Produktionsnahe IT/Wertschöpfungskette logistisch integrieren

Kooperationsfähigkeit wird groß geschrieben

21.02.2003
Die Straffung interner Geschäftsprozesse ist in vielen Unternehmen weitgehend ausgereizt. Abläufe, die nicht zu den Kernkompetenzen gehören, werden zunehmend ausgelagert. Nun geht es um die Supply Chain, wo die Einsparpotenziale im zweistelligen Prozentbereich liegen. Von Marcus Lindemann und Stefan Junginger*

Die lieferkettenweite Implementierung einheitlicher Systeme für das Supply-Chain-Management (SCM) steckt in Deutschland noch in den Anfängen. Die Meta Group prognostiziert beispielsweise für die IT-Unterstützung in diesem Bereich ein Marktvolumen von etwa 420 Millionen Euro im Jahr 2000 und rund zwei Milliarden Euro im Jahr 2004. Ähnlich wie andere Branchen befindet sich jedoch auch der SCM-Markt aufgrund der derzeitigen konjunkturellen Lage in einer Konsolidierungsphase, aus der von der Vielzahl gegenwärtiger Anbieter voraussichtlich Marktführer wie i2, Manugistics oder IBS gestärkt hervorgehen werden.

Das SCM-Konzept verfolgt eine vollständige logistische Integration aller Aktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Es basiert auf einer umfassenden prozessorientierten Gestaltung, Lenkung und Weiterentwicklung sämtlicher Prozesse der im Rahmen einer Leistungserstellung kooperierenden Unternehmen. Mit der Verteilung der Produktion sind komplexe, dynamische Netzwerke entstanden. Solche funktional meist fragmentierten Sequenzen müssen in nahtlos integrierte Prozessketten transformiert werden.

Grundsätzlich unterscheiden allgemein akzeptierte SCM-Konzepte zwischen drei verschiedenen Planungsebenen. Den Rahmen für die nachfolgenden Ebenen bildet die Konfiguration der Produktions- und Logistikstrukturen (Supply Chain Configuration). Hier getroffene Entscheidungen über das Netzwerkdesign sind von strategisch-taktischer Tragweite. Sie stellen insbesondere in der Massenfertigung einen fundamentalen Erfolgsfaktor des Unternehmens dar.

Gegenstand des nachfolgenden Supply Chain Planning ist die simultane Planung von Absatz, Beschaffung, Produktion, Distribution und Transport für das gesamte Netzwerk, wobei die in der vorherigen Ebene festgelegten Kapazitätsrestriktionen berücksichtigt werden. Die unterste Planungsebene (Supply Chain Execution) beinhaltet Abwicklung und Kontrolle der Kunden-, Bestell-, Produktions- und Transportaufträge.

Die Steuerung und Optimierung der Netzwerke erfolgt innerhalb moderner SCM-Systeme anhand so genannter Key Performance Indicators. Sie stellen die für die Bewertung der Leistungsfähigkeit einer Supply Chain ausgewählten Zielwerte eines Kennzahlensystems dar.

Damit unternehmensübergreifende Netzwerke möglichst reibungslos funktionieren, ist die vollständige Integration der beteiligten Kooperationspartner eine elementare Voraussetzung. Erfolgreiche Supply-Chain-Management-Strategien stützen sich daher auf die drei Säulen der organisatorischen, technologischen und der mental-sozialen Integration. Moderne SCM-Ansätze berücksichtigen derartige Anforderungen unter dem Stichwort "Collaboration". Vor allem aus soziologischer Sicht erfordert die langfristige Stabilität partnerschaftlicher Netzwerke eine solide Vertrauensbasis zwischen den kooperierenden Unternehmen. Sie ist nur dann gesichert, wenn alle involvierten Parteien eine "Win-win"-Situation empfinden.

Kompatibilität im Prozessverständnis der Partner verspricht die Verwendung einer einheitlichen Beschreibungssprache, etwa in Form eines Referenzmodells für die Modellierung der Supply Chain. Ein Beispiel dafür ist das Supply Chain Operations Reference Model (Scor), ein internationaler Standard für die Beschreibung, Bewertung und Evaluation verschiedenster Supply-Chain-Konfigurationen.

Partner sind Ressourcen

In der vernetzten Produktion wird das Ziel verfolgt, die Wertschöpfungstiefe zu reduzieren, um sich auf Kernkompetenzen konzentrieren zu können, die Wettbewerbsvorteile versprechen. Weitere Motive sind ein gesicherter Zugang zu Ressourcen und Märkten, das Ausschöpfen von Spezialisierungs- und Kostenvorteilen sowie eine Verkürzung der Time-to-Market. Um eine Leistung zu erbringen, greift man also auf die Ressourcen der vorhandenen Kooperationspartner zurück.

Bei Kooperationen in Form des virtuellen Unternehmens handelt es sich um zeitlich begrenzte Netzwerke, bei denen die Partner Ressourcen gemeinsam benutzen, die Kosten teilen, ihre jeweiligen Kernkompetenzen einbringen und zusammen am Markt auftreten. Die Problematik des virtuellen Unternehmens besteht jedoch in den hohen Anforderungen an die beteiligten Unternehmen. So sind eine überdurchschnittliche Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit, eine ausgeprägte Vertrauensbasis sowie eine schnelle und reibungslose Koordination der Leistungserstellung obligatorisch.

