CPM Liga gegen MS-DOS-Club gegen Unix gegen Oasis gegen Turbodos gegen...

Krieg der Betriebssysteme nicht ausgestanden

21.09.1984

FRANKFURT (CW) - "Betriebssysteme sollen alles können, ähnlich der eierlegenden Wollmilchsau als Wunschzüchtung der Landwirtschaft", schrieb Helmut Krayer 1976 in der Sperry-Zeitschrift "Datascope". Obwohl es damals um Großcomputer ging, ist die Situation am Mark für Mikrocomputer-Betriebssysteme heute nicht anders. In ihrem jüngsten Management Report setzt sich die Diebold Deutschland GmbH, Frankfurt, mit der Mikro-Systemsoftware auseinander.

Manche Anbieter von Mikrocomputern suchen den Eindruck zu erwecken, daß für den Benutzer des Betriebssystems CP/M "paradiesische Zustände" herrschen, weil er dafür Anwendungsprogramme "an jeder Straßenecke" erwerben könne. Doch dieses Paradies hat seine Tücken: Zwar wurde CP/M weltweit schätzungsweise 500 000 mal installiert - jedoch in unterschiedlichen Versionen. Und genau dort beginnt das Problem.

Zwar gibt es Gründe dafür:

- Die unterschiedlichen Konfigurationen der verschiedenen Computer-Systeme

- Die technische Weiterentwicklung der Mikroprozessoren, die ständig zur "Anpassung" der Betriebssysteme zwingt

- Der Trend zu Mehrbenutzer-(Multi-user-) Systemen, die andere Anforderungen an das Betriebssystem stellen als eine Einplatz-Anlage (Singleuser-System).

Eine CP/M-Version, die für einen Mikrocomputer mit einem Bildschirmgerät des Typs "X", einem Typenrad-Drucker "Y" und Disketten-Laufwerken des Produzenten "Z" entwickelt wurde, läßt sich nicht ohne weiteres auf einen Mikrocomputer übertragen, der ein Bildschirmgerät des Typs A, einen Nadel-Drucker "B" und eine Festplatte von Produzent "C" besitzt. Zwar läßt sich ein Betriebssystem nachträglich einem Computer "anpassen". Das aber ist teilweise mit erheblichem Aufwand - für Anbieter oder Anwender - verbunden. Aber auch das geht nur, wenn der Computer mit dem "richtigen" Mikroprozessor arbeitet.

Ein Blick in die Historie von CP/M gibt mancherlei Aufschlüsse. CP/M wurde von Digital Research ursprünglich als reines Dateiverwaltungs-Programm für ein Mikroprozessor-Entwicklungssystem von Intel konzipiert und bereits 1975 erstmals auf dem Markt angeboten. Damals arbeiteten Kleincomputer nur mit 8-Bit-Prozessoren; inzwischen gibt es aber auch Computer mit 16-Bit-, 8/16-Bit- und 16-/32-Bit-Prozessoren.

Im Laufe der Jahre wurde CP/M mehrfach erweitert und verbessert, so daß heute eine Vielzahl von Versionen (sogenannten Releases) existiert. Hinzukommen Varianten wie CDOS von Cromenco oder KOS von Kontron. Fachleute glauben, daß heute die Version 2.2 den größten Verbreitungsgrad von CP/M erreicht hat. Dementsprechend sind dafür auch die meisten Anwendungsprogramme auf dem Markt. Für den potentiellen Anwender stellt sich jedoch die Frage, ob er nicht lieber die neuere Version 3.0 nehmen sollte, die Verbesserungen - auch im Zeitverhalten - aufweist.

