Hat Big Blue Gesundheitsgefährdung durch giftige Substanzen verschwiegen?

Krebskranke Ex-Mitarbeiter verklagen IBM

10.10.2003
MÜNCHEN (CW) - Die Klage mehrerer ehemaliger IBM-Mitarbeiter sowie der Angehörigen einer mittlerweile verstorbenen Kollegin gegen das Unternehmen könnte Sprengstoff für die gesamte Chipindustrie in sich bergen.

In der Anhörung vor einem Gericht in San José hat Richter Robert Baines die Klage der ehemaligen IBM-Angestellten für zulässig erklärt. In dieser wird das Unternehmen beschuldigt, den in ihren Halbleiterfabriken arbeitenden Mitarbeitern verschwiegen zu haben, dass sie dort gesundheitsgefährdenden Substanzen ausgesetzt waren. Diese seien für teilweise seltene Formen von Krebserkrankungen verantwortlich. IBM-Chef Samuel Palmisano sieht sich in dieser Angelegenheit mit inzwischen rund 200 Klagebegehren konfrontiert. Über deren Zulässigkeit ist allerdings noch nicht entschieden worden. Aus dem Verlauf und Ausgang der jetzigen Klage könnten sich Konsequenzen auch für andere IT-Hersteller ergeben.

Der weltgrößte Chiphersteller Intel sowie Infineon haben unterdessen erklärt, sie sähen einer möglichen Klage gelassen entgegen. In ihren Produktionsstätten würden höchste Sicherheitsvorkehrungen eingehalten, um Mitarbeiter vor schädlichen Substanzen zu schützen.

Zu den Klägern gegen IBM gehören auch die Verwandten von Suzanne Rubio. Sie hatte einem Bericht des "Wall Street Journal" zufolge in einer Fertigungsstätte von Big Blue fünf Jahre lang Festplatten zusammengebaut und geprüft. Dann diagnostizierten Ärzte bei ihr einen Hirntumor. Sie arbeitete noch zwei Jahre, unterzog sich gleichzeitig einer medizinischen Behandlung, starb aber 1991.

Ihre Verwandten sowie weitere betroffene ehemalige IBM-Angestellte haben nun Klage gegen Big Blue eingereicht. Sie beschuldigen das Unternehmen, sie nicht nur den krebserrregenden Substanzen ausgesetzt, sondern auch über die Gesundheitsrisiken belogen zu haben. IBM sagte, die Klage sei ohne Substanz und müsse abgewiesen werden.

Eingereichten Unterlagen zufolge traten bei Hunderten von IBM-Mitarbeitern im Alter zwischen 30 und über 50 Jahren zum Teil seltene Krebsausprägungen auf. IBM selbst führte eine "Unternehmens-Mortalitätsliste", in der die Tode von 30000 Mitarbeitern dokumentiert sind. Diese Liste, so IBM, sollte allerdings nur die Unterstützung von Hinterbliebenen erleichtern.

Experten sind sich uneinig darüber, ob zwischen dem Einsatz toxischer Mittel etwa in Halbleiterproduktionsstätten und dem Ausbruch von Krebserkrankungen ein Zusammenhang herzustellen ist. Richard Clapp, ein Wissenschaftler, der über die Entstehung und Verbreitung von Krankheiten an der Boston University forscht, hat die Mortalitätsliste für die Klageführenden überprüft und gesagt, die Aufzeichnungen zeigten eine signifikant erhöhte Zahl von Krebstoten unter jungen Arbeitern. IBM hätte, so der Epidemiologe weiter, diesen Trend bereits seit 1975 bei Männern und ab 1985 auch bei Frauen entdecken können.

Die IBM-Mitarbeiter waren Trichloräthylen, Cadmium, Toluol, Benzol und Arsen ausgesetzt, schreibt das "Wall Street Journal".

Alan Bender, Mediziner am Minnesota Department of Health, vertritt hingegen die Meinung, dass zu viele andere Faktoren die Ursachenforschung erschweren würden. Die Klage berücksichtige etwa nicht die Frage, inwieweit Kläger auch durch Rauchen gesundheitliche Schäden davontrugen. Auch etwaige genetische Dispositionen könnten schuld an einer Krebserkrankung sein. Bender, der nicht mit IBM in einem Interessenverhältnis steht, urteilte über die Analyse Clapps, sie beweise lediglich, dass "Statistiken zu nichts taugen". (jm)