Koordination von Methoden und Strategie bleibt wichtig Informationsmanagement wird Bestandteil jeder Organisation

11.03.1994

Von August-Wilhelm Scheer*

Viele zentrale DV-Abteilungen werden bis zum Jahr 2000 auf ein Drittel ihres jetzigen Funktions- und Personalbestands schrumpfen. Doch bleibt das operative Informationsmanagement wichtig: Es wird gleichberechtigt neben Funktionen wie Personalfuehrung oder Controlling stehen, die kuenftig jeder Manager beherrschen sollte.

Der Begriff Informationsmanagement ist eine Verkuerzung des in den USA entstandenen Begriffs "Information Resource Management". Ihm liegt der Gedanke zugrunde, dass Informationen als ein Produktionsfaktor (Ressource) betrachtet werden koennen, die aehnlich wie andere Produktionsfaktoren geplant und beschafft werden, und deren Einsatz wirtschaftlich gesteuert werden muss. Obwohl der Begriff vielfaeltig interpretiert wird, stellen sich als wesentliche Aufgaben die strategische Gestaltung der technischen Komponente des Informationssystems, die Entwicklung von Anwendungssystemen und die wirtschaftliche Betreibung des Informationssystems heraus. Dieses wird zum Beispiel ausgedrueckt durch Planung, Steuerung und Ueberwachung aller informationellen Prozesse oder die Bereitstellung von erforderlichen Informationen zur richtigen Zeit im richtigen Format an den richtigen Adressaten. In der Vorgangskette "Informationsmanagement" (siehe Abbildung) sind die wesentlichen Funktionen in einem Schema aufgefuehrt.

Wesentliche Aufgabe der strategischen Planung der Infrastruktur ist die Festlegung der grundsaetzlichen Architektur, nach der Informationssysteme beschrieben werden. Dieses wird durch die Definition des Informationsmodells als Basis eines Repositories ausgedrueckt. Ein Informationsmodell definiert die Konstrukte und deren Beziehungen, mit Hilfe derer ein Informationssystem beschrieben werden soll, ein Re- Repository speichert die nach diesen Konstrukten beschriebenen

Weiter muessen bei der strategischen Planung der Infrastruktur die in dem Unternehmen einzusetzenden Programmiersprachen und Programmiertools (CASE), die Hardware und Netzarchitektur einschliesslich der Konzepte zum betriebsuebergreifenden Datenaustausch und der internen Kommunikation im Rahmen des Office Managements bestimmt werden und die Strategie zum Einsatz von Datenbanksystemen und das Controllingkonzept zur Steuerung des wirtschaftlichen Einsatzes der Informationsverarbeitung festgelegt werden.

Die Beziehung zwischen Controlling und Informationsmanagement ist haeufig diskutiert worden, da Abgrenzungsprobleme bestehen. Beide besitzen koordinierende Funktionen fuer die operativen Anwendungen.

Das Informationsmanagement ist aber in bezug auf die Anwendungen eher instrumental unterstuetzend zu sehen, waehrend das Controlling einen staerker dirigistischen Charakter besitzt. Eine auf der Hand liegende Beziehung zwischen beiden Bereichen besteht darin, dass das Controlling selbst zur Unterstuetzung seiner Informations- und Koordinationsfunktion die Informationstechnik und damit auch das Informationsmanagement benoetigt, und andererseits auch das Informationsmanagement eine wirtschaftliche Steuerung und damit eine Controlling-Funktion benoetigt.

Neben die strategische Gestaltung der Infrastruktur tritt das Management des laufenden Betriebes. Entsprechend den aufgefuehrten Funktionen oder Teilfunktionen bezieht sich der Betrieb auf die Verwaltung des Repository, die Steuerung der zu einem Programmierpool zusammengefassten Anwendungsprogrammierer, die Steuerung eines Rechenzentrums und, in der Zu- kunft wichtiger werdend, des internen und externen Kommunikationsnetzes. Die laufende Betreuung der Datenbanksysteme durch Optimierung der Datenstrukturen und Durchfuehrung von Datensicherungen ist Aufgabe der Datenbankadministration. Der Eingriff in betriebssystemnahe Funktionen obliegt der Systemprogrammierung.

Die laufende Beratung, Ausbildung und Ressourcenbeschaffung fuer die individuelle Datenverarbeitung und das Workflow-Management wird unter dem Benutzerservice zusammengefasst. Die wirtschaftliche Gestaltung und Nutzung der Infrastruktur wird durch eine Controllingfunktion sichergestellt.