Nicht alle Versionen für alle Mikros verfügbar

Ein anderes Handicap ist, daß nicht alle Versionen für sämtliche Mikrocomputer verfügbar sind, eine Tatsache, die für Betriebssysteme ganz allgemein gilt. Somit ist die Auswahl im konkreten Falle gar nicht so groß. Kaum Auswahlmöglichkeiten hat der Anwender zum Beispiel, wenn er ein Terminal, ein Textsystem oder ein Fotosatzsystem mit "aufgepfropftem" Betriebssystem erwirbt; denn hierbei wird ihm in der Regel nur ein einziges Betriebssystem angeboten. Meist handelt es sich dabei um CP/M; so offeriert zum Beispiel Sperry sein Terminal UTS 30 ebenso mit CP/M wie CPT seine Textsysteme und Berthold einige der Fotosatzanlagen.

Da CP/M nur mit 8-Bit-Prozessoren arbeitet, entwickelte Digital Research CP/M-86, das 16-Bit- und 8/16-Bit-Prozessoren (Intel 8086 und 8088) unterstützt. Auch hier gibt es schon wieder "spezielle Varianten", beispielsweise CP/M-68 für den Mikroprozessor MC 68000. CP/M und CP/M-86 laufen jedoch nur auf Einplatz-Anlagen. Und das gilt auch für Concurrent CP/M-86 (CCP/M-86), ein Multitasking-Betriebssystem, bei dem der Benutzer quasi gleichzeitig mehrere Programme abwickeln kann. Hiervon liegt zur Zeit die Version 3.1 vor.

Betriebssystem mit Turbo und Netz

Mehrplatz-Betriebssysteme auf der Basis von 8-Bit-Prozessoren (8080/Z80) haben ihre Probleme. So hatte Digital Research MP/M entwickelt, das nicht nur Kinderkrankheiten zu überwinden hatte. Ein grundsätzlicher Mangel bleibt nämlich: MP/M verteilt die Rechnerleistung nach dem Timesharing-(Zeitteilungs-) Prinzip auf die einzelnen Arbeitsplätze (Bildschirmgeräte); ein 8-Bit-Prozessor verfügt jedoch nicht über viel Leistung, die sich verteilen ließe. Deshalb entwickelte man MP/M-86 für 16-Bit-Prozessoren (8086/8088) sowie CP/Net, das einen zentralen (mit MP/M betriebenen) Computer mit mehreren Computern verbindet, die unter CP/M laufen.

Eigene Wege ging Philips. Als das Unternehmen 1982 bekanntgab, man habe "als Vorbereitung auf die bevorstehende Einführung einer völlig neuen Generation professioneller Mikrocomputer" von der Software 2000 Inc. die Lizenz für das Betriebssystem Turbodos erworben, war das reichlich ungewöhnlich denn normalerweise kündigt man ein Betriebssystem frühestens mit der Hardware an. Ausschlaggebend für Turbodos war bei Philips die Kompatibilität zu CP/M 2.2 und MP/M-II, die es erlaubt, unter diesen Betriebssystemen laufende Anwendungsprogramme beträchtlich schneller abzuwickeln und gleichzeitig den Speicherbedarf um bis zu 35 von Hundert zu verringern.

Für Turbodos hat sich dann auch Kneiser & Doering entschieden, weil man damit - wie es bei der Ankündigung hieß - sehr gute Inhouse-Netze aufbauen kann, wobei jeder Benutzer in einem solchen Mehrplatzsystem seinen eigenen Z-80-Prozessor hat. Um den Einwand, wie man ein neues System mit alten" 8-Bit-Prozessoren auf den Markt bringen könne, von vornherein zu entkräften, schrieb Philips bereits bei der Ankündigung: "Obwohl Turbodos speziell für Mikrocomputer-Systeme auf Z-80A-Basis entwickelt wurde, wird Philips 1984 weitere Releases bekanntgeben, die wahlweise 8- und 16-Bit-Mikroprozessoren unterstützen, wobei kein Eingriff in die System-Architektur erforderlich ist, da das System schon heute über einen 18-Bit-Multibusverfügt".

