High-Tech-Mitarbeiter mit guter Personalpolitik ans Unternehmen binden:

Kreativität der DV-Künstler sollte nicht eingeengt werden

16.09.1988

*Dr. Wolfgang Looss ist Geschäftsführer der Conecta Partner GmbH in Frankfurt.

High-Tech-Mitarbeiter sind nach wie vor Mangelware. Gleichzeitig haben sie den Ruf, nur schwer führbar zu sein. Daher lohnt sich ein Blick auf die Möglichkeiten, die dem Unternehmen zur Verfügung stehen, DV-Spezialisten im Hause zu halten. Wolfgang Looss* beschreibt den "erfolgreichen Umgang" mit DV-Spezialisten.

Wer wüßte keine Beispiele von überraschendem Stellenwechsel im High-Tech-Bereich? Wer redet nicht von der hohen Fluktuation auf diesem Markt der technologischen Spitzenqualifikation? Wer kennt nicht die kolportierten Beispiele von Abwerbungen direkt auf dem Messestand? Welcher Personalleiter könnte nicht von den hohen Rekrutierungskosten für DV-Experten eine Menge erzählen.

Daß bei dem leergefegten Markt für diese Berufsgruppe der Softwareentwickler, Systemanalytiker und DV-Leiter die Gehälter enorme Sprünge machen und Steigerungsraten von 50 und mehr Prozent zur Tagesordnung gehören, ist marktwirtschaftlich erklärbar. Gleichzeitig gerät dadurch aber ein mühsam aufgebautes Gehaltsgefüge im Unternehmen durcheinander.

Kooperation mit dem Anwender ist heute gefragt

Die derzeit vorhandene DV-Qualifikation basiert immer noch in weiten Bereichen auf der klassischen Programmierung. Gleichzeitig werden aber schon weniger Programmierqualifikationen benötigt, wenn man folgende Tendenzen berücksichtigt: Die Hardware wird billiger und fördert damit die Dezentralisierung. Bei der Software nehmen Standardlösungen plus Adaptionen tendenziell zu, lediglich im Mini- und Mainframe-Bereich dominieren noch die Eigenentwicklungen. Verteilte DV-Kapazitäten in Netzstrukturen mit anwendernah plazierter Intelligenz und hoher Benutzerorientierung erfordern zukünftig weniger den genialen Programmierer oder Systemanalytiker als vielmehr den Betreuer, Berater und Implementierer von DV-Lösungen. Der Schwerpunkt der Tätigkeit verlagert sich auf die Kooperation mit einem Anwender, der seinerseits verbessertes Know-how hat und insgesamt selbstbewußter auftritt. Die Zeiten der "Versorgung" technisch unmündiger Fachabteilungen von einem zentralen DV-Punkt aus neigen sich dem Ende zu.

DV-Profis müssen mit Klischees leben

Damit entstehen aber veränderte Berufsrollen im DV-Bereich. Wir müssen zukünftig noch stärker unterscheiden zwischen dem Wissenschaftler-Künstler und dem Lehrer Berater-Betreuer. Dies hat Konsequenzen für die gesamte Führungstätigkeit und die zu schaffenden Karrierewege im Unternehmen. Damit sind Führungskräfte vor Ort ebenso angesprochen wie die Personalabteilungen.

Wirksame Führung setzt intime Kenntnis der zu führenden Zielgruppe voraus. Diese Allerweltsweisheit gilt um so mehr bei einer Berufsgruppe, deren Tätigkeit sich der beobachtenden Wahrnehmung und damit der Kontrolle weitgehend entzieht. Sowenig man einen Kunden zwingen kann, ein Produkt zu kaufen, kann man einen Wissenschaftler-Künstler zwingen, geniale Lösungen zu produzieren.

