IT-Arbeitsmarkt/Telekommunikationsarbeitsmarkt spaltet sich

Konsolidierungswelle läuft auf Hochtouren

06.07.2001
Jahrelang suchten TK- und Netzwerkunternehmen händeringend nach qualifizierten Mitarbeitern. Jetzt stehen plötzlich Entlassungen auf der Tagesordnung. Doch mittel- und langfristig gelten die Berufsaussichten in der Branche nach Expertenmeinung immer noch als sehr gut. Von Wolfgang Müller*

Es liest sich wie eine Erfolgsbilanz aus besseren Tagen: Motorola 22000, Nortel Networks 20000, Ericsson 15000, Lucent 10000, Cisco 8500, Siemens 8000, Philips 7000, Worldcom 6000, 3Com 3000, Alcatel 1000. Doch der Schein trügt: Bei diesen Zahlen handelt es sich um den seit Jahresbeginn angekündigten Stellenabbau der Telekommunikations- und Netzwerkausrüster. Insgesamt haben die Großen der Branche in den ersten drei Monaten des Jahres 2001 die Streichung von weltweit mindestens 100000 Jobs beschlossen. Insbesondere im Telekommunikationsnetzwerk- und Handybereich reagieren die Hersteller auf die mangelnde Investitionsbereitschaft der Carrier und zurückgehende Verkaufszahlen mit einer Entlassungswelle. Dabei sind die deutschen Produktionsstätten bisher noch relativ glimpflich davongekommen.

Lediglich bei Siemens werden 2500 Arbeitsplätze in der Handyfertigung und 5500 Stellen im Netzwerkbereich für Firmenkunden - überwiegend in Deutschland - gestrichen. Als "Rückkehr zur Normalität" bezeichnet Unternehmenssprecher Axel Heim von Siemens Information and Communication Mobile diese Entwicklung. Es würden lediglich Überkapazitäten abgebaut, und in den Siemens-Handywerken in Kamp-Lintfort und Bocholt habe man bewusst befristete Zeitverträge abgeschlossen, um sich auf die zyklische Auftragslage einzustellen. Diese Verträge würden jetzt nicht verlängert, es handele sich also um "keine klassischen Entlassungen". Betroffen sind vor allem Hilfskräfte in der Produktion.

Mit Teldafax, Star Telecom, Callino und Winstar Communications, die in den vergangenen Wochen Insolvenz anmelden mussten, hat die Krise jedoch mittlerweile auch die ersten neuen Carrier erreicht. "Durch Aufkäufe und Fusionen wird es in diesem Bereich sicher zu einer Konsolidierung kommen", erwartet Marion Krause, Sprecherin des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) in Köln. Aber im Datenbereich werde der Telekommunikationsarbeitsmarkt trotzdem weiter boomen und biete nach wie vor enorme Chancen für Einsteiger. "Das Wachstum findet allerdings nicht mehr in allen Bereichen statt, sondern begrenzt sich auf spezielle Sektoren", glaubt die Verbandssprecherin.

So benötigten viele Netzbetreiber heute ausgebildete Kräfte in der Kundenbetreuung und im Internet-Bereich. Auch in den technischen Abteilungen mangele es an Fachleuten, ebenso auf der Ebene des Projekt-Managements. "Um solche Arbeitskräfte auszubilden, hat der VATM im Februar eine Qualifizierungsoffensive für Quereinsteiger ins Leben gerufen", berichtet Krause. Mit Siemens Business Service (SBS) werden darin zunächst 14 Teilnehmer in drei Theorieschleifen und in einer praktischen Phase zu "Projekt-Managern IT Applications" ausgebildet. An dem Projekt beteiligen sich derzeit die sechs VATM-Mitgliedsunternehmen E-Plus Mobilfunk, MCI Worldcom, Vodafone Arcor, mcn tele.com, Tropolys, Broadnet sowie D-Plus Telekommunikations GmbH. Es steht aber weiteren Firmen offen.

UMTS an der Hochschule"Soziale Kompetenz wie Team- und Kommunikationsfähigkeit werden bei uns sehr hoch bewertet", sagt Karl-Heinz Mäver, Geschäftsführer des Hamburger Citycarriers HanseNet GmbH. Die Tochterfirma der Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW) und der Mailänder Firma Biscom hat in diesem Jahr bereits 100 neue Mitarbeiter eingestellt und bietet weitere 150 freie Stellen an. Bis zum Jahresende will der Stadtnetzbetreiber damit mehr als 400 Mitarbeiter an Bord haben. "Derzeit sind vor allem im IT-Bereich noch Jobs frei, aber auch in der Netzplanung, in der Linientechnik, im Projekt-Management und in der Kundenbetreuung", zählt Mäver auf. Benötigt werden dafür unter anderem Systemanalytiker, Ingenieure im Glasfaserbereich und Call-Center-Agents.

