Jobverlust durch Digitalisierung?

Komplexität schützt nicht vor Substitution

28.07.2021
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Nicht nur einfache Jobs werden durch die Automatisierung bedroht. Laut IAB können Computer im Zuge der Digitalisierung zunehmend auch komplexere Tätigkeiten von Spezialisten und Experten übernehmen.
Technologien wie Blockchain, ML und KI sei Dank sind auch Spezialisten und Experten nicht mehr ganz so unentbehrlich wie lange Zeit angenommen.
Technologien wie Blockchain, ML und KI sei Dank sind auch Spezialisten und Experten nicht mehr ganz so unentbehrlich wie lange Zeit angenommen.
Foto: Leremy - shutterstock.com

Einer aktuellen Untersuchung (PDF) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge arbeiteten 2019 in Deutschland bereits 11,34 Millionen Personen - rund ein Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - in einem Beruf, in dem eine große Zahl der Tätigkeiten potenziell von Software(Robotern) erledigt werden könnten. Zum Vergleich: Bei der vorangegangenen Erhebung für das Jahr 2016 waren es nur 25 Prozent. Kriterium des IAB ist dabei, dass mindestens 70 Prozent der Tätigkeiten eines Jobprofils potenziell substituierbar sind.

Laut IAB sind dabei die Jobs von ungelernten Helfern und Fachkräften noch immer am stärksten bedroht: In den betreffenden Berufen könnten durchschnittlich fast 60 Prozent der Tätigkeiten automatisiert erledigt werden. Aber dank der zunehmenden Fortschritte rund um Technologien wie Blockchain, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz sind auch Spezialisten und Experten nicht mehr ganz so unentbehrlich wie lange Zeit angenommen. So berechnete das IAB, dass rund 45 Prozent der Berufe mit Spezialisten-Know-how auch von Maschinen erledigt werden könnten, bei den Expertenberufen beträgt dieser Wert etwa 26 Prozent.

Was die gefährdeten Berufe angeht, ist das Potenzial, Tätigkeiten zu automatisieren, im Fertigungsbereich am höchsten. Durchschnittlich könnten hier fast 84 Prozent der Tätigkeiten automatisiert werden, wobei dieser Anteil seit 2016 kaum gestiegen ist. Für IAB-Forscherin Katharina Dengler ist dies ein Hinweis darauf, dass es zunehmend schwieriger und aufwendiger werde, Technologien zu entwickeln, um menschliche Arbeit zu ersetzen.

Die größten Zuwächse gegenüber 2016 stellte das IAB bei den Sicherheitsberufen mit einem Plus von 22 Prozentpunkten und in den Handelsberufen mit plus 11 Prozentpunkten fest. Besser sieht es in den sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufen aus, wo mit 13 Prozent vergleichsweise wenig Tätigkeiten automatisiert werden könnten. Die tatsächliche Entwicklung hängt Dengler zufolge von vielen Faktoren ab. Nicht substituiert würden Tätigkeiten, wenn menschliche Arbeit wirtschaftlicher, flexibler oder von höherer Qualität sei.

Neue Automatisierungsszenarien

Mussten im Rahmen der Untersuchung 2016 primär die Einsatzmöglichkeiten mobiler kollaborativer Roboter, selbstlernender Algorithmen und erste 3D-Druck-Szenarien berücksichtigt werden, sind es laut IAB nun zudem Technologien wie Blockchain, digitaler Zwilling und automatisierte, Algorithmen-basierte Entscheidungsverfahren, die menschliche Tätigkeiten übernehmen können.

So biete Blockchain die Möglichkeit, fälschungssicher und ohne die Bemühung von Agenturen oder von zentralen Instanzen Geschäfte abzuwickeln und dabei automatisch die vom Gesetzgeber vorgeschriebene revisionssichere Archivierung bestimmter Dokumente zu gewährleisten. Das IAB stuft daher vor allem Tätigkeiten wie Verkauf, Vertrieb, Verleih oder Leasing als automatisierbar ein - betroffen davon seien zahlreiche Berufe im Handel und Verkauf.

Großes Automatisierungspotenzial sehen die Arbeitsmarktforscher auch in der Möglichkeit, mittels Daten aus verschiedensten Quellen ein virtuelles Abbild zu erstellen. Anhand dieses digitalen Zwillings ließen sich dann verschiedenste Szenarien simulieren und analysieren. Laut IAB können durch den Einsatz dieser Technologien etwa Konstruktions- und Planungsaufgaben (etwa Anlagen-, Produktions- und Bauausführungsplanung), aber auch Managementaufgaben (z. B. Personaleinsatz- und Finanzplanung) automatisiert werden. Dies hätte unter anderem Konsequenzen für viele Ingenieur- und Technikerberufe, etwa im Maschinenbau oder Systems Engineering, aber auch für Berufe im Prozessmanagement oder Controlling.

Ein weiterer neuer Automatisierungsfaktor sind dem Institut zufolge autonome Entscheidungen von Maschinen und Systemen (Algorithmic Decision Making). Sie sind dank des Zugriffs auf Informationen über vorhandene Kapazitäten, Waren oder Materialien sowie darauf aufbauenden automatisierten Datenanalysen möglich geworden. Dadurch ließen sich beispielsweise Tätigkeiten wie Übersetzen, aber auch Korrespondenz, Kostenanalyse oder Kreditvergabe automatisieren - wenngleich der Einsatz solcher Technologien eine Vielzahl ethischer, rechtlicher, politischer und technischer, aber auch wirtschaftlicher Fragen aufwerfe.

Wie das Institut weiter ausführt, wurden zwischen 2016 und 2019 nicht nur neue Technologien verfügbar, auch zahlreiche Berufsbilder haben sich verändert. So übernahm das IAB insgesamt über 200 Tätigkeiten neu in die etwa 8.000 Tätigkeiten umfassende Liste zur Beschreibung der Tätigkeitsprofile der Berufe, darunter "agiles Projektmanagement" oder "Usability Testing". Auch etwa 30 komplett neue Berufe entstanden. Die meisten davon stehen direkt im Zusammenhang mit der Digitalisierung, wie der dreijährige Ausbildungsberuf Kaufmann/-frau E-Commerce oder UX-Design-Berufe.

Job Futuromat

Um die potenzielle Automatisierbarkeit konkreter beruflicher Tätigkeitsprofile zu ermitteln, hat das IAB den Job Futuromat bereitgestellt. Auf der Plattform können Beschäftigte oder Interessierte sehen, zu wie viel Prozent eine Tätigkeit schon jetzt und in Zukunft automatisiert werden kann.

Als Ausgangspunkt wurde dabei das BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit, das den rund 4000 gelisteten Berufen circa 8.000 verschiedene Tätigkeiten zuordnet, herangezogen. Für jede dieser Tätigkeiten wurde von drei Codiererinnen unabhängig voneinander recherchiert, ob es einen Computer oder eine computergesteuerte Maschine gibt, die diese Tätigkeit vollautomatisch erledigen könnte. (mb)