Konkurrenzsituation der Dritten Welt veschlechtert

17.02.1984

Michael Paetau, Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH Bonn*

Der Transfer von Informationstechnologien in Länder der sogenannten "Dritten Welt" wird seit einiger Zeit mit wachsender Sorge betrachtet. Nicht nur in den betroffenen Ländern, auch von verschiedenen internationalen Organisationen (UNCSTD, UNIDO, UNCTAD, ILO) wird mehr und mehr eine kritische Haltung gegenüber der bisher geübten Praxis eines unangepaßten Transfers, also einer unmodifizierten Übertragung von technischen Produkten, die ursprünglich aus den spezifischen Bedürfnissen bestimmter Anwendungsbereiche der Industrieländer entstanden sind, eingenommen. Die computerherstellende Industrie sieht sich vor der schwierigen Situation, wenn sie auf die vorgetragene Kritik reagieren will, den Gebrauchswert ihrer der Dritten Welt offerierten Produkte zu überdenken und neue Produktstrategien zu entwickeln.

Mittlerweile ist Ernüchterung eingetreten, Illusionen sind weitverbreiteter Skepsis gewichen. Weder hat sich die Hoffnung auf eine grundlegende Verbesserung der sozioökonomischen Situation in der Dritten Welt erfüllt, noch ist es der computerherstellenden Industrie gelungen, Produkte für die Entwicklungsländer anzubieten, die deren besonderer sozioökonomischen Situation gerecht werden. So ist es auch keineswegs überraschend, wenn bisher alle Studien über Computeranwendungen in der Dritten Welt festgestellt haben, daß Informationstechnologie vor allem in den Wirtschaftsbereichen eingesetzt wird, die ihrer Struktur nach denen der Industrieländer ähneln. Vor allem spielen hier die für den Weltmarkt produzierenden Sektoren (Rohstofförderung, verarbeitende Industrie) und bestimmte Bereiche der Administration eine Rolle. Gerade diejenigen Sektoren jedoch, die den größten Problemdruck auf die Regierungen der Entwicklungsländer ausüben (kleine und mittlere Produktionsstätten der grundbedürfnisorientierten Investitionsgüterproduktion und Infrastruktur), sperren sich weitgehend einer Anwendung der vorhandenen informationstechnischen Produkte. Hier existieren Problemstrukturen, die so grundlegende Unterschiede zu denen der Industrieländer aufweisen, daß sie auf dem Markt erhaltlichen Systeme natürlich mit Ausnamen ungeeignet erscheinen.

Die Nichtangepaßtheit eines Großteils der verfügbaren Technik für die spezifischen Bedürfnisse der Drittweltländer hat mittlerweile zu Reaktionen gefürt, die die Brauchbarkeit von Informationstechnologie, ja sogar ganz generell die Nützlichkeit moderner Technologie in der Dritten Welt bezweifeln. In seinem berühmten Buch "Small is Beatiful" fordert E. F. Schumacher 3) eine radikale Abkehr von der gegenwärtigen technologischen Entwicklungspolitik. Auch der am 13. Januar 1984 in Genf von der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorgelegte Weltarbeitsübericht empfiehlt den Regierungen der Entwicklungsländer, sich einer Technik zuzuwenden, die eine möglichst darin, eine möglichts große Nutzung der vorhandenen, vorwiegend einfach qualifizierten Arbeitskräfte ermöglicht. Allerdings geht die ILO nicht so weit, die Bedeutung der Informationstechnik generell in Frage zu stellen.

Juan F. Rada 2) hat in seinem vorhandenen meist nur ein Beitrag zu dem Bericht an den Club of Rome (i982) einige Konsequenzen aufgezeigt, die aus einer einseitigen Ausnutzung moderner Technologien auf Seiten der Industrieländer für die Entwicklungsländer resultieren. Ich möchte hier an zwei Punkte, die mir in seinen Ausführungen besonders wichtig erscheinen, anknüpfen: die Weltmarktbeziehungen und die Möglichkeiten für die Entfaltung eines inneren Marktes.

