Neues Denken, neue Ideen

Kreativ trotz Krawatte - geht das?

25.06.2011
Von 


Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Mitarbeiter finden Themenfelder selber

Heißt das: Die Mitarbeiter sollen machen, was sie wollen?

Meyer: In einem begrenzten Rahmen ja. Natürlich fängt der Mitarbeiter einer Gummistiefelfabrik nicht an, neue Designs für Zigarrenverpackungen zu entwerfen. Es ist wichtig, dass die Unternehmensziele allen Mitarbeitern bekannt und tief in deren Köpfen verankert sind. Innerhalb dieses begrenzten Rahmens suchen sich Mitarbeiter dann in der Tat die Themenfelder selbst, für die sie eine tiefe Leidenschaft empfinden.

Wird das bereits in deutschen Unternehmen praktiziert?

Meyer: Ja. Einer unserer Kunden ist der IT-Dienstleister eines DAX30-Konzerns. In diesem Unternehmen haben sich drei Mitarbeiter für das Thema Web Analytics begeistert. Eigentlich hatte das Unternehmen gar nicht vor, hier besondere Dienstleistungen anzubieten. Doch weil diese drei "Freaks" sich gefunden und wirklich innovative Lösungen entwickelt haben, verfügt der Konzern heute über einige sehr intelligente Lösungen in diesem Bereich.

Die Mitarbeiter haben nicht nur dafür gesorgt, dass das Innovationsthema auf die Agenda kam. Sie suchten auch gleich die ersten Kunden, an denen sie die neuen Lösungen "ausprobieren" konnten. Eine Innovationskultur kann so schnell zu klar messbaren Erfolgen führen.

Sind die Führungsmethoden, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, ein Ersatz für die Innovationsprozesse, die in vielen Unternehmen bereits etabliert sind?

Meyer: Kein Ersatz, eher eine kluge Ergänzung. Ein Innovationsprozess allein macht kein Unternehmen innovativ. Es sind immer die Menschen und ihre persönlichen Aktivitäten, die durch den Prozess im besten Fall unterstützt werden. In unserer täglichen Arbeit erleben wir aber viele Innovationsprozesse, die das Gegenteil von dem bewirken, wofür sie konstruiert wurden. Sie ersticken Innovation und kreatives Denken.

Warum?

Meyer: Weil sie aus dem Prinzip der Angst heraus entwickelt wurden. Das Unternehmen möchte innovativ sein, hat aber vor allem Angst vor Fehlschlägen. Entsprechend ist der Innovationsprozess angelegt. Er soll vor allem aus den vielen Ideen, die es im Unternehmen gibt, die "gefährlichen" herausfiltern. Man schenkt den potenziellen Gefahren zu viel Beachtung und vergisst die Chancen.

Sie sagen: Unternehmen entwickeln oft die falschen Ideen. Ist es denn überhaupt möglich, die Ideengenerierung so zu steuern, dass am Ende die richtigen Ideen herauskommen?

Meyer: Ja. Dies ist allerdings ein komplexer Prozess. Er ist viel umfassender als klassische Kreativitätstechniken wie Brainstorming. Wir haben mit Dutzenden von Unternehmen gezielt neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entwickelt. Wichtig ist, vor der Ideenentwicklung einen klaren Rahmen und klare Ziele zu definieren. Daran hapert es meist. Die Ideenfindung wird viel zu allgemein angegangen. Es herrscht der Gedanke vor, man müsse doch mal "ganz offen und ohne Beschränkungen" denken. Genau das führt zur Ideenblockade.