Pleite könnte Teile des Internet-Verkehrs in Mitleidenschaft ziehen

KPN Qwest warnt vor Netzabschaltung

07.06.2002
MÜNCHEN (CW) - Die Pleite von KPN Qwest, dem Betreiber eines 25000 Kilometer langen Glasfasernetzes in Europa, zieht immer weitere Kreise: Da das Unternehmen bisher keinen Käufer gefunden hat, droht die Abschaltung des Netzes. Die Kunden sind beunruhigt, Experten rätseln über mögliche Auswirkungen.

Die Tochter des niederländischen Telekommunikationsunternehmens KPN und des amerikanischen Qwest-Konzerns hatte kürzlich Insolvenz angemeldet. Durch den Ausbau des Netzes häufte sie einen Schuldenberg von 2,3 Milliarden Dollar an. Nachdem es zunächst hieß, Verhandlungen zum Verkauf des Unternehmens seien gescheitert, bestätigte KPN Qwest jetzt erneute Gespräche mit AT&T, das sich nun für Teile des Konzerns wie das europäische Glasfasernetz zu interessieren scheint. Damit könnte der amerikanische Telefonkonzern Lücken in seinem eigenen Netz stopfen. Ein schneller Verkauf wird unter anderem dadurch behindert, dass die Konkurrenten unter ihren eigenen Schulden ächzen.

Auch der deutschen Tochter KPN Qwest Germany droht nach Angaben eines Sprechers die Zahlungsunfähigkeit. Garantien, wie lange der Netzwerkbetrieb noch aufrechterhalten werden kann, gibt es nicht. KPN Qwest forderte seine Kunden daher auf, sich vorsichtshalber nach einem neuen Provider umzusehen. Die Techniker begannen gleichzeitig, den Internet-Traffic auf Netze anderer Carrier umzuschalten. Noch nie zuvor ist in Europa ein derart großes Datennetz einfach stillgelegt worden.

Die Konsequenzen lassen sich nur schwer einschätzen. Das Unternehmen hatte insgesamt 100000 Kunden, darunter Großfirmen wie Dell und Microsoft. Solche Firmen besitzen oft mehrere Provider und sind relativ gut abgesichert. Am schwersten trifft es kleine Unternehmen, die allein von KPN Qwest abhängig sind. Bedenken äußerte auch Olivier Martin, zuständig für externe Netze beim europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf. "Das alles ist sehr beunruhigend", kommentierte er die derzeitige Entwicklung. "Das Netz zu wechseln dürfte zwei Monate dauern. Bei Hochgeschwindigkeitsnetzen ist das komplizierter als bei einer Telefonleitung!"

Eine Abschaltung des Netzes würde nicht nur die direkten Kunden beeinträchtigen. Viele Konkurrenten haben Netzkapazität von KPN Qwest gemietet, um ihren eigenen Kunden darüber Dienste anbieten zu können. Unklar ist, ob sich eine Stilllegung des KPN Quest-Glasfasernetzes auch auf das gesamte Internet auswirken würde. Maureen Coulter, Senior Analyst bei Gartner, fürchtet: "KPN Qwest hat eines der größten Netze in Europa. Eine Abschaltung könnte zu Engpässen führen." Gestützt wird diese Besorgnis beispielsweise durch ein Ereignis, in das 1999 ein Fischerboot verwickelt war: Zufällig kappte das Fischernetz die einzige Kabelverbindung zwischen Großbritannien und dem Festland und führte so zu Störungen des Internet-Verkehrs. Auf der anderen Seite lassen große Überkapazitäten im gesamten Markt hoffen, andere Carrier könnten den Datenverkehr auffangen. (sra)