Markt von ausländischen Unternehmen beherrscht

Eine der zentralen Thesen von Rada ist, daß die zunehmende Ausdehnung der Informationstechnik in den Industrieländern zu einem systematischen Abbau des relativen Kostenvorteils (komparative Kosten) der Drittweltländer auf dem Weltmarkt führt und damit sich deren Konkurrenzsituation drastisch verschlechtert. Der komparative Kostenvorteil der Entwicklungsländer besteht bislang darin, daß Arbeitskräfte wegen ihres reichlich vorhandenen Angebots billig, Kapital dagegen wegen seiner knappen Verfügbarkeit teuer ist. Viele entwicklungspolitische Vorschläge der letzten Zeit liefen deshalb darauf hinaus die vorhandenen-meist nur einfach qualifizierten-Arbeitskräfte zu mobilisieren und so auf der Basis geringer Lohnkosten und arbeitsintensiver Techniken auf dem Weltmarkt in die Konkurrenz zu treten. Nach den ersten empirischen Erfahrungen mit solchen Konzeptionen müssen deren Erfolgsaussichten allerdings stark bezweifelt werden. In der Vergangenheit konnten zwar einige Länder durch solche Strategien eine Zeitlang ihren Weltmarktanteil für bestimmte Waren ausbauen, verlohren ihn mittlerweile jedoch wieder ind müssen heute sogar befürchten, ihre einheimischen Märkte an die Konkurrenz aus den Industrieländern zu verlieren.

Der Grund für diese Entwicklung liegt darin, daß in den Industriestaaten- durch Einsatz der Informationstechnik die Arbeitsproduktivität derart gesteigert werden konnte, daß trotz des erheblichen Reallohngefälles in vielen Fällen, die Lohnstückkosten unter das Niveau der Entwicklungsländer gesunken sind.

Solange die gegenwärtige Form der Einbeziehung der Drittweltländer in den Weltmarkt beibehalten wird, ist der Einsatz moderner Technologien in den für den Außenhandel produzierenden Sektoren ein kaum umzustoßendes Gebot. Nur so ist die Produktivität und das Niveau der Produktionskosten dem Weltstandard anzugleichen und damit die Konkurrenzsituation des betreffenden Landes aufrechtzuerhalten. Diese ökonomische Notwendigkeit fordert allerdings einen hohen, für viele Länder zu hohen Preis. Denn in der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Situation ist eine sukzessive Verringerung der Beschäftigten in den betroffenen Sektoren die Folge. Da auch der Binnenmarkt in den meisten Entwicklungsländern gegenwärtig keine expansiven Anzeichen erkennen läßt, können freigesetzte Arbeitskräfte von den anderen Wirtschaftssektoren nicht aufgefangen werden. Die sozialen Probleme verschärfen sich anstatt sich zu verringern.

Damit komme ich zu dem zweiten wichtigen Komplex, zur Frage der Entwicklung des inneren Marktes. Die in der letzten Zeit von verschiedener Seite ausgesprochene Empfehlung an die Länder der Dritten Welt, ihren Binnenmarkt unter weitgehendem Verzicht auf moderne Technologien und unter Anwendung "mittlerer", arbeitsintensiver Technik zu entfalten, gerät meines Erachtens in die gleiche Schwierigkeit wie oben. Zwar ist es kaum zu bestreiten, daß arbeitsintensive Produktion bei sehr kleinen, überschaubaren Märkten eine sinnvolle Lösung sein kann. Allerdings zeigen auch hier die Erfahrungen der letzten Jahre, daß dies nur für eine relativ kurze Übergangszeit gilt. Sobald sich dieser Markt entfaltet was ja das ausdrückliche Ziel aller Entwicklungspolitik ist kristallisiert sich auch die Konkurrenz der Anbieter heraus und damit die Versuche, die Produktionskosten zu ökonomisieren. Spätestens wenn sich eine Infrastruktur mit einem verbesserten Transportsystem entwickelt hat, muß mit einer Vernetzung der kleinen dezentralen Märkte zu einem überregionalen Markt gerechnet werden. Dann werden auch Unternehmen mit moderner Großtechnik in die Konkurrenz einsteigen können, da die mittlerweile erreichte Größe des Marktes eine Auslastung auch größerer Kapazitäten nicht mehr unsäglich macht. Die gröäere Produktivität und die damit verbundenen geringeren Stückkosten derjenigen Unternehmen, die mit modernster Technik arbeiten, setzen die arbeitsintensiv produzierenden Unternehmen unter einen hohen Konkurrenzdruck. Ein Versuch, die Konkurrenzfähigkeit auch mit arbeitsintensiver Technik aufrechtzuerhalten, müßte zu einem Druck auf die Löhne und damit auf das Einkommen der Beschäftigten führen. Erfahrungsgemäß setzt sich in einer solchen Situation die kapitalintensive Technik gegenüber der arbeitsintensiven Technik durch. Das heißt: Diejenigen Unternehmen, die vorher mit einfacher Technik produziert haben, sind gezwungen auf moderne Technik umzusteigen.

