Computerprognose:

Krieg und Frieden

27.07.1979

PITTSBURGH/USA - Die Vorhersage wahrscheinlicher Änderungen in der Politik einzelner Länder in Krisenzeiten durch ein computerunterstütztes statistisches Verfahren kann innerhalb von zwei Jahren zu einem praktisch anwendbaren Hilfsmittel der amerikanischen Regierung werden. Diese Ansicht vertrat George T. Duncan, Statistiker an der Carnegie-Mellon University, der im Rahmen eines Forschungsauftrags des Verteidigungsministeriums zwei Jahre lang an der Entwicklung des Verfahrens gearbeitet hat.

Duncan, der sich gegenwärtig mit "passiver Prognose" beschäftigt, erklärte, die nächste Phase seiner Forschungsarbeiten bestünde in dem Versuch, die Auswirkung verschiedener Vorgänge auf eine gegebene politische Situation zu bestimmen: "Zur Zeit fühlen wir uns in der Rolle eines Marsbewohners, der auf die Erde heruntersieht und sich vorzustellen versucht, was sich dort abspielen wird . . . sozusagen als interessierter Zuschauer", sagte er.

Bis jetzt hat er mit seiner "passiven Prognose" mit hoher Treffsicherheit eine Reihe von weltpolitischen Ereignissen vorausgesagt, darunter die Aktionen, die auf Israels Eindringen in Syrien am 15. März 1978 folgten. "Unsere Untersuchung ergab mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Eskalation bis zum Kriegszustand zwischen Israel und Syrien", stellte Duncan fest, "und gerade in diesem Augenblick entsandten die Vereinten Nationen eine Friedenstruppe zur Trennung der kampfbereiten Armeen".

In enger Zusammenarbeit mit der University of Minnesota befaßt sich Duncan zur Zeit mit der angespannten Situation in Südsimbabwe, wobei er sich ebenfalls der passiven Prognosemethode bedient.

Da aber die nationalen Regierungen oft nicht einfach "interessierte Zuschauer" in Fragen der internationalen Politik sind und den Gang des Geschehens durch Eingriffe in die Politik beeinflussen können, wollen Duncan und seine Mitarbeiter eine Methode entwickeln, die eine Analyse der wahrscheinlichen Auswirkungen bestimmter politischer Alternativen ermöglicht.

Duncan hat die internationale Politik seit langem beobachtet und begann das Projekt mit der Absicht, die Beobachter der internationalen Szene zu einer umfassenden Berücksichtigung der Unsicherheit bei der Erstellung von Prognosen der internationalen Beziehungen zu veranlassen.

"Ich hatte die Absicht, explizit die Ideen der Wahrscheinlichkeit in die Untersuchungen einzuführen", erklärte er, "und wollte sicher sein, daß die probabilistischen Aspekte nicht vernachlässigt werden, wenn die amtlich beauftragten Beobachter der politischen Szene an ihre Regierung berichten."

Weniger abenteuerliche Aktionen

Duncan ist überzeugt, daß seine Forschungen - falls sie Erfolg haben - anstelle eines emotionalen ein rational betontes Reagieren auf politische Ereignisse zur Folge haben werden: "Ich glaube, es würde wesentlich weniger abenteuerliche Aktionen in internationalem Maßstab geben, wenn eine bessere Kenntnis von Alternativen und ihren Folgen bestehen würde."

Zur Berechnung seiner Prognosen verwendet Duncan ein 512-K-Byte-System DEC-2050 von Carnegie-Mellon und einen 975 Zeilen/Min.-Drucker LP20F von Dataproducts, die über eine Bildschirm-Datenstation Modell 1100 Fox von Perkin-Elmer zugänglich sind.

Die Eingabedaten stammen von den Beobachtern der internationalen Szene. Zu diesem Zweck werden ihnen von einem Computerprogramm erstellte Fragebogen vorgelegt. Das Programm wurde von Duncans beiden wissenschaftlichen Assistenten geschrieben.

Den Beobachtern werden "ziemlich leicht zu beantwortende" Fragen über die ihrer Ansicht nach eintretenden Entwicklungen gestellt. Beispielsweise kann ein Beobachter die folgende Frage gestellt bekommen: "Wenn in einer bestimmten Situation einer der folgenden fünf Umstände eintreten kann, würden Sie die Wahrscheinlichkeit, daß Fall 1 eintritt, mit welchem der angegebenen Prozentsätze bezeichnen?"

Die Antworten dienen dann zur Berechnung der Parameter eines probabilistischen Modells, das man Markowsches Erneuerungsmodell nennt. Mit Hilfe dieses Modells wird dann die Kurzfristprognose bis zu 30 Tage im voraus erzeugt.

Vorhersageperiode von 30 Tagen

Jede Prognose gibt dann die Wahrscheinlichkeit dafür an, daß das untersuchte geographisch-politische Gebiet an einem bestimmten Tag in dem angegebenen Zustand ist. Das Forschungsteam legt eine Vorhersageperiode von 30 Tagen zugrunde, weil das internationale System so dynamisch und Strukturänderungen ausgesetzt ist, daß Prognosen über 30 Tage in die Zukunft hinaus nicht mehr brauchbar wären.

Zusätzlich zu der Prognose, die auf den Antworten der Beobachter beruht modifiziert das Programm die ursprünglichen subjektiven Beurteilungen der Beobachter aufgrund der eingehenden Daten im Standard-Updating-Modus nach Bayes.

Zur Vorhersage von Krieg und Frieden unter den Nationen wurden zwar schon früher Computer eingesetzt, doch waren die Methoden ausschließlich statistisch orientiert, wohingegen Duncans Verfahren sich in starkem Maße auf die subjektiven Meinungen der Beobachter internationaler Beziehungen stützt, die dann mit den statistischen Daten kombiniert werden.

Quelle: COMPUTERWORLD, 4. Juni 1979, S. 30 (Technique Aids Forecasting of Political Crises)