Komplexe Projekte weltweit steuern

03.08.2006
Von Rupert Stuffer 
Neue Collaboration-Ansätze ändern die Anforderungen an das Projekt-Management. Die herkömmlichen Methoden stoßen längst an ihre Grenzen.
Dank neuer Collaboration-Techniken können die Unternehmen ihre Projekte mehr und mehr dezentralisieren, also auf parallel arbeitende Gruppen verteilen.
Dank neuer Collaboration-Techniken können die Unternehmen ihre Projekte mehr und mehr dezentralisieren, also auf parallel arbeitende Gruppen verteilen.

Vernetzung und Standardisierung sind zwei der wichtigsten Schlagworte, die die weltweite Collaboration-Gemeinde derzeit beschäftigen. Daten, die bislang in einzelnen abgeschlossenen Systemen lagen, sollen künftig über einheitliche Schnittstellen verbunden und integriert werden. Damit entstehen neue Möglichkeiten der Interaktion in verteilten Projektteams, wie sie zum Beispiel in der Produktentwicklung an der Tagesordnung sind. Dank neuer Collaboration-Techniken können Unternehmen ihre Produktentwicklung mehr und mehr dezentralisieren, also auf kleine, parallel arbeitende Gruppen verteilen.

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Fazit

Herkömmliche Projekt-Management-Lösungen werden der von verteilten Teams und vielfältigen Abhängigkeiten geprägten Projektwirklichkeit heute nicht mehr gerecht. Für die Unternehmen heißt dass: Sie müssen sich nach Projekt-Management-Ansätzen umsehen, mit denen sich die neuen Formen der unternehmensinternen und firmenübergreifenden Zusammenarbeit abbilden und steuern lassen. Denn wer das Projekt-Management vernachlässigt, der verliert die Kontrolle über seine Projekte - und macht damit die erhofften Einsparpotenziale schnell zunichte. Das Kooperative Projekt-Management ist eine dieser neuen Methoden, die anzuschauen sich lohnt - vor allem weil sich die Methodik im mehrjährigen praktischen Einsatz, zum Beispiel durch eine Vielzahl von Autoherstellern und Zulieferern, Pharmaunternehmen und Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrtindustrie, erfolgreich bewährt hat.

Ein Konzert von Spezialisten

Der Austausch via E-Mail, das Arbeiten mit gemeinsamen Kalendern und Projektplänen, Instant-Messaging und nicht zuletzt das gemeinsame Weiterentwickeln zentraler CAD-Entwürfe über das Internet machen dies möglich. Jeder Fortschritt dieser verschiedenen Collaboration-Techniken und -Prozesse erleichtert unmittelbar die Dezentralisierung. In der Automobilindustrie ist es heute ganz alltäglich, dass eine Vielzahl von Zulieferern gleichzeitig an der Entwicklung einer Komponente arbeitet. Der Automobilhersteller fungiert hier als Dirigent, der das Konzert der von ihm beauftragten Spezialisten organisiert und überwacht.

Flache Hierarchien sind nötig

Was den Herstellern geholfen hat, Produktionskosten zu senken und dabei noch die eigene unternehmerische Flexibilität zu steigern, hat die Projektkultur über alle Unternehmensgrenzen hinweg deutlich verändert. Das verteilte Arbeiten, wie es in modernen Collaboration-Umgebungen üblich ist, lässt sich nur im Rahmen flacher, vertikaler Hierarchien realisieren, innerhalb derer die Eigenverantwortung der Beteiligten groß geschrieben wird. Gleichzeitig sind Kontroll- und Management-Mechanismen erforderlich, um die dezentralen, komplex vernetzten Prozesse zu steuern. Für das Projekt-Management heißt das: Eine veränderte Projektrealität hat zu völlig neuen Anforderungen geführt.

Je umfangreicher ein Projekt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es in Teilbereichen zu Verzögerungen oder zu Veränderungen kommt, die auch den übergeordneten Projektablauf und damit die gesamte Gruppe betreffen. Die Kernfrage des heutigen Projekt-Managements lautet deshalb: Wie lassen sich Projektpläne erstellen, die die Dynamik der Prozesse in der Produktentwicklung abbilden? Wie können also Verzögerungen, Terminverschiebungen, neue Deadlines so integriert werden, dass nicht ein ganzes Projekt aus den Fugen gerät und die Beteiligten den Überblick verlieren?

Unternehmen, die mit herkömmlicher Projekt-Management-Software wie "MS Project" arbeiten, bekommen hier Probleme: Diese Lösungen berechnen Termine algorithmisch. Ändert sich der Projektplan, zum Beispiel weil eine bestimmte Komponente erst mit vier Wochen Verzögerung fertig gestellt wird, so verschiebt die Softwarelösung in der Folge alle damit verknüpften Termine automatisch nach hinten.

Malwerkzeug für bunte Tafeln

Aufgrund der vielfältigen Wechselwirkungen innerhalb dieses komplexen Termingeflechts führt dies in der Praxis üblicherweise zu einer nicht mehr kontrollierbaren und nachvollziehbaren Verschiebung von Folgeterminen bis hin zum Endtermin. Weil dies nicht akzeptabel ist, sind viele Unternehmen dazu übergegangen, auf Abhängigkeiten und Verknüpfungen im System zu verzichten, um so die Komplexität zu reduzieren und um solche Dominoeffekte zu vermeiden. Das Projekt-Management-Tool verkümmert zum Malwerkzeug für bunte Übersichtstafeln. Um Projekte effizient und zielgerichtet zu planen und zu steuern, ist ein solches Projekt-Management ohne Planungszusammenhänge wertlos.

Alternative Methode

Anders beim "Kooperativen Projekt-Management": Ursprünglich entwickelt für die dynamischen Entwicklungsprozesse in der Automobilindustrie, arbeitet diese Methode mit der Idee eines dezentralen Projekt-Managements. In dessen Rahmen legen die Projektleiter Eckdaten fest, die Detailplanung liegt aber bei Teilprojektleitern und Projektteams. Sobald es zu Veränderungen im Ablauf kommt, die zu Kollisionen führen und den Projektablauf gefährden, werden die betroffenen Mitglieder automatisch informiert und Schnittstellen- beziehungsweise Planungskonflikte aufgezeigt. Die beteiligten Projektmitarbeiter sind dann gefordert, sich unmittelbar miteinander abzustimmen, sprich: sich zu unterhalten. Im direkten Austausch lassen sich neue Termine festlegen und Prozesse restrukturieren. Eine automatische Terminverschiebung über bestehende Pläne findet nicht statt - dies wäre auch technisch nicht möglich, ohne das komplette Projekt-Management zu sprengen.

Das Kooperative Projekt-Management bietet so den Vorzug kleiner überschaubarer Projektteams und dezentraler Selbststeuerung in der Welt unübersichtlicher und verteilter Prozesse - durch den unmittelbaren Austausch der direkt Beteiligten. Dies ermöglicht einen konstruktiven Abstimmungsdialog über simultane