Auch der Geschäftsbereich Telco von Integris Deutschland im hessischen Langen sucht händeringend Mitarbeiter. "Die Telekommunikationsindustrie bleibt weiter ein Zugpferd auf dem Arbeitsmarkt", betont Jürgen Hien, Chief Operating Officer (COO) des zur Bull-Gruppe gehörenden Service-Unternehmens mit rund 240 Mitarbeitern. Für den weiteren Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten brauche seine Firma regelmäßig Hochschulabsolventen der Fachrichtungen Informatik, Mathematik, Natur-, Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften sowie Young Professionals.

"Wir decken mit unseren Lösungen die gesamte Wertschöpfungskette ab, von der strategischen Beratung bis zur Implementierung einer sicheren Infrastruktur", erläutert Hien. Das Leistungsspektrum reicht dabei vom Consulting beim Prozessdesign über die Auswahl von Komponenten und die Konzeption von technischen Systemarchitekturen, die Integration der neuen technischen Architektur in bereits vorhandene IT-Landschaften bis hin zur Inbetriebnahme der Systeme über mehrere Standorte sowie das Outsourcing einzelner Geschäftsprozesse.

Doch von allein kommen die von den Unternehmen benötigten High Potentials meist nicht. Deshalb unterstützt beispielsweise der Mobilfunkhersteller Ericsson den Aufbau von neuen Lehrstühlen im Bereich Mobilkommunikation an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen/Nürnberg und der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH), die bereits im kommenden Wintersemester 2001/2002 mit ihrer Arbeit beginnen sollen. Auch an der Fachhochschule Dortmund wurde im vergangenen Jahr ein eigenständiger Studiengang Telekommunikationstechnik eingerichtet. "In dessen Rahmen haben wir gleichzeitig die Studienrichtung Mobilkommunikationstechnik inklusive des Themas UMTS etabliert", berichtet Professor Norbert Wißing. Damit orientiere sich die Fachhochschule an den konkreten Notwendigkeiten der Branche und eröffne den Studenten die Möglichkeit einer zukunfts- und marktbezogenen Ausbildung.

Mittelständler suchen AzubisAuch Schulabgängern bietet die Telekommunikationsbranche jede Menge Berufschancen. So bildet Siemens derzeit mehr als 300 junge Menschen zu Kommunikationselektronikern aus. Aber gerade mittelständische Unternehmen wie zum Beispiel der Kölner Netzwerk-Systemintegrator NK Networks & Services GmbH erkennen zunehmend die Notwendigkeit, Lehrstellen zu schaffen. "Im August fangen bei uns erstmals zwei IT-System-Kaufleute mit ihrer Ausbildung an", berichtet Geschäftsführer Michael Horn. Das 120-Mitarbeiter-Unternehmen hat unter anderem die komplexen Netzwerke im Berliner Reichstagsgebäude, auf den Flughäfen Köln/Bonn und Frankfurt/Main sowie im neuen Münchner Messegelände realisiert und baut derzeit in Niedersachsen ein landesweites Behördennetz auf.

IT System-Kaufleute - so der Lehrplan - analysieren Geschäftsprozesse im Hinblick auf die Einsatzmöglichkeiten von Informations- und Kommunikationstechnologien und transferieren diese in individuelle Lösungen. "Bei unseren Netzwerkprojekten nimmt der Beratungs- und Serviceanteil immer mehr zu", sagt Horn. Mit der Schaffung der beiden Ausbildungsplätze wolle man sich das notwendige Personal für diese Aufgaben verstärkt selbst heranziehen. Gleichzeitig dokumentiere dieser Schritt aber auch "das Vertrauen von NK Networks & Services in die Zukunft der Telekommunikationsbranche". Denn trotz der aktuellen Probleme in einzelnen Bereichen werde deren Bedeutung insgesamt weiter zunehmen.

"Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Beschäftigten bei den Telekommunikationsdiensteanbietern um knapp 14000 an und liegt nun bei rund 239000", weiß auch Benedikt Jerusalem, Geschäftsführer des Berufsverbandes IfKom (Ingenieure für Kommunikation). Seiner Meinung nach wird der Fachkräftemangel noch lange anhalten, denn das Defizit an Experten bleibe auf absehbare Zeit weiter hoch.

*Wolfgang Müller ist freier Journalist in Düsseldorf.