"Enronitis": IT-Firmen stehen am Pranger

Kreative Buchführung

22.02.2002
MÜNCHEN (CW/IDG) - Nach der skandalträchtigen Pleite der Mischkonzerns Enron ist die US-Börsenaufsicht SEC alarmiert. Die Behörde, aber auch viele Analysten und Journalisten stellen immer mehr Firmen bohrende Fragen zu ihren testierten Abschlüssen. Das Wort von der "Enronitis" macht die Runde. Betroffen sind vor allem auch IT-Unternehmen.

Nur von Verdachtsmomenten oder gar Spekulationen interessierter Analysten- und Journalistenkreise kann zumindest in der US-amerikanischen Telco-Industrie keine Rede mehr sein. Denn die Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) dürfte nicht ohne Grund ihre Untersuchungen gegen die Buchungspraktiken heimischer TK-Anbieter ausgeweitet haben. Nach dem unter Gläubigerschutz stehenden Glasfasernetzbetreiber Global Crossing, der im Verdacht von Scheingeschäften und damit Bilanzfälschung steht, hat nun auch Qwest "Post" von der SEC bekommen. Die Gesellschaft soll Dokumente über einzelne Transaktionen mit Global Crossing offen legen. Der Vorwurf, der zumindest inoffiziell im Raum steht, bezieht sich ebenfalls auf die gegenseitige Vermietung von Leitungskapazitäten, deren vorgeblicher Erlös jeweils als Umsatz verbucht wurde, obwohl kein Geld geflossen sei. Gleichzeitig soll Qwest dem Internet-Service-Provider KMC für insgesamt 450 Millionen Dollar Equipment verkauft haben - mit der Zusage, als Gegenschäft Dienstleistungen in gleichem Umfang zu beziehen.

Nach dem dramatischen Geschäftseinbruch im vergangenen Jahr droht nun jedenfalls der Branche weiteres Ungemach. Die - im Falle von Global Crossing - bereits offiziell von der SEC und dem FBI aufgenommenen Ermittlungen lassen jedenfalls unter Anlegern weltweit die Befürchtung aufkommen, dass der eine oder andere Börsenliebling von gestern mit Hilfe "kreativer Buchführung" einen Schleier über seine letztlich doch nicht ganz so erfolgreichen Geschäfte gelegt hat.

Alles andere als ein geschicktes Timing war in diesem Zusammenhang natürlich auch die Meldung, mit der der angeschlagene Telco-Ausrüster Nortel Networks vergangene Woche aufwarten musste. Dort trennte man sich Knall auf Fall von dem erst Ende vergangenen Jahres ernannten Finanzchef Terry Hungle, dem Insidergeschäfte vorgeworfen werden. Prompt war man bei Nortel auch bemüht, dem Eindruck entgegenzuwirken, man sei das kanadische Pendant zu Enron. "Es gibt keine Diskussionen mit den Aufsichtsbehörden über das Unternehmen Nortel, seine Geschäftstätigkeit oder seine Finanzberichterstattung", teilte die auch an der New York Stock Exchange (Nyse) gelistete Company mit.

Auch Microsoft und IBM im VisierDoch besagte "Enronitis" scheint immer größere Kreise zu ziehen. So stehen inzwischen auch der Telco-Ausrüster Qualcomm, der Grafikchip-Hersteller Nvidia, das Internet-Kaufhaus und Maklerbüro Homestore.com und selbst Branchenprimus IBM am Pranger. Und noch zwei andere, nicht ganz unbebekannte Player der IT-Industrie: Microsoft und Cisco Systems. Die SEC untersucht jedenfalls nach Angaben des "Wall Street Journal" immer noch angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Gates-Company, wonach der Softwareriese Anfang bis Mitte der 90er Jahre Gewinne "gebunkert" haben soll, um sie nun zur Schönung der Ergebnisse zu verwenden.

Ob sich Netzprimus Cisco demnächst unangenehme Fragen von der SEC gefallen lassen muss, bleibt noch dahingestellt. Doch auch bei den Kaliforniern wird seit längerem von Marktbeobachtern über zulässige oder auch nicht zulässige Bilanzkosmetik spekuliert (siehe "Gastkommentar" auf Seite 30).

Cisco - ein Fall für die SEC?Stein des Anstoßes sind aktuell vermeintlich problematische Buchungen bereits abgeschriebener Lagerbestände als Gewinn. Zur Erinnerung: Im dritten Quartal des vergangenen Jahres hatten die Kalifornier die Rekordsumme von 2,25 Milliarden Dollar in Form angeblich unverkäuflicher Komponenten bilanziell bereinigt. Der überwiegende Teil dieser Produkte werde ausgeschlachtet und zerstört, war von Chief Financial Officer Larry Carter seinerzeit bekräftigt worden. Doch schon in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres hatte Cisco rund 290 Millionen Dollar, die durch den Verkauf bereits abgeschriebener Router und Switches zu vermutlich ermäßigten Preisen eingenommen wurden, als außerordentliche Erträge verbucht. Eine zumindest fragwürdige Bilanzierungsmethode, wie es in Kreisen von US-Analysten heißt. (gh)

Am PrangerIm Verdacht nicht ganz ordnungsgemäßer Buchführung stehen derzeit - ob begründet oder unbegründet - folgende IT-Firmen:

Cable & Wireless, Cisco Systems, Global Crossing, Homestore.com, IBM, Level 3, Microsoft, Nvidia, Qualcomm, Qwest und Worldcom.

Lediglich gegen Global Crossing, Microsoft, Nvidia und Qwest sind derzeit aber Verfahren/Anfragen seitens der SEC anhängig.