Es existieren klischeehafte Bilder über High-Tech-Experten. Von kontaktscheuen und introvertierten Tüftlern ist die Rede, die nie rechtzeitig fertig werden und ihre Arbeitsschritte schlecht dokumentieren. "Entwicklungsdiva" ist noch ein harmloser Ausdruck für dieses Bild. Von undisziplinierten Turnschuhträgern wird gesprochen, die Bärte tragen, mit Vorliebe nachts arbeiten und am nächsten Tag nicht zur Besprechung erscheinen.

In der rationalen und kontrollierbaren Welt eines Unternehmens fallen solche Verhaltensweisen offensichtlich auf, verlangen nach Angleichung und Disziplinierung oder Ausgrenzung in die häufig erwähnten "Garagenbetriebe".

Experten sind Wissenschaftler - Künstler in ökonomischen Arbeitszusammenhängen und stellen insofern schon einen sozialpsychologischen Widerspruch dar. Dieser verschärft sich, wenn man weitere Eigenheiten dieser Gruppe beleuchtet. Zu ihren besonderen Merkmalen zählt zunächst das Interesse für und der Spaß an Komplexität in jeder Form. Die Fähigkeit, sich in komplexe Strukturen zu vertiefen und sich gelegentlich dort zu verlieren, ist ihnen allen gemeinsam, unabhängig davon, ob es sich um Chip-Architektur, Datenstrukturen, Programme mit vielen tausenden von Zeilen oder andere Gegenstände handelt.

Der Wissenschaftler nähert sich dem Künstler

Das Hauptinteresse der Spezialisten ist es, zu analysieren, zu lernen, zu verstehen und - sofern noch nicht durch gelangweilte Reaktionen entmutigt - anderen möglichst alles weiter zu erklären. Diese Tätigkeit vollzieht sich zwangsläufig an der jeweils vordersten Front der Erkenntnis, weswegen das Schritthalten mit dem Stand des Wissens ihnen auch ein wichtiges Anliegen ist.

Man hat das Denken dieser Spezialisten einmal als "Kaleidoskopdenken" bezeichnet. Unordnung fordert ihre Kreativität heraus, sie reagieren mit Neugier nach dem Motto: "Mal sehen, was passiert, wenn wir...". Dieses Bestreben, immer wieder in Frage zu stellen, neu zu problematisieren, immer tiefer vorstoßen zu wollen in die Erhellung des Problems, stellt sicherlich eine dauernde Gefahr für alles Bestehende dar. Daß Entwicklung im DV-Bereich so schnell geht, daß Entwicklungskosten gar nicht wieder einzuspielen sind, hat mit diesem Streben zu tun.

Gleichzeitig leben Mitglieder dieser Berufsgruppe ständig mit der Qualität der Unsicherheit. Ihr Wissen ist fragil, vorläufig, bleibt immer revidierbar, und wenn es zur Wahrheit geronnen ist, verlieren sie das Interesse: "Nichts ist so uninteressant wie ein Programm, das läuft".

Im Bereich der Softwareentwicklung dämmert nun eine Phase herauf, die wegen der fortgeschrittenen Komplexität der Fragen und Lösungen sowie des technisch-quantitativ Machbaren den Übergang vom digitalen zum analogen Denken einläutet: Hochtalentierte Entwickler beschreiben ihre Arbeit schon deutlich in Begriffen, wie wir sie von Künstlern kennen. Ästhetik eines Programms als Kriterium für Lauffähigkeit, erfühlte Strukturen, bildhaftes "Herumwandern" in einem Gebäude aus Logik und wechselseitigen "Bezügen" sind Ausdrucksformen dieses Arbeitsstiles. Der Wissenschaftler nähert sich dem Künstler und wird wie dieser für seine Umgebung immer fremder und weniger durchschaubar. Salvadore Dali und Pablo Picasso haben wahrscheinlich mit einem hochkreativen Konstrukteur von Expertensystemen mehr gemein als ein "normaler" Ingenieur der Elektronik.

