Konferenz fuer Bildschirmarbeit WWDU 94 in Italien Ergonomische Arbeitsplaetze erhoehen die Produktivitaet

06.01.1995

Von Hildegard Schmidt*

In Italien fand in diesem Jahr die vierte internationale Konferenz fuer Bildschirmarbeit "WWDU 94" statt. Mehr als 600 Teilnehmer aus insgesamt 48 Nationen tauschten in der Mailaender Universitaet Informationen und Erfahrungen zur Gesundheit am Bildschirmarbeitsplatz aus. Neue Eingabegeraete und Softwareprodukte zur Auswertung der Arbeitsbedingungen fanden dabei besondere Beachtung.

Antonio Grieco, Praesident der WWDU 94, stellte in seiner Eroeffnungsrede heraus, dass die Humanisierung des Bildschirmarbeitsplatzes aktueller sei denn je. Denn wissenschaftliche Erkenntnisse ueber Gefahren bei der Arbeit und deren Beseitigung laegen laengst vor. Doch weder Industrie noch Anwender reagieren.

Seit Einfuehrung der Informationstechnologie ist der moderne Bueromensch noch mehr zur Bewegungslosigkeit verdammt als zu Zeiten der Schreibmaschine. Diese Bewegungsarmut hat einen hohen Preis.

Rueckenschmerzen als Volkskrankheit

Fuer die Vereinigten Staaten skizzierte H. W. Hendrick vom Institut fuer Sicherheit und System-Management in Los Angeles ein duesteres Bild: Hochrechnungen haben ergeben, dass im Jahr 2000 die Haelfte aller Beschaeftigten ueber Beschwerden, die ihren Muskel- und Skelettapparat betreffen, klagen werden. Diese Prognose wurde in Deutschland vom WHO-Collaborating-Center (Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen) in Essen bestaetigt. 1991 entfielen auf 100 Pflichtmitglieder in den alten Bundeslaendern 850 Arbeitsunfaehigkeitstage wegen Erkrankungen des Bewegungsapparats. Bei den europaeischen Nachbarn sieht es aehnlich aus: In Grossbritannien ergaben sich 1991 nach einer Veroeffentlichung des Nationalen Instituts fuer Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (NIOSH) bei jedem hundertsten Beschaeftigten durchschnittlich 32,6 Arbeitsunfaehigkeitstage, die durch Rueckenbeschwerden bedingt waren.

Eine Verbesserung waere schon sachliche Information

Um Verbesserungen an Bildschirmarbeitsplaetzen vorzunehmen, muessten alle Beteiligten zunaechst mit sachlichen Informationen ueber die ergonomische Handhabung der Arbeitsmittel versorgt werden.

Die italienische Forschungseinrichtung Ergonomics of Posture and Movement (EPM) bietet beispielsweise ein Programm an, das die ergonomischen Anforderungen an einen Bildschirmarbeitsplatz erlaeutert. Es ist auf CD-ROM in italienischer Sprache erhaeltlich. Begleitet von handlichen, witzig aufgemachten Broschueren erfaehrt der Anwender, welche Haltung der Wirbelsaeule schadet. In Videosequenzen wird ihm dann demonstriert, wie man's richtig macht.

Die Basis der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeraeten bildet die EG-Rahmenrichtlinie 89/391/EWG, an die zahlreiche Einzelrichtlinien geknuepft sind.

Der erste Termin fuer die Umsetzung dieser Richtlinie in Deutschland ist bereits geplatzt. Zum 31. Dezember 1993 haetten alle Mitgliedsstaaten ein nationales Gesetz verabschieden sollen. Damit wollte man ein einklagbares Recht schaffen, um den Arbeitgeber zu verpflichten, die Bildschirmarbeitsplaetze nach ergonomischen Gesichtspunkten auszustatten. Basis waere die Minimalloesung nach der Einzelrichtlinie 90/270/EWG. Wuerde sie in deutsches Recht umgesetzt, haetten rund 5,3 Millionen Angestellte Anspruch aufeinen ergonomischen Arbeitsplatz.

Laut Reiner Hoftijzer, Ratgeber der Generaldirektion fuer Beschaeftigung bei der Europaeischen Kommission, muss die Bundesrepublik jetzt mit einer Klage vor dem Europaeischen Gerichtshof rechnen, weil EG-Recht noch immer nicht in die nationale Gesetzgebung eingegangen ist.

Immerhin hat es die Berufsgenossenschaft Verwaltung schon zu einem Vorentwurf der Unfallverhuetung "Arbeit an Bildschirmgeraeten - VBG104" gebracht.

Ziel der europaeischen Richtlinie ist nicht nur eine Mindestvorschrift fuer Arbeitsmittel wie Bildschirm, Arbeitsstuhl und Arbeitsflaeche, sondern auch die Arbeitsumgebung, zu der der Platzbedarf, die Beleuchtung, Laerm, Waerme, Strahlungen und Feuchtigkeit gehoeren. Ausserdem werden erhebliche Ansprueche an die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine gestellt.

Die Arbeitsorganisation wird selten beruecksichtigt

Damit jedoch noch nicht genug: Ein besonderes Augenmerk ist auf die Gestaltung der Arbeitsorganisation zu richten. "Job- enrichment", "Job-enlargement" und "Job-rotation" heissen die Schlagworte. Die Arbeit soll qualitativ aufgewertet werden, der Arbeitsumfang darf wachsen, so dass eine vollstaendige Aufgabenbewaeltigung moeglich ist, und durch systematischen Arbeitsplatzwechsel lernt jeder die Taetigkeit seines Kollegen kennen.

