Kosten sind Aktivposten

31.08.2006
Von Werner Schmid
In einem Unternehmen kann die Kostenrechnung eine Brücke zwischen Kaufleuten und Technikern schlagen.
Dieses vereinfachte Kalkulationsschema zeigt die Struktur und die Herkunft der direkten und indirekten Kosten eines Produkts.
Dieses vereinfachte Kalkulationsschema zeigt die Struktur und die Herkunft der direkten und indirekten Kosten eines Produkts.

Das Wort "Kosten" ist für die meisten Menschen negativ besetzt. Sie unterstreichen das noch mit der Vorsilbe "Un-" wie bei Un-Wetter. In Wahrheit steckt hinter den Kosten das, was die Dinge "kostbar" macht und den Wert des Warenbestands in der Bilanz eines Unternehmens repräsentiert. In Industriebetrieben sind das meist rund 50 Prozent der Bilanzsumme. Kostenrechnung ist die Methode, den Wert einer Sache zu errechnen und gleichzeitig zu ermitteln, wo die Wertschöpfung im Unternehmen stattfindet.

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Quer durch die Wirtschaft, durch die meisten Unternehmen, ja durch unsere Gesellschaft verläuft eine unsichtbare Trennlinie: auf der einen Seite stehen die Kaufleute. Sie befassen sich mit dem Wert der Dinge. Auf der anderen Seite sind die Techniker. Sie arbeiten lieber mit den Dingen selbst, sie erfinden, produzieren und verkaufen die schönsten Sachen, kennen aber meistens weder den Preis, der beim Verkauf erzielt wird, noch den Wert der darin steckt.

Controlling, ein modernes Wort für die nach Amtsstuben und Ärmelschonern klingende "Kostenrechnung", ist eine Brücke zwischen den "Machern" und den "Denkern", zwischen Betrieb und Management. Diese Brücke führt - bildlich gesprochen - über den Waren- zum Wertefluss. Der Wertefluss ist, im Gegensatz zum sichtbaren Warenfluss, die Abbildung der Geschäftsvorfälle im Rechnungswesen, also in der Buchhaltung und in der Kostenrechnung. Deren Aufgabe wiederum ist es, die Wertschöpfungskette ("Value-added Chain") und die Kostenverfolgung ("Cost Monitoring") zu synchronisieren, denn jeder Geschäftsvorfall (Verkauf, Einkauf und Herstellung) verändert den Wert eines Unternehmens.

Das klingt ganz technisch, und deshalb glauben viele Manager, mit der Installation eines Kostenrechnungs-Pakets oder -Moduls sei die Sache erledigt, und sie bekämen ihre Kosten "in den Griff". Ganz ähnlich, wie viele Anwender erwarten, dass ihnen ein CRM-Paket (Customer-Relationship-Management) scharenweise Kunden bringt oder wenigstens deren Kauflust steigert. Auch ein Kostenrechnungsmodul oder -programm kann man an ein bestehendes IT-System für die Warenwirtschaft "anschrauben" (genauso wie die meisten CRM-Pakete angeschraubt sind). Aber so eine Kostenrechnung bleibt mehr oder weniger isoliert vom tatsächlichen Betriebsgeschehen und liefert nur Daten über die Vergangenheit.

Der "genetische" Code eines Erfolgsprodukts

Jedes Produkt (von einfachen Bauteilen wie Schrauben, Muttern, Beilagscheiben einmal abgesehen) hat eine Stückliste. Darin steht, aus welchen Teilen ein Produkt besteht. Und es hat einen Arbeitsplan, der vorgibt, wie es gebaut wird. Beide zusammen bilden die Identität eines Produkts ("Rezepturen" oder "Ressourcenlisten" sind nur andere Begriffe für dieselbe Sache). Wer ein Produkt verändern will, setzt an der Stückliste, also seiner Zusammensetzung, oder am Arbeitsplan an, also an der Weise, wie es zusammengesetzt wird.