Das Management der Informationssysteme besitzt in der Festlegung der Anwendungssoftwarearchitektur eine strategische Komponente. Auch die Festlegung des Vorgehensmodells, nach dem Anwendungssysteme entwickelt werden, ist eine strategische Funktion.

Sowohl der Einsatz von Standardsoftware als auch von eigenentwickelten Anwendungssystemen bedarf einer laufenden Betreuung. Die Entwicklung und Einfuehrung von Anwendungssystemen wird entsprechend Konzept in den Phasen Fachkonzept, DV-Konzept und Implementierung durchgefuehrt.

Die Verwaltung der Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Anwendungssystemen wird durch ein Schnittstellenmanage-ment bearbeitet.

Auch die Entwicklung und der Einsatz von Anwendungssoftware soll durch ein Anwendungssystemcontrolling wirtschaftlich gesteuert werden.

Das Management des Informationseinsatzes und der Informationsverwendung besitzt ebenfalls mit dem Erkennen von weitreichenden Informationspotentialen eine strategische Komponente.

Die Informationsbedarfsanalyse ermittelt fuer konkrete Arbeitsplaetze den sinnvollen Informationsbedarf. Die Schulung der Benutzer ist eine wichtige Voraussetzung zur adaequaten Nutzung von entwickelten Informationssystemen. Nur bei einer auf die Informationstechnik und ihre Moeglichkeiten ausgerichteten Organisation koennen die strategischen Potentiale der Informationsverarbeitung genutzt werden. Auch die wirtschaftliche Nutzung der eingefuehrten Informationssysteme obliegt einem Controlling.

Waehrend am Anfang der Entwicklung der Informationsverarbeitung die Aufgaben ueberwiegend von einer zentralen Organisationseinheit wahrgenommen wurden, wird das Informationsmanagement zunehmend zu einer generellen Managementfunktion, die in die einzelnen Anwendungsbereiche verlagert wird. Informationsmanagement ist bei dieser Betrachtung ein Teil jeder Managementfunktion, wie es zum Beispiel auch das Personalmanagement und Controlling sind. Die Dezentralisierung des Informationsmanagements betrifft vor allen Dingen das Management des Informationseinsatzes und der Informationsverwendung, die (mindestens fachkonzeptionelle) Entwicklung von Anwendungssystemen und das bereichsbezogene Con- trolling der Informationsverarbeitung. Dagegen ist das strategische Management der Infrastruktur und der Anwendungssoftwarearchitektur einschliesslich des Vorgehensmodells eine uebergreifende Funktion, die einem zentralen Informationsmanagement zugeordnet wird.

Auch die Entwicklung und Betreuung bereichsuebergreifender Anwendungssysteme ist Aufgabe einer zentralen Funktion. Die Bereitstellung eines zentralen Rechenzentrums wird im Zuge der Einfuehrung von Client/Server-Architekturen hoechstens auf das Datenmanagement einschliesslich der Datensicherungsfunktionen konzentriert. Dagegen wird die zentrale Verantwortung fuer den Betrieb des internen/externen Kommunikationsnetzes wachsen.

In das Organisationsmodell sind fuer die operativen Geschaeftsprozesse der Logistik und der Leistungsentwicklung eigene Zustaendigkeiten fuer das Informationsmanagement eingeordnet. Dem zentralen Informationsmanagement verbleiben die koordinierenden Funktionen, insbesondere durch Festlegung der strategischen Rahmenbedingungen fuer den Informationseinsatz.

Wegen seiner herausragenden Bedeutung und des engen Bezugs zu der hier verfolgten Darstellungsweise stehen dabei die Analyse des Informationsmodells als Basis des Repository sowie das daraus abgeleitete Vorgehensmodell zur Entwicklung von Anwendungssystemen im Vordergrund.

Die Architektur (Aris) gibt an, durch welche Sichten und Beschreibungsebenen ein Informationssystem beschrieben werden kann. Werden Anwendungssysteme nach diesem Konzept entwickelt, so fallen die definierten Beschreibungskonstrukte wie Funktionsmodelle, Organisationsmodelle, Datenmodelle und Steuerungsmodelle auf den Beschreibungsebenen vom Fachkonzept ueber DV-Konzept bis zur Implementierung an.