"Industrie-Standards" durch Herdentrieb

Turbodos offeriert inzwischen auch Sharp für das System MZ-3500 - alternativ zu EOS. Und EOS, ein in Deutschland entwickeltes Betriebssystem (weshalb es auch mit dem Benutzer in deutscher Sprache kommuniziert), ist ebenfalls ein CP/M-Konkurrent. Es wurde in der Programmiersprache "C" geschrieben und weist einen zu CP/M 3.1 erweiterten Befehlsvorrat auf.

Hatten manche Anbieter "CP/M" lange Zeit "Industrie-Standard" bezeichnet, weil es am meisten eingesetzt war, so müssen sie sich jetzt mit einem zweiten "Industrie-Standard" abfinden. Denn seit IBMs Eintritt in den Markt der Mikrocomputer, der eine Flut von Angeboten IBM-kompatibler PCs auslöste, bekommt das bis dato weit zurückliegende Betriebssystem MS-DOS starken Auftrieb.

MS-DOS ist zwar auch nur für Einplatz-Systeme, allerdings für 16-Bitbeziehungsweise 8/16-Bit-Prozessoren. Entwickelt wurde es von Tim Paterson für den Intel-Prozessor 8086 und kam unter der Bezeichnung SCP DOS-86 auf den Markt. Dann erwarb Microsoft die Rechte an diesem Betriebssystem und gab ihm den Namen MS-DOS (von dem amerikanischen Software-Distributor Lifeboat Associates wird es unter dem Namen. SB-86 vertrieben). Als sich die IBM entschloß, MS-DOS auf ihrem PC einzusetzen, gab es dem Betriebssystem (um die Anwender zu verwirren?) den Namen PC-DOS.

Genau wie beim Pendant MS-DOS gibt es beim PC-DOS verschiedene Releases. Und hier liegt für den potentiellen Anwender möglicherweise eine Stolperschwelle beim Umstieg auf einen "IBM-kompatiblen-PC". Wenn er beispielsweise mit einem IBM PC und dem Release 2.0 gearbeitet hat und steigt dann auf einen - eventuell sogar leistungsfähigeren - "Kompatiblen" um, dessen Betriebssystem zum Release 1.1 kompatibel ist, so macht er anwendungsmäßig gesehen einen Rückschritt und kann unter anderem seine Druck-Ausgabe nicht mehr im Hintergrund laufen lassen.

Neuerdings will CP/M-Schöpfer Digital Research das PC-DOS mit dem Betriebssystem Concurrent das ausbooten, unter dem gleichzeitig bis zu vier PC-DOS- oder CP/M-Anwendungsprogramme laufen können. Damit könnte Digital Research einen neuen Trend einleiten. Da nämlich CP/M und MS-DOS nicht kompatibel sind, zwingt der Krieg zwischen der "CP/M-Liga" und dem "MS-DOS-Club" die Mikrocomputeranbieter, für ihre Produkte mehrere Betriebssysteme anzubieten.

Keine Standards

So ist der IBM PC auch mit CP/M-86 lieferbar und auf dem M20 von Olivetti sind außer dem "hauseigenen" PCOS auch CP/M-86 und MS-DOS lauffähig; was den Anbieter veranlaßt, von "Betriebssystemen á la carte zu sprechen. Burroughs hingegen spricht von Quasi-Industriestandard-Betriebssystemen und offeriert zusätzlich zum eigenen BTOS ebenfalls CP/M-86 und MS-DOS. Ähnlich tönt Siemens bei seinem PC 16: "Angeboten werden Betriebssysteme, die sich am Markt für Mikrocomputer durchgesetzt haben und standardisiert sind". Angeboten werden jedoch nur CP/M-86 und CCP/M-86 - während man die Arbeitsplatz-Computer Transdata 9780/9781 mit der Unix-Variante SINIX liefert.