Für den physischen oder technischen Teil eines Produkts sind Stückliste und Arbeitsplan (zusammen mit den Stammdaten über Artikel und Ressourcen) die zentralen Informationen. Wie und wo aber werden die Informationen über die Wertschöpfung eines Unternehmens verarbeitet und gespeichert, das diese Produkte verkauft? Schließlich lebt ein Unternehmen nicht nur von der Qualität der Produkte, sondern auch von der "Marge", der Differenz zwischen Kosten und Erlös. Vergleicht man einmal ein Unternehmen mit einem lebenden Organismus - und das sind Unternehmen zweifelsfrei - , findet man den Schlüssel zu diesen Informationen und die passenden Speicherstrukturen gleich dazu.

In jeder Zelle eines Organismus stecken alle Informationen für das gesamte Leben, die Gene. Sie steuern Wachstum, altersbedingte Veränderungen und mögliche Krankheiten. Eine solche Informationszentrale ist das Kalkulationsschema eines Produkts oder einer Serviceleistung. Es begleitet ein Produkt während seines gesamten Lebenszyklus. Von den ersten Planungs- und Entwicklungsarbeiten über die Beschaffungs- und Produktionskosten bis hin zur Entsorgungsgebühr ist Platz in diesem Schema. Es liegt allein an der Intelligenz und Weitsichtigkeit des Controllers, dieses Schema für alle Eventualitäten und Einflussfaktoren offen zu halten. Da letztlich alle Kosten eines Produkts oder einer Dienstleistung über den Verkaufspreis finanziert werden, ist es entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens, wie dieses Kalkulationsschema aufgebaut wird.

Spiralnebel oder "schwarzes Loch"

Die Gestaltung des Kalkulationsschemas ist eine Art Urknall für den Aufbau des gesamten Rechnungswesens, der Buchhaltung und der Kostenrechnung. Die einzelnen Elemente des Kalkulationsschemas sind die Kostenarten, zum Beispiel Material-, Produktions- oder Vertriebskosten. Diese Urzellen bestimmen die Strukturen des Rechnungswesens: In der Buchhaltung wird ein geeigneter Kontenrahmen (Kontenplan) dafür ausgeprägt, die direkten Kosten (und Erlöse) zu erfassen, also die Werte, die von außen, von den Kunden kommen und die Werte, die nach außen, zu den Lieferanten (dazu gehört auch das Finanzamt) und zu den Mitarbeitern gehen.

Wissen über das Betriebsgeschehen

Die Kostenstellenrechnung ermittelt die Kosten beziehungsweise Kostenanteile, die nur indirekt in den Aufwand zur Herstellung und dem Vertrieb der Produkte einfließen. Da sind etwa die Kosten des Managements, die Kosten für Gebäude und Einrichtungen, Ver- und Entsorgung und noch ein paar andere Kosten(arten) mehr. Je realitäts- und zeitnäher (aktueller) die Kosten erfasst und verrechnet werden, desto besser lassen sich Geschäftsprozesse steuern. Unternehmen, die ihr Rechnungswesen auf der Struktur des Kalkulationsschemas aufbauen, bekommen zahlreiche interessante Informationen. Wer Buchhaltung und Kostenrechnung nur als notwendiges Übel ansieht, erhält dagegen nur ein schwarzes Loch, in dem alles Wissen über das Betriebsgeschehen verschwindet.

Nimmt man den Begriff "steuern", ein Unternehmen steuern, wörtlich, erhält man das Gerüst für ein unternehmensspezifisches Kalkulationsschema. Man identifiziert alle Glieder, also alle Funktionen in der Wertschöpfungskette. Und alle anderen Funktionen, die mit Support (zum Beispiel Wareneingang und Qualitätskontrolle) oder Management-Leistungen am Betriebsablauf beteiligt sind. Eine gute Vorstellung von deren Ablauf, ein Modell der Geschäftsprozesse, kann dabei sehr hilfreich sein.

