Konstruktion und Fertigung/Der Generationswechsel Inselloesungen weichen den integrierten PPS-Konzepten Von Andrea Ragg*

02.06.1995

Hohe Produktqualitaet, Liefertreue und eine wettbewerbsfaehige Kostenstruktur sind fuer Industrieunternehmen meist nur noch mit integrierten Informationssystemen zu erzielen. Viele Firmen geraten daher unter Zugzwang: Veraltete PPS-Loesungen werden den derzeitigen Forderungen nach einer Anpassung an kurzfristige Veraenderungen und die anstehenden Markttrends nicht mehr gerecht.

Als die ersten Softwaresysteme fuer Fertigungsunternehmen in den 60er Jahren entwickelt wurden, gab es ueberwiegend Inselloesungen, zwischen denen keinerlei Kommunikationsmoeglichkeiten bestanden. Erst in den 70er Jahren begann man diese Schwachstelle zu beheben. Verknuepft wurden jedoch nur Anwendungen aus dem gleichen Funktionsbereich. Damals waren haeufig Batch-Programme im Einsatz, die ueberwiegend auf die Mainframe-Beduerfnisse abgestimmt waren und sich ohne weitergehende DV-Kenntnisse nicht bedienen liessen.

In den 80er Jahren wurden schliesslich Systeme entwickelt, die eine bereichsuebergreifende Integration erlaubten. Auf Basis einer allen Anwendungen zugrundeliegenden Datenbank sowie eines Architekturstandards wurde der Informationsaustausch zwischen den unterschiedlichen Bereichen der Unternehmen eingeleitet. Der verstaerkte Einsatz von dialogorientierten Anwendungen und die Umstellung von sequentiellen Datei- auf relationale Datenbanksysteme unterstuetzte die Integration. Standardsoftware fuer den Midrange-Bereich ermoeglichte zudem auch mittelstaendischen Unternehmen die Einfuehrung von PPS-Systemen.

Heute geht der Trend bei der Entwicklung einer PPS hin zu umfassenden Informationssystemen, die betriebliche Ablaeufe im Bereich der Produktionsplanung, Materialwirtschaft, des Controlling und Vertriebs abbilden. Aufgabe der neuen PPS- Generation ist die Optimierung aller fuer den Produktionsprozess entscheidenden Faktoren, nicht nur von Teilprozessen wie etwa der maximalen Auslastung der vorhandenen Kapazitaeten oder der optimalen Bestellpolitik. Gefordert sind Softwarepakete, die die gesamte Logistikkette abdecken und die Anforderungen von Just-in- time-Konzepten, Totaly-Quality-Management und die Standards hinsichtlich Termintreue und Produktqualitaet entsprechend der Norm ISO 9000 erfuellen.

Den Ergebnissen einer Befragung der Euroart Marketing in Koeln zum PPS-Thema zufolge bewegt sich die Zahl der Unternehmen, deren Loesungen bereits aelter als zehn Jahre sind, bei rund 20 Prozent. Bei 26 Prozent steht bis 1996 eine Abloesung der Altsysteme an.

Die veraenderte Situation - Just in time, Kommunikation mit den Lieferanten und Kunden via BDE oder Fortschrittskennzahlen-Systeme sind dafuer nur einige Schlagworte - wird besonders am Beispiel der Automobil- und Zulieferindustrie deutlich. "Wir konnten uns mit unserem damals ueber zehn Jahre alten PPS-System den wachsenden Anforderungen des Markts in der Kfz-Branche nicht mehr stellen", erinnert sich Guenther Werner, DV-Leiter bei der Bayrischen Druckguss-Werk GmbH (BDW). 1990 entschied man sich dort fuer die Erneuerung des bis dahin eingesetzten Kienzle-Produkts "Kifos" durch die PPS-Loesung "XPPS" von der Rembold + Holzer EDV-Beratung GmbH aus Breisach auf einer AS/400.

Die Entscheidung fuer das neue System wurde auch von organisatorischen Veraenderungen im Unternehmen geleitet - 1990 erfolgte eine Uebernahme durch die Alusuisse-Lonza-Gruppe.

Die bei BDW vorhandene Kienzle-Anlage war nicht mehr kompatibel mit der in der neuen Muttergesellschaft und ausserdem am Rande der Kapazitaetsgrenze angelangt. Darueber hinaus hatten die fuer das System zustaendigen Mitarbeiter das Haus bereits verlassen.

Das Hauptproblem stellte jedoch die nicht mehr ausreichende Funktionalitaet der Software dar. So prueft die Automobilindustrie in regelmaessigen Abstaenden Liefer- und Termintreue, wobei die DFUE nach VDA-Norm mittlerweile zum K.-o.-Kriterium fuer die Zulieferer geworden ist. Mit dem alten System war die Kommunikation per DFUE (Lieferschein-, Rechnungs-DFUE etc.) nicht moeglich. Die fuer Zulieferer unabdingbare Fortschrittszahlenlogik war ein Fremdwort, und auch die geforderte chargengerechte Verfolgung der Auftraege konnte nur mit erheblichem Aufwand, mit manuell erstellten Listen, Lieferscheinen und Warenanhaengern gewaehrleistet werden. "Das Vertriebsabwicklungs-Modul von XPPS gibt uns jetzt die Moeglichkeit", so Werner, "Lieferscheine per DFUE an die Kunden zu schicken, und zwar in dem Moment, in dem der LKW die Firma verlaesst, so dass sich die entsprechende Abladestelle automatisch auf den Eingang einstellen kann." Erst mit der neuen PPS-Software liessen sich verschiedene Programme etwa fuer den Einkauf oder fuer die Hochregalsteuerung, die vorher als Inselloesungen auf unterschiedlichen Rechnern liefen, in das Gesamtsystem integrieren.