Aufbauend auf die Integration von Prozessen der Supply-Chain-Partner erfolgt die technologische Integration durch die Implementierung geeigneter Informations- und Kommunikationsverfahren. Auf der Informationsseite stehen dem Anwender heute neben den bekannten Transaktionssystemen eine Reihe von Software-Tools für die strategische und operative Planung der Supply Chain zur Verfügung. Den infrastrukturellen Rahmen für die Übertragung der Transaktions- und Plandaten zwischen den Partnern bieten auf der Kommunikationsseite weltweit etablierte Standards auf Basis von EDI oder XML.

SCM-Softwaresysteme lassen sich grob in fünf Kategorien einteilen: Tools zur prozessbasierenden Supply-Chain-Modellierung, ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning), APS-Systeme (Advanced Planning and Scheduling), Optimierungs-Tools und Simulationswerkzeuge.

Informationstechnische Unterstützung für die oberste SCM-Planungsebene (Supply Chain Configuration) bieten Werkzeuge zur Modellierung der Wertschöpfungskette auf der Basis von Prozessen. Die Abbildung erfolgt dabei anhand eines Referenzmodells. Integrierte Simulations- und Evaluationsmechanismen ermöglichen die Bewertung und den Vergleich alternativer Supply-Chain-Layouts. Softwarelösungen in diesem Bereich sind beispielsweise "E-Scor" (Gensym) oder "Adolog" (BOC).

Obwohl sich die unter anderem von SAP, J.D. Edwards oder Peoplesoft angebotenen klassischen ERP-Systeme von der starren Auftragsabwicklung hin zur Auslastungsoptimierung entwickelt haben, bieten sie lediglich Unterstützung für die Ebene der Supply Chain Execution. Die entscheidende Schwäche dieser Lösungen liegt meist in der systematischen Vernachlässigung von Produktionskapazitäten und damit in der Aufstellung nicht realisierbarer Produktionspläne.

Abhilfe schaffen hier planungszentrierte APS-Systeme wie "Manugistics 5", "i2 SCM" oder "SAP APO", die durch simultane, durchgängige und engpassorientierte Planung aller Funktionsbereiche den Supply-Chain-Management-Ansatz besser unterstützen. Sie integrieren sämtliche funktionalen Bereiche wie Materialwirtschaft, Beschaffung, Produktion, Transport sowie Vertrieb und berücksichtigen die begrenzte Verfügbarkeit von Ressourcen.

ERP liefert Datenbasis

APS-Systeme ermöglichen zudem die langfristige Supply-Chain-Planung unter Einbeziehung zeitlich schwankender Produktions- und Absatzmengen. Konventionelle ERP-Systeme dienen in diesem Zusammenhang als Backbone, der die Transaktionsdaten von der Execution- an die Planungsebene liefert und somit die Datenbasis für das Supply Chain Planning darstellt.

Optimierungs-Tools wie "Ilog Cplex", oftmals Bestandteil von ERP- und APS-Systemen, ermöglichen die Lösung bestimmter Teilprobleme in einer Supply Chain mittels linearer Programmierung oder problemspezifischer Heuristiken.

Simulationswerkzeuge werden zur tieferen Untersuchung einzelner Prozesse der Supply Chain eingesetzt und gestatten What-if-Analysen zur Bewertung alternativer Szenarien innerhalb einer Supply Chain. Als Lösungen in diesem Bereich sind beispielsweise "Arena" (Rockwell), "EM-Plant" (Tecnomatix) und "Adonis" (BOC) zu nennen.

Hürden der Supply Chain

Als problematisch zeigen sich jedoch sowohl aus technischer als auch aus organisatorischer Sicht die Schnittstellen zwischen den einzelnen Partnern. Durch das Fehlen einheitlich bindender Standards erweist sich die Vielzahl innerbetrieblicher Lösungen in Bezug auf unternehmensübergreifende "Collaboration" als Hemmnis eines effizienten Supply-Chain-Managements. Die kritische Hersteller-Lieferanten-Beziehung erhebt oft ein Unternehmen zum zentralen Player einer Supply Chain. Dieser ist dann in der Position, IT-Standards hinsichtlich der Prozessabläufe zu diktieren. Für kleinere Unternehmen bedeutet dies, dass die zusätzliche Integration in andere Supply Chains aufgrund der erheblichen Investitions- und Umstrukturierungskosten schier unmöglich ist. (ue)

*Marcus Lindemann ist Mitarbeiter, Dr. Stefan Junginger ist Mitglied der Geschäftsführung der BOC GmbH in Berlin (boc@boc-de.com).

Angeklickt

Damit sich Material-, Informations- und Finanzflüsse unternehmensübergreifend planen und steuern lassen, müssen drei Aspekte erfüllt sein: die organisatorische, technologische sowie die mental-soziale Integration der beteiligten Kooperationspartner. Eine umfangreiche Unterstützung der einzelnen SCM-Planungsebenen durch Informationssysteme gibt es bereits. Was jedoch fehlt, sind einheitlich implementierte Prozessstandards.

Abb.1: Drei Planungsebenen

Quelle: BOC

Abb.2: Die SCM-Säulen

Quelle: BOC