Bei der Analyse der Einflussfaktoren auf die Kosten eines Produkts bis hin zur Kalkulation des Verkaufspreises ist zu prüfen, woher die Daten über diese Kosten kommen. Und bei jedem Wert müssen sich die Verantwortlichen fragen, ob sie diese Daten automatisch - sozusagen als Nebenprodukt - bei der Steuerung der Herstellung (einschließlich der Entwicklung, des Ein- und Verkaufs) gewinnen können. Denn nahezu alle Funktionen werden von Software gesteuert, dass heißt, geplant und gebucht. Diese Analyse beginnt beim Kalkulationsschema und geht über die Verarbeitungsfunktionen bis an den Anfang der Wertschöpfungskette, zu den kleinsten Einheiten, den eingekauften Teilen und Arbeitsplätzen in der Fertigung.

Hat man diese kleinsten Einheiten gefunden, "klebt" man (gedanklich) einen Faden daran und spannt ihn durch alle Stationen (Buchungs- und Verarbeitungsfunktionen) des Rechnungswesens bis zum Kalkulationsschema, das heißt zur Produktkalkulation. Dies vollzieht sich auf direktem Weg, etwa aus der Buchung des Materialeinsatzes bei der Lagerentnahme, oder indirekt, über eine Zuordnung der anteiligen Gebäudekosten. Die Kunst dabei ist, die "Fäden" auf dem Weg der Kosten von ihrer Entstehung bis zur Nachkalkulation nicht zu verlieren.

Controlling steht für das Steuern von Firmen

Die Übersetzung des Wortes "Controlling" ins Deutsche gibt nur den Begriff "Controlling" her (Online-Übersetzung bei LEO). In der Übersetzung des Wortstamms "control" bleibt die Bedeutung "Steuerung" erhalten. Controlling heißt Steuerung. Controlling-Module in ERP-Systemen erkennen aus dem ständigen Vergleich von Soll und Ist frühzeitig, wohin das Unternehmen fährt. Dazu müssen die Instrumente des Controllings "ganz vorne" am tatsächlichen Betriebsgeschehen angebracht sein, also schon bei der Planung. Die Auswertung von Statistiken über den Geschäftsverlauf, und seien sie auch noch so detailliert, ist nicht viel besser als aus dem Kaffeesatz lesen. Doch ist der Kaffee bereits durchgelaufen, sind die Dinge nicht mehr zu ändern.

Gelegentlich werden ERP-Systeme auch als "ERP(b)sen-Zählprogramme" bezeichnet, weil sie jede Bewegung eines Unternehmens erfassen, anhand der Vorgaben für diese Aktivitäten prüfen und ohne Emotionen Protokoll darüber führen, wer was wann wie gemacht hat und wie es "zu Buche schlägt". ERP-Systeme aktualisieren die Werte der gesamten Wertschöpfung (und auch die der Supportprozesse) für jedes Produkt und mit jeder unternehmerischen Aktivität, vom Wareneingang des Rohmaterials über die Fertigmeldung eines Arbeitsgangs oder eines Produktionsauftrags bis zur Fakturierung beim Verkauf der Produkte. Sie arbeiten genau so wie die Produktionssteuerung selbst, die jeden Arbeitsgang plant und anschließend prüft, nur eben auf der "Werteebene", aber synchron mit der "Warenebene".

Doch leider sehen die meisten Unternehmen (wenn man auch kleine Unternehmen hinzurechnet) Ware und Wert als zwei getrennte Dinge an. Das eine, die Ware oder Dienstleistung, wird von Managern und Mitarbeitern sorgsam geplant, gebaut, beworben und verkauft. Das andere, die Erfassung der Werte, die dabei geschaffen (oder vernichtet werden) "macht die Buchhaltung" oder sogar ein Steuerberater. (fn)