Nimmt der High-Tech-Experte sich selbst unter die Zucht der Disziplin, geht seine Kreativität verloren, jene nicht herstellbare Fähigkeit zur intuitiven Gesamtschau, die ihm erst die Lösung ermöglicht. Ein Experte/Künstler wird in der Tat nie "fertig", weil ihm der Zustand des "Fertigseins" nicht bekannt ist. Es gibt immer neue Rätsel und immer neue Möglichkeiten, das Kaleidoskop zu schütteln und zu drehen. In einer Welt, die eine verwertbare Lösung gemäß ökonomischen Prinzipien erwartet, ist dies natürlich nicht statthaft.

Kosten, Markt und Kunden interessieren Experten kaum

Viele Alltagsphänomene aus den Labors und DV-Arbeitszimmern belegen: Es gibt wohl keinen, der nicht nebenher seine persönliche Forschung betreibt, seinen nur ihm bekannten Fragestellungen nachgeht.

Experten sind nicht loyal gegenüber dem Haus, jedenfalls nicht ohne weiteres. Zunächst gilt ihre Loyalität dem Fachgebiet, dem Feld, den anderen Experten, mit denen sie sich als einzige noch verständigen können.

Die Kommunikation ist erschwert, weil dem Experten die Wichtigkeiten seiner Umgebung eigentlich egal sind. Kosten, Markt und Kunden, all das interessiert ihn nur mit Mühe, weil er natürlich begriffen hat, daß das Unternehmen ihm seine Tätigkeit erst ermöglicht, und er deswegen bestimmte Spielregeln irgendwie einhalten muß. Es fällt ihm jedoch schwer.

Die Motivation liegt in der Herausforderung

Zu verstehen, daß der Anwender eine Lösung für ein, und nur ein ganz bestimmtes Problem will, anstatt sich von den unendlich vielen Möglichkeiten faszinieren zu lassen, ist ihm nur unter Aufbietung aller Kräfte möglich. Und wenn dann ein Unternehmen kommt und ihm anbietet, frei und unbehelligt seinen Neigungen und Probleminteressen nachzugehen, ohne Rücksicht auf Kosten, Sachmittel und all die anderen Belange der Wirklichkeit, dann reicht die ohnehin nur begrenzte Bindung an eine Organisation oft nicht aus, dieser Verlockung zu widerstehen.

High-Tech-Experten sind nicht so sehr am Geld als Lebensunterhalt interessiert, es ist - wie vieles andere in ihrer Arbeit - eine Nebenbedingung. Die Motivation liegt in der Herausforderung durch ein Problem und in der Chance, dieses zu lösen.

Was interessiert, ist berufliches "Wachstum", Fortentwicklung der eigenen Kompetenz im Hinblick auf Wissen, Können, Erfahrungen, Arbeitsinhalte und Bedeutung des Untersuchungsgegenstandes.

"Karriere" als ein Erlebnisprozeß vollzieht sich also entlang anderer Dimensionen. Ein Unternehmen, das diesen Mitarbeitern weiterhin Dimensionen anbietet, die sie nicht interessieren, wird sie kaum halten können. Statussymbole, Privilegien, Macht und Geld sind nicht die Instrumente, die hier greifen. Gelegenheit zur Publikation, Weiterbildung, Studienreisen, Kongreßbesuche, Freiheit zur eigenen Forschung, Teilhabe an der breiten Entwicklung des Tätigkeitsbereiches sind wichtiger für den Experten.

Kontakt des Experten zur Alltagsrealität ist reduziert

So erleben viele von ihnen beispielsweise die Anwenderberatung als totes Ende ihrer Karriere, weil sie an die Alltagsprobleme gebunden werden, statt an der vordersten Front der Erkenntnis tätig zu sein. Diese Einschätzung ändert sich auch nicht durch Zuwachs an Geld, Macht oder Status.

Da gleichzeitig der Kontakt des Experten zur Alltagsrealität reduziert ist, und er das auch weiß, ist er außerdem daran interessiert, daß man ihm solche Dinge abnimmt. Das beginnt bei der Karriereberatung im Sinne des Aufzeigens von Entwicklungswegen. Experten wissen zwar, wodurch man in ihrem Feld vorankommt, sie wissen jedoch nicht, wo durch man in der jeweiligen Firma vorankommt.