Mit aehnlichen Problemen sah sich auch Roland Bommer, Leiter Organisation und Informatik bei der Halbergerhuette GmbH in Saarbruecken, Anfang der 90er Jahre konfrontiert. "Ausschlaggebend fuer die Abloesung der vorhandenen Individualsoftware waren neben organisatorischen Gruenden in erster Linie die voellige Zersplitterung der Programme innerhalb des Unternehmens", resuemiert der DV-Spezialist.

"Wir waren damals Weltmeister im Programmieren von Schnittstellen." Jeder groessere Anwenderbereich hatte einen eigenen Rechner mit einer individuellen, isolierten Applikation. Die Folge: Gleiche Daten wurden auf verschiedenen Rechnern und Datenbanken redundant gespeichert, andere Informationen lagen dagegen komplett separiert und waren fuer die Fachbereiche nur sehr schwer zugaenglich.

"Die Systeme stammten von unterschiedlichen Herstellern und waren deshalb nur bedingt kompatibel, zum Teil wurde in verschiedenen Sprachen programmiert", erklaert Toni Kroeber, verantwortlicher Projektleiter der Datasave GmbH in Koblenz. Neben einer Image- Datenbank wurden auch SQL- und CSFM-Datenbanken eingesetzt, es liefen Cobol- und CSP-Anwendungen, in der Kostenrechnung arbeitete man mit einer alten Batch-Loesung, im Bereich Finanzierung dagegen dialogorientiert. Die Software war zum Teil mehr als 20 Jahre alt und ueber den gesamten Zeitraum weiterentwickelt worden. Die Komplexitaet der Systeme wuchs dadurch ins unueberschaubare, die Benutzerfreundlichkeit tendierte gegen null. Von der Einfuehrung des neuen "MAS90"-PPS-Systems versprach sich das Unternehmen in erster Linie eine integrierte Loesung, die durch die entsprechende Parametrisierung speziell auf Arbeitsablaeufe abgestimmt werden konnte.

Als Schnittstelle zwischen Vertrieb und Produktion musste im Bereich der Logistik insbesondere der klassische Konflikt zwischen einer schnellen Verfuegbarkeit der Produkte und einer stabilen Auslastung der Fertigung mit moeglichst hohen Losgroessen geloest werden. Dazu liefert MAS90 eine virtuelle Bestandsfuehrung. Mit diesem Verfahren lassen sich Prognosen ueber Liefermoeglichkeiten mit den erwarteten Zu- und Abgaengen erstellen, so dass eine genauere Kapazitaetsplanung erfolgen kann.

Eine vergleichbare Situation herrschte auch bei Sensormatic: "Europaweit hatten wir in den einzelnen Business Units ein wahres Mosaik an unterschiedlichen Software-Implementierungen", beschreibt Juan-Antonio Sanchez, MIS-Director Europe bei der Sensormatic GmbH in Ratingen, seine Aufgabe, ein standardisiertes System einzufuehren. Fuer das stark expandierende Unternehmen mit 55 Niederlassungen weltweit und 15 Tochtergesellschaften und insgesamt 6000 Mitarbeitern in Europa war ein Strategiewechsel hin zu einem offenen, ausbaufaehigen System unabdingbar geworden.

Die Entscheidung fiel auf die integrierte Standardloesung "Triton" von Baan. Unterschiedliche Unternehmensbereiche wie Kostenrechnung, Logistik oder Vertrieb und Marketing werden durch die neue Software europaweit integriert. Die Folge sind ein besserer Product-Forecast sowie eine optimierte Lagerhaltung und Produktion.

Konstruktion und Fertigung/Projektablauf von "MAS90"

Januar bis November 1993: Installation von MAS90 mit Prototyping, Erstellung von Rahmen- und Fachkonzepten.

November 1993: Echtbetrieb der Finanzbuchhaltung mit den Bereichen Kunden und Lieferanten.

Januar 1994: Echtbetrieb der Anlagenbuchhaltung, Kostenrechnung mit Kostenstellen- und Kostentraegerrechnung, Gehaltsabrechnung.

Juni bis August 1994: PPS-Stammdaten mit Arbeitsplaenen und Stuecklisten.

Im Laufe des Jahres 1994: Planung des Vertriebprojekts.

Dezember 1994: Einfuehrung der ersten Vertriebsmodule.

Anfang bis Mitte 1995: Einfuehrung des Warenwirtschaftssystems (Lager, Einkauf, Verkauf), Einfuehrung der Lohnabrechnung, Installation der noch fehlenden PPS-Module im Bereich Planung und Steuerung.

Bis Ende 1995: Einfuehrung von BDE.

* Andrea Ragg ist freie Fachjournalistin in Filderstadt