Die Gefaehrdungen fuer die Gesundheit bei der Bildschirmarbeit lassen sich hauptsaechlich auf die statische Haltearbeit zurueckfuehren, die eine erhebliche geistige und koerperliche Belastung fuer den Beschaeftigten darstellt. Bewegungsarmut insgesamt und ein geaendertes Freizeitverhalten sind nur zwei weitere Gruende.

Ein besserer Arbeitsablauf steigert die Produktivitaet

Die Ursachen fuer die Erkrankungen des Bewegungsapparats sind nicht nur unergonomische Arbeitsmittel. Eine Studie von G. Bammer ueber arbeitsbedingte Erkrankungen erlaubt vielmehr die Schlussfolgerung, dass Verbesserungen in der Arbeitsorganisation Stress vermeiden helfen, Aufgabenvielfalt ermoeglichen, die Chance eroeffnen, die Kontrolle ueber die erbrachten Leistungen zu behalten und die Zusammenarbeit in Betrieben zu foerdern. Bammer konnte in ihrer Studie aus dem Jahr 1993 nachweisen, dass die ganzheitliche Betrachtung der Arbeitsplatzsituation und die Verbesserungen der Arbeitsorganisation automatisch eine Erhoehung der Produktivitaet nach sich ziehen.

Innovative Loesungen zur Schnittstelle Mensch-Maschine wurden von den Technischen Universitaeten Aachen und Berlin gezeigt. Gesucht wurde ein Geraet, dass Ereignisse greif- oder fuehlbar macht. Zugrunde lag die Erkenntnis, dass die mangelnde Beruecksichtigung taktiler und kinetischer Information die DV-Benutzer zur rein visuellen Wahrnehmung und damit zur Ueberlastung der Augen zwingt.

Vorgestellt wurden unter anderem verschiedene Prototypen von Maeusen mit einem flexiblen Stift, der leicht gegen den Eingabefinger drueckte, sobald der Cursor ein Ziel auf dem Bildschirm erreicht. Laut Mathias Goebel von der Universitaet Aachen sparten Tester im Vergleich zur herkoemmlichen Maus zwischen elf und 14 Prozent an Zeit bei der Suche nach einem Symbol auf dem Bildschirm.

Dass externe Eingabegeraete wie Maeuse bald kein Thema mehr sein koennten, prognostizierte der Leiter des Ergonomic Instituts in Berlin, Ahmet eakir, optimistisch aus seiner Studie ueber das Touchpad (auch bekannt unter der Bezeichnung Trackpad), eingebaut in Apples Powerbook 520c und 520. Ueber eine vor der Tastatur eingelassene 3 x 3 Zentimeter grosse Platte wird der Cursor mit dem Finger gesteuert.

Ueber einem Zeitraum von zwei Monaten wurden mit 20 Probanden Untersuchungen durchgefuehrt, die den Cursor ueber das Touchpad bedienten. Ergaenzt durch Videoaufzeichnungen, gaben elektromyographische Untersuchungen (EMG) ein Bild ueber die fuer die Bedienung des Touchpads notwendige Muskelarbeit ab.

Weder Maus noch Trackball sind ergonomisch optimal

Die Studie zeigte, dass nach fuenf Stunden Arbeit mit dem Touchpad in Verbindung mit einer Tastatur weitaus weniger Beschwerden zu verzeichnen waren als nach vier Stunden an einer Tastatur. Magnetische Feldstaerken fuer taeglich gebrauchte Gegenstaende werden dargestellt und mit den Anforderungen der Sicherheitsprotokolle MPR II (schwedisches Institut fuer die Erstellung technischer Broschueren) und TCO (schwedische Zentralorganisation fuer Angestellte und Beamte) anschaulich verglichen. So laesst sich ablesen, dass ein elektrischer Haarfoen in einem Abstand von 15 Zentimetern ein magnetisches Feld von 30 000 Nanotesla erzeugt, waehrend ein Desktop-Computer maximal lediglich ein Feld von 250 Nanotesla aufbaut.

Lars Brandt, Institutsleiter fuer Seefahrtsmedizin, Esbjerg in Daenemark, schaffte mit der Vorstellung seiner neuen Untersuchungen ueber Schwangerschaft und Bildschirmarbeit Klarheit. Demnach besteht zwischen Gesundheitsstoerungen und den elektrischen und magnetischen Feldern an Bildschirmgeraeten kein Zusammenhang. Die Keimzellen werden seiner Meinung nach von der elektromagnetischen Strahlung der DV-Geraete nicht beeinflusst.

Die Praevention von Haltungsschaeden hat sich die Firma Human Ware in Wien auf die Fahnen geschrieben. Die Geschaeftsfuehrerin Martina Molnar stellte "PC-Fit User Saver" vor, eine Art Bildschirmschonerprogramm, das per Videosequenzen zum Training unterschiedlicher Koerperbereiche animieren soll. Ergaenzt wird das Programm durch ein Begleitbuch mit Aufsaetzen von Experten und ansprechenden Darstellungen zum Thema. In Deutschland wird PC-Fit von der Ergodesk GmbH in Bergisch Gladbach angeboten.

Wann duerfen Angestellte ihren Stuhl selbst kaufen?

Vielen waere aber allein schon dadurch geholfen, wenn ihnen freie Hand bei der Gestaltung ihres Arbeitsplatzes gelassen wuerde, kommentierte der englische Ergonom Tom Stewart. Doch in den Betrieben sei es noch die Ausnahme, wenn ein Beschaeftigter danach gefragt werde, welchen Arbeitsstuhl er gerne haette. "Ergonomie ist viel zu wichtig, um sie den Ergonomen zu ueberlassen", sagte Stewart. "Jeder muss sich selbst mit viel Einsatz und Geduld um seinen Arbeitsplatz kuemmern."

* Hildegard Schmidt ist freie Autorin in Diekholzen.