Konkrete Hilfe bei so alltäglichen Dingen wie Geldanlage, Wohnraumbeschaffung, Urlaubsplanung, Regelung familiärer Angelegenheiten sind etwas, was sich diese Mitarbeiter-Gruppe von ihrem Unternehmen wünscht. Sie wollen diese Art der Betreuung auf allen Lebensbereichen, die ihnen selbst eher fremd sind. Daß diese Art der Zuwendung behutsam geschehen muß und mit tiefer Kenntnis der jeweiligen Person, versteht sich. Ein Unternehmen, das auch dann nur wieder seine eigenen Wertvorstellungen ausleben will, wird den Spezialisten eher verschrecken.

Hier zeigt sich, warum Personalentwicklung und Karriereplanung in High-Tech-Unternehmen so weit fortgeschritten sind: Die Mitarbeiter haben einfach weniger dagegen, daß der Betrieb sich in ihr Leben einmischt.

DV-Profis wünschen sanfte Betreuung

High-Tech-Mitarbeiter wünschen sich von ihren Chefs vor allem, daß diese schnelle Entscheidungen treffen, keine Konflikte aufkommen lassen und dafür sorgen, daß die Dinge laufen, die der Mitarbeiter selbst nicht gut leisten kann: Außenvertretung, Kundengespräche, Verhandlungen und alle Situationen, in denen man sich in den Gegensatz zu anderen begeben muß. Nur eines braucht der Chef nicht zu sein: Fachexperte. Bevorzugt als Vorgesetzter wird der "General Manager". Führung stellt sich damit als "sanfte Betreuung" für alle Betroffenen dar.

Kritik an Kompetenz kann Motivation zerstören

Weniger die Zielvereinbarung ist es, die den Spezialisten interessiert, als vielmehr die Erlaubnis, sich mit diesem und jenem beschäftigen zu können. Anerkennung sucht er für alles, was er erforscht hat, weniger dafür, daß ihm nun die Lösung dieser oder jener vorgegebenen Problemstellung gelungen ist.

Laute Feiern mit großen Ehrungen mag er ohnehin nicht. Kritik, die nicht sein Fachgebiet betrifft, erlebt er nicht als solche, sie fällt für ihn unter den Lärm der Umwelt, die ihm mal wieder klar macht, daß er nicht so funktioniert, wie er nach den Erwartungen eigentlich sollte. Empfindsam ist er jedoch, was die eigene Kompetenz und Qualifikation angeht. Kritik an dieser Stelle trifft ihn sehr und kann die Motivation völlig zerstören.

Führungskraft kommt Vermittlungsfunktion zu

Hauptaufgabe der Führungskraft im direkten Kontakt ist es, dem Experten die allgemeine Vision, das Leitbild oder die grobe Zielvorstellung des Unternehmens zu vermitteln. Eine nach klassischen Formen der Corporate Identity aufgestellte Unternehmensphilosophie gehört für den Experten zu den Randerscheinungen des Lebens.

Wenn sie für ihn eine kohäsive Kraft entwickeln soll, muß sie von ihm in seiner Arbeit und in der Erfahrung seiner täglichen Realität erlebt werden. Diese Vermittlungsfunktion kommt in hohem Maße der Führungskraft zu. Der Vorgesetzte ist als "Coach für Nichtfachliches" sozusagen am dichtesten dran.

Personalpolitik für High-Tech-Mitarbeiter

* Binde ihn vielfach, aber sehr flexibel ein.

* Reduziere die Kontrollrituale, sie greifen ohnehin nicht.

* Setze ihm die Markierungen für Erfolg und Zeit von außen, weil er sie selbst nicht setzen kann.

* Zeige ihm, was die Firma ihm für Pfade der Entwicklung bietet. Verzichte dabei auf die gängigen Versatzstücke für Karriere wie Macht und Geld. Benutze Dimensionen, die ihn interessieren.