Die Gerüchteküche brodelt

Konfusion um Apples künftige Betriebssystem-Strategie

15.11.1996

In der Vergangenheit waren bereits häufiger Spekulationen aufgekommen, Apple versuche, das "Be-OS", ein neues, objektorientiertes Betriebssystem, zu kaufen. Es stammt von der Firma Be Inc., die vom ehemaligen Apple-President und Entwicklungschef Jean-Louis Gassée gegründet wurde .

Zwar widersprechen sich die Aussagen verschiedener Apple-Manager teilweise, insgesamt gesehen lassen sie aber den Schluß zu, daß eine größere Überraschung auf die weltweite Gemeinde der Macintosh-Anwender zukommt.

Apples Chief Financial Officer Fred Anderson hatte in einem Interview beim US-Fernsehsender CNBC zugesagt, seine Firma werde innerhalb der kommenden eineinhalb Jahre ein modernes Mac-Betriebssystem auf den Markt bringen. Ohne direkt auf Be einzugehen, sagte Anderson: "Ein Teil davon ist auch eine Make-or-buy-Entscheidung." Zwar habe man in Cupertino genügend eigene Entwickler, aber die Zeit dränge. Kurz zuvor hatte Ellen Hancock, Chief Technology Officer bei Apple, bereits gegenüber dem "San Francisco Examiner" geäußert, für das kommende Mac-OS seien ihr die Features wichtiger als die Kompatibilität mit heutigen Macintosh-Anwendungen.

CEO Gilbert Amelio schließlich hatte Ende Oktober auf einer Konferenz mit Investoren im kalifornischen Monterey angedeutet, Apple werde 1998 neue Rechner auf den Markt bringen, die mit einem komplett neuen Betriebssystem arbeiten sollen.

Mac- und Be-OS sollen verschmolzen werden

Wenig später publizierte Apple im Internet ein offizielles Statement mit der Kernaussage, die Firma verfolge keine neue Betriebssystem-Strategie. Amelios Aussagen von der Konferenz in Monterey seien falsch zitiert und aus dem Zusammenhang gerissen worden. Das Mac-OS solle in schrittweisen Upgrades weiterentwickelt werden. Weiterhin sei der von Motorola und IBM entwickelte Power-PC-Chip Apples Hardwareplattform der Wahl, man habe im Augenblick keine Pläne, das Mac-OS auf andere Mikroprozessoren zu portieren.

Während eines Termins bei der japanischen Niederlassung seiner Firma in Tokio hat Amelio dann jedoch die Kooperationsabsichten von Apple und Be bestätigt. Er widersprach allerdings Spekulationen, man wolle das Be-OS beziehungsweise die Firma Be gleich komplett übernehmen. Bestimmte Module von Be-OS könnten ins Macintosh-Betriebssystem integriert werden, um diesem noch fehlende Eigenschaften wie präemptives Multitasking, Multithreading und echte Memory Protection zu ermöglichen und es damit wettbewerbsfähiger gegenüber Windows NT und OS/2 zu machen. Amelio sagte allerdings auch, das Be-OS habe einige gravierende Nachteile. Es sei kein Echtzeit-Betriebssystem und verfüge nur über eingeschränkte I/O-Technologie.

Dennoch ist die Zusammenarbeit anscheinend weitgehend unter Dach und Fach. Die "Macweek" berichtete am 4. November, der Microkernel von Mac-OS 8 (Codename "Copland") solle mit dem Be-OS Application Model verschmolzen werden. Dieses Hybridsystem sei frühestens für den Spätsommer 1997 zu erwarten, Schlüsseldienste aus System 7.5x sollten nach und nach portiert werden. Außerdem untersuche Apple noch, ob sich heutige Macintosh-Programme in einer Emulation unter Be-OS betreiben lassen. Zeitlich sei ein angepaßtes Be-OS erheblich schneller zur realisieren als die Integration gleichwertiger Dienste in den aktuellen Code von Mac-OS 8.