Diese Modelle sind als Beschreibungen von Anwendungs- systemen gleichzeitig Gegenstand des Informationsmanagements. Sie muessen von ihm gespeichert und gepflegt werden. Dazu muss eine Datenbasis bereitgestellt werden, deren Logik geeignet ist, die zur Modellbeschreibung benutzten Konstrukte als Datenobjekte aufzunehmen. Die Beschreibung dieser Datenstrukturen wird als Informationsmodell bezeichnet und ist das Datenmodell des Repository. Diese Betrachtung ist somit die Datensicht des Informationsmanagements auf Modelle. Es wird gefragt, welche Objekte in den Modellen enthalten und wie ihre Beziehungen zueinander sind. Ein anderes Fachkonzept ist beispielsweise das Organisationsmodell (siehe Abbildung). Entsprechend werden dann die DV-Konzepte und Implementierungsebenen des Informations- managements durch die zur Steuerung des Informations- managements eingesetzten DV- Hilfsmittel beschrieben. Diese Architektur bestimmt auch den Projektablauf fuer Anwendungs-entwicklungen nach dem Aris-Konzept. Das Vorgangskettendiagramm (siehe Abbildung 1) zeigt diese Aufgaben des Informationsmanagements.

Die Anwendungsentwicklung umfasst einmal die Beschreibung der Projektorganisation des betrachteten Projektes und das aus dem generellen Vorgehensmodell abgeleitete projektbezogene Vorgehensmodell. Die waehrend der Projektbearbeitung angefertigten Beschreibungen sind in den Ebenen Fachkonzept, DV-Konzept und Implementierung fuer die einzelnen Sichten (in Aris) angegeben. Die nachfolgenden Beschreibungsebenen uebernehmen die Beschreibungsergebnisse der vorhergehenden Beschreibungsschicht. Ihre Ergebnisse werden in das Repository eingestellt. Gleichzeitig wird das projektbezogene Vorgehensmodell aktualisiert, indem zum Beispiel nach Abschluss eines Datenmodells der Status der Funktion "Erstellen Datenmodell" von "in Bearbeitung" auf "abgeschlossen" geaendert wird.

Gerade zieht der DV-Leiter seinen weissen Kittel aus, um in den Nadelstreifen des Informationsmanagers zu steigen, da droht seine stolze Statur zu schmelzen wie Butter an der Sonne. Die Dezentralisierungswelle laesst neue Machtzentren entstehen: "Business Process Owner" uebernehmen wie selbstverstaendlich auch Funktionen des Informationsmanagements bei der Neugestaltung ihrer Unternehmensprozesse.

An Kenntnissen dazu mangelt es ihnen nicht. Im Gegenteil, sie kuemmern sich nicht um hinderliche Host-Altlasten und steigen gleich in moderne Client-Server- Architekturen ein. Die Anwender entscheiden ueber die Auswahl der Standardsoftware und betreuen deren Einsatz selbst beziehungsweise bedienen sich der Outsourcing-Dienstleister.

Viele zentrale DV-Abteilungen werden deshalb in den naechsten Jahren auf ein Drittel ihres jetzigen Bestands sinken.

Von Funktions- zu Prozessinseln?

Gefahren lauern aber bei dieser Entwicklung im Aufbau neuer Informationsinseln - diesmal nicht wie frueher fuer Unternehmensfunktionen, sondern fuer Unternehmensprozesse. Eine sehr gute Koordination der Methoden zur Geschaeftsprozessgestaltung sowie der IM-Strategie sind deshalb erforderlich.

Diese ist aber wie Controlling oder Bilanzkonsolidierung Teil der generellen Koordinationsfunktion von dezentralisierten Unterneh- mungen und rechtfertigt keine per- sonell aufgeblasenen zentralen IM-Abteilungen. Dabei wird die Rolle des operativen IM nicht geschmaelert - nur ist IM nicht mehr nur die Domaene einer Organisa- tionsabteilung gleichen Namens, sondern wie Personalfuehrung oder Controlling Bestandteil jeder Organisationsfunktion.

Kurz: Die Forderung nach Vorstandsressorts fuer zentrale Informationsmanager ist out, die Nachfrage nach IM-Faehigkeiten in jeder Fuehrungsposition ist in.

Den Einfluss dieser Entwicklungen auf die eigene Position abzuschaetzen, erfordert eine systematische Analyse von Aufgaben und organisatorischen Moeglichkeiten des Informationsmanagements.

* Professor Dr. August-Wilhelm Scheer, Institut fuer Wirtschaftsinformatik an der Universitaet des Saarlands, ist auch Autor des Standardwerks "Wirtschaftsinformatik", das zur CeBIT unter dem neuen Titel "Wirtschaftsinformatik - Referenzmodelle fuer industrielle Geschaeftsprozesse", Springer Verlag Berlin et. al. in der vierten, voellig neu konzipierten Auflage erscheint. Obiger Text ist ein Auszug aus der Betrachtung des Geschaeftsprozesses "Informationsmanagement".