die Betriebe effizienter macht." Der Branchenverband geht davon aus, dass der Umsatz im deutschen Markt für Informationstechnik in diesem Jahr um 1,5 Prozent auf 67 Milliarden Euro wächst.

Outsourcing und Cloud Computing

Davon dürften in erster Line solche Angebote profitieren, die Unternehmen das Auslagern von kostenträchtigen Aufgaben ermöglichen. "Outsourcing wird eine Renaissance erleben", prognostiziert Bitkom-Sprecher Maurice Shahd. Auf der Suche nach weiteren Sparpotenzialen stellten die Betriebe alles auf den Prüfstand. Lünendonk sieht speziell im Auslagern ganzer Geschäftsprozesse Wachstumschancen für die IT-Dienstleister: "Business Process Outsourcing (BPO) ermöglicht es Unternehmen, sich auf profitable Kernprozesse zu konzentrieren."

Eindeutige Belege für diese Thesen fehlen bislang. Dafür ist es laut dem Berater noch zu früh; etliche Unternehmen führten derzeit aber intensive Gespräche über Outsourcing-Vorhaben: "Die Krise ist beim normalen Bäcker oder Schreiner noch nicht angekommen, sehr wohl aber bei den Automobilherstellern, Chemiekonzernen und zum Teil auch in großen Medienhäusern." Die Marktforscher von IDC rechnen für 2009 immerhin mit einem Wachstum von 3,3 Prozent im deutschen Markt für IT-Services. Weil viele Unternehmen ihre IT-Fertigungstiefe weiter reduzierten, werde das größte Segment Outsourcing in den kommenden drei Jahren überdurchschnittlich zulegen, so die Auguren. Als Gewinner in der Krise würden sich darüber hinaus innovative Beschaffungsmodelle wie Cloud-Services entpuppen.

Managed Services

Konkreter wird das amerikanische Marktforschungs- und Beratungshaus Forrester Research, das ausgelagerte IT-Dienste unter dem Begriff Managed Services zusammenfasst. Diese erstrecken sich sowohl auf Netze und IT-Infrastruktur als auch auf Anwendungen und Sicherheit. Speziell im letzteren Bereich erwarten die Analysten eine wachsende Nachfrage. So hätten bereits 32 Prozent der Unternehmen ihr Firewall-Management ausgelagert, weitere zwölf Prozent planten dies noch im laufenden Jahr.

Virtualisierung und BI

Jenseits des IT-Servicemarkts könnten auch klassische Softwareanbieter von der Krise profitieren, vorausgesetzt, sie bewegen sich im richtigen Segment. Gartner etwa nennt die Bereiche Virtualisierung und Business Intelligence (BI). In diesem Jahr gehe es nicht um die Einführung bahnbrechender Neuheiten, sondern darum, die bestehende IT effizienter einzusetzen, erläutern die Auguren. Beispielsweise könnten BI-Anwendungen Unternehmen helfen, die Transparenz zu erhöhen, was sich vor allem bei regulatorischen Anforderungen bezahlt machen kann. Ähnlich beurteilt IDC-Analyst Rüdiger Spies die Situation. Nach seiner Einschätzung wird das Thema Corporate-Performance-Management (CPM) in der Krise an Bedeutung gewinnen: "Unternehmen brauchen solche Software, um das knapper gewordene Geld effizient zu verwalten."

Geht es um Effizienz, müssten eigentlich auch die Anbieter moderner IT-Infrastruktur gut im Rennen sein. Spies macht hier allerdings eine Einschränkung. Infrastrukturprojekte stießen Unternehmen derzeit in der Regel nur dann an, wenn sich die Investitionen noch im laufenden Geschäftsjahr rentierten. Bei Abschreibungszeiträumen zwischen drei und fünf Jahren für klassische Infrastrukturprodukte wie Server dürfte das eher die Ausnahme ein.

Open-Source-Software

Anders beim Thema Open-Source-Software. Wer jetzt schnell Anschaffungs-, vulgo Lizenzkosten sparen will, kommt mit einem quelloffenen System zumindest kurzfristig zum Ziel. So gesehen könnten die Anhänger der Open-Source-Idee durchaus zu den Krisengewinnern zählen. Eine aktuelle Umfrage der COMPUTERWOCHE bestätigt diese Annahme: Mehr als die Hälfte der interviewten IT-Manager denkt angesichts der Krise über eine verstärkte Nutzung von Open-Source-Produkten nach oder hat sie bereits fest geplant.

Gewinner: Der Autofahrer

Wann, wenn nicht jetzt sollten Sie Ihren alten Gebrauchten gegen einen schicken Neuwagen eintauschen? Die "ADAC Motorwelt" nennt "10 Gründe, jetzt ein neues Auto zu kaufen". Nie waren Neuwagen sauberer, sicherer und günstiger als heute, jubiliert das Zentralorgan der deutschen Automobil-Lobby in der Dezemberausgabe 2008. Und tatsächlich: Klagten Autofahrer noch Mitte vergangenen Jahres über die dramatisch gestiegenen Benzinpreise, hat sich die Lage binnen weniger Monate gewendet. Hinzu kommt die Steuerbefreiung für Neufahrzeuge, die Pendlerpauschale und, als Sahnehäubchen, die Abwrackprämie.

"Lassen Sie sich nicht durch hohe Listenpreise abschrecken", rät das ADAC-Blatt seinen Lesern. "Sie brauchen kein großes Verhandlungsgeschick, um dem Verkäufer dieser Tage einen Nachlass abzuringen." Wesentlich größere Rabatte als gewohnt seien bei Neuwagen zurzeit die Regel. Zudem zeigten sich die Hersteller bei Sonderaktionen spendabel wie selten: Wer etwa jetzt einen neuen Opel kauft, zahlt zunächst nur die Hälfte, den Rest erst 2010.

Gewinner: Der Häuslebauer

Die Zinsen für Hypothekendarlehen sind so niedrig wie lange nicht. Ende Januar 2009 bot der Kreditvermittler Interhyp Hypothekendarlehen mit fünfjähriger Laufzeit zu einem Nominalzins von rekordverdächtigen 3,58 Prozent an. Wer sich die günstigen Konditionen für zehn oder gar 15 Jahre sichern will, fährt mit Zinssätzen um die vier Prozent immer noch gut. "Der Kauf einer Immobilie zur Eigennutzung scheint gerade in diesen unsicheren Zeiten die beste und sicherste Anlage des Eigenkapitals zu sein und noch dazu die langfristig attraktivste Altersvorsorge", wirbt Interhyp-Vorstand Robert Haselsteiner. Selbst wer schon einen Kredit laufen hat, dessen Zinsbindungsfrist bald endet, kann profitieren. Viele Kreditvermittler offerieren Forward-Darlehen, über die sich Häuslebauer die günstigen Zinsen schon jetzt für einen längeren Zeitraum sichern können.

Gewinner: Die Couch Potato

Laut Umfragen verzichten viele Menschen in der Krise auf teure Fernreisen. Sie verbringen ihren Urlaub in Deutschland oder bleiben gleich zu Hause. Gute Zeiten also für all diejenigen, die das heimische Sofa schon immer als ihren Lieblingsplatz ansahen. Cocooning ist angesagt. Damit könnte eine weitere kostengünstige Freizeitbeschäftigung zusammenhängen, die sich bequem in den eigenen vier Wänden erledigen lässt. Von den Effekten profitiert beispielsweise der britische Kondomhersteller Durex. Im zweiten Halbjahr 2008 stiegen seine Gewinne um mehr als 50 Prozent. Die Menschen hätten in der Krise einfach mehr Zeit, die sie zu Hause verbrächten, erklärt Finanzchef Jason Gissing die Steigerung.

Gewinner: Die Sicherheitsbewussten

Sie wussten es ja schon immer: Nichts ist mehr sicher auf dieser Welt, schon gar nicht die Banken. Wer schon seit jeher Misstrauen gegenüber großen Institutionen hegte, darf sich in der Krise bestätigt sehen. Deswegen nehmen besonders vorsichtige Sparer die Sicherheit ihres Geldvermögens in die eigene Hand. Das wiederum hilft Unternehmen wie dem Tresorbauer Rigi aus dem schweizerischen Arth. "Für uns ist die Krise keine Krise", heißt es dort. Im Gegenteil: Die Anfragen von Privatleuten nach Tresoren häuften sich. Dazu passt ein Bonmot, das von Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer überliefert ist. Profitieren könne jetzt vor allem eine besondere Spezies des produzierenden Gewerbes: die Gelddrucker. Für Unternehmen wie die Berliner Bundesdruckerei GmbH wären das gute Nachrichten.

Gewinner: Holzspielzeug 2.0

Web-2.0-Companies gehören in der Regel nicht zu den typischen Krisengewinnern. Eher schon solche Hersteller, die das Politmagazin "Cicero" der Kategorie "Holzspielzeug 2.0" zuordnet. Gemeint sind damit klassische Lowtech-Spielsachen, die sich vor allem in den USA derzeit zum Verkaufsrenner entwickeln. Nicht mehr Techno-Toys wie die X-Box oder die Playstation liegen demnach auf den Gabentischen im Silicon Valley, sondern klassische Holzspielzeuge wie "Lincoln Logs" oder "Colorforms"-Malkästen. Psychologen nennen diese Entwicklung "Back to the toy box". Ihr Ursprung ist leicht nachzuvollziehen: Die heutige Elterngeneration kennt die Artikel aus der eigenen Jugend und verbindet damit sorgenfreie Erinnerungen aus einer Zeit lange vor der Krise.

Gewinner: Die Bildung

Ausgerechnet in der Krise entdeckt die große Koalition den lange vernachlässigten Bildungssektor. Im Rahmen des Konjunkturpakets II stellt sie Städten und Gemeinden noch im laufenden Jahr zehn Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung. Weitere 3,3 Milliarden Euro werden bis Ende 2010 von den Ländern hinzukommen. Die Mittel sollen zu 65 Prozent in die Bildung fließen. So plant die Bundesregierung etwa, Kindergärten, Schulen und Universitäten zu sanieren. Auch wenn Kommunalpolitiker wie der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude solche Investitionen als überfällig klassifizieren: Die zum Teil durchaus marode Infrastruktur im deutschen Bildungssystem könnte am meisten von der Krise profitieren.

Gewinner: Karl Marx

Die Kapitalismuskritik von Karl Marx gewinnt in der Krise offenbar neue Anhänger. So berichtet der Berliner Karl-Dietz-Verlag, der die Bücher von Marx und Friedrich Engels verlegt, von einer deutlich gestiegenen Nachfrage. "Marx ist wieder in Mode", glaubt Geschäftsführer Jörn Schütrumpf. In schlechten Zeiten wollten wieder mehr Menschen wissen, wie der Kapitalismus funktioniere. Sie wollten es wissen, seitdem dieser Kapitalismus nicht mehr die meisten Menschen reicher, sondern viele ärmer mache.

Distanz schafft Klarheit

"Mein Motto für schwierige oder krisenhafte Situationen lautet: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird - das gilt sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Ich setze es mir zum Ziel, die notwendige Distanz zu den Themen zu finden. Wenn man sich eine gewisse Zeit ernsthaft und distanziert mit einer herausfordernden Situation beschäftigt hat, kommt in den meisten Fällen die Erkenntnis, dass ein Problem kleiner als gedacht und zu bewältigen ist."