Abgesehen davon, daß es bei den Betriebssystemen keine Standards gibt, müßte man schon hinzufügen, auf welche Systeme/Prozessoren sich der Standard beziehen soll; denn ein Standard für 8-Bit-Systeme kann nicht gleichzeitig Standard für 16- oder 32-Bit-Systeme sein. Sehr deutlich zeigt sich das bei Computerherstellern, die unterschiedliche Systeme anbieten. Nehmen wir zum Beispiel Altos: Zum 8-Bit-System (ACS 580 mit Z 80A) werden CP/M, MP/M-II und Oasis-8 offeriert; zum 16-Bit-System (ACS 586 mit Intel 8086) MP/M-86, Xenix (eine Unix-Variante), Pick und Oasis-16; zum 16-/32-Bit-System (ACS 69000 mit Motorola 68000) Unix System III.

Obwohl Oasis auf verschiedenen Kleincomputern - beispielsweise auch von Kontron - läuft und es auch branchenneutrale und branchenspezifische Anwendungssoftware dafür gibt, ist das hierzulande von mbp vertriebene Betriebssystem bei EDV-Aspiranten weitgehend unbekannt.

Das von der amerikanischen Phase One Systems Inc. entwickelte Betriebssystem Oasis (Online Application System Interactive Software) ist für 8-Bit- und für 16-Bit-Prozessoren - Z80, 8088, 8086, 68000 - verfügbar und kann sowohl bei Einplatz-Anlagen als auch bei Mehrbenutzer-Systemen eingesetzt werden.

Nun mag Oasis zwar ein gutes Betriebssystem sein, aber es läßt sich nicht bestreiten, daß der Anwender sich damit gewissermaßen isoliert; sprich: er hat keine große Auswahl bei der Hardware und kann deshalb auch nicht so leicht auf- oder umsteigen (wenn man einmal davon absieht, daß Altos dem eigenen Anwender mit "Run Time" die Möglichkeit bietet, ihre bestehenden Oasis-Programme beim Aufstieg unter Unix laufen zu lassen), außerdem muß er selbst programmieren, wenn er in dem kleinen Bestand an fertigen Programmen nichts Passendes findet.

Gleiches gilt im Prinzip für das Betriebssystem UCSD-p. Allerdings ist UCSD-p, das auch für den IBM PC verfügbar ist, in erster Linie für professionelle Softwareentwickler gedacht und wird deshalb auch mit Pascal- oder Fortran-Compiler geliefert; das heißt, für den computernden Handwerksmeister kommt es wohl weniger in Frage.

Das trifft aber ebenso auf das von der GMD und dem Hochschulrechenzentrum Bielefeld entwickelte Betriebssystem Eumel zu, ein Mehrbenutzer-System mit integrierter Programmier-Sprache Elan (Elementary Language). Wenig verbreitet sind auch das Mehrbenutzer-Betriebssystem Famos der Microcomputer Systems Inc. (für Z-80-Prozessoren) und das Mehrbenutzer-Betriebssystem PDOS, das für Prozessoren der Serien MC 6800 und TI 9900 entwickelt wurde und speziell für Echtzeit-Anwendungen ausgelegt ist.

Betriebssystem auf Hardware verformt

Sicherlich gibt es für diese und viele andere Betriebssysteme ohne großen Verbreitungsgrad bestimmte Marktnischen, das heißt Anwendungen, bei denen diese Betriebssysteme besonders geeignet sind und der Nachteil der "Isolierung" keine allzu große Rolle spielt. Der normale Anwender braucht solche Betriebssysteme nicht einzusetzen, sondern kann auf andere ausweichen.

Fraglich ist jedoch, ob er eines dieser (Hardware-) herstellereigenen Betriebssysteme wählen sollte, die die Anbieter meist "an erster Stelle" offerieren. Zwar nutzt dieses Betriebssystem - möglicherweise die Leistung der Hardware besonders gut aus, aber dafür gibt es meist nur wenig oder gar keine Anwendungsprogramme, Oftmals verbergen sich hinter diesen herstellereigenen Betriebssystemen eingekaufte "fremde" Betriebssysteme. Aber das nützt dem Anwender selbst dann nichts, wenn er den ursprünglichen Softwareentwickler herausfindet, weil der Käufer (der Hardwarelieferant) mit Sicherheit das Betriebssystem auf seine Hardware hin "verformt" hat.