Die Konzeption der technischen "Self-Reliance"

Hält man an der Prämisse fest, daß der innere Markt sich entwickeln muß, um die gegenwärtigen sozialen Problerne in den Griff zu bekommen, ist ein weitgehender Verzicht auf den Einsatz von Informationstechnik in der Dritten Welt erstens objektiv unmöglich und zweitens keinesweg so wünschenswert, wie in zahlreichen Empfehlungen der letzten Zeit behauptet wird (seltsamerweise werden diese Empfehlungen viel mehr aus den Reihen der Industrieländer vorgetragen werden als aus den betroffenen Drittweltländern selbst). Radikal verändert werden muß jedoch die Praxis des unangepaßten Transfers. Aus diesen Grundeinsichten heraus hat sich seit kurzem innerhalb der Länder der Dritten Welt eine differenzierte Position entwikkelt, die mit dem Begriff "Self-Reliance" umschrieben wird (Dieter Ernst, 1980 1). In der Konzeption der "technological self-reliance" wird als Grundproblem der Mangel an gesellschaftlicher Autonomie in bezug auf die Einsatzentscheidungen von Technik formuliert. Selbst in den Fällen, in denen nationale Entwicklungspläne existieren und wo der Versuch gemacht wird, Leitlinien für eine gesellschaftlich sinnvolle Technologieentwicklung aufzustellen, existiert bislang so wird argumentiert kaum ein realer Einfluß auf die tatsächlichen Entscheidungen. Das liegt einerseits an der häufig mit der ökonomischen Dominanz ausländischer Unternehmen verbundenen technologischen Abhängigkeit und andererseits am Verhalten auch einheimischer Unternehmen, ihre Innovationsstrategie mehr an kurz- und mittelfristigen Renditekriterien auszurichten anstatt an einer langfristig vorausschauenden gesellschaftlichen Technologieplanung.

Die Konzeption der technologischen "Self-Reliance" fordert eine "selektive Aneignung" von Technologie. Die Frage, für welche Bereiche welche Techniken entwickelt und eingesetzt werden sollen, muß also auf der Basis einer gesellschaftlichen Prioritätenfestsetzung beantwortet werden. Gemäß dieser Prioritätensetzung sind auch die entsprechenden Zweige der Grundlagenforschung zu fördern, und zwar innerhalb der Entwicklungsländer. Nur so kann die Basis für eine eigenständige Technologieentwicklung gelegt werden, die weniger abhängig ist von den Forschungsergebnissen in den Industrieländern. Technologiepolitische Priorität darüber besteht ziemliche Einmütigkeit muß bei den Techniken liegen die für den Aufbau einer grundbedürfnisorientierten Investitionsgüterindustrie relevant sind. An zweiter Stelle stehen Technologien für die Weiterverarbeitung lokaler Rohstoffe.

Das eigentliche Kernproblem liegt jedoch weniger bei der Festsetzung gesellschaftlicher Prioritäten sondern bei der Frage, wie sich diese Prioritäten in der Praxis durchsetzen lassen. Hier setzt man auf einen "gesellschaftlichen Lernprozeß", der allerdings entsprechender Institutionen bedarf, die ihn in Gang setzen und auch kontrollieren müssen (Dieter Ernst, 1980 1). Als wichtige Voraussetzung wird auch eine enge Kooperation zwischen den einzelnen Ländern der Dritten Welt angesehen,

* Michael Paetau ist Mitarbeiter beim Institut für Angewandte Informationstechnik

Literatur

1) Ernst, Dieter (Ed.) (1980): The New International Division of Labour Technology and Underdevelopment. Consequences for the Third World. Frankfurt am Main 1980

2) Rada, Juan F. (1982): Aussichten für die Dritte Welt. In: Friedrichs/Schaff (Hg.): Auf Gedeih und Verderb. Mikroelektronik und Gesellschaft. Bericht an den Club of Rome. Wien 1982

3) Schumacher. E. F. (1977): Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Alternativen für Wirtschaft und Technik. Reinbek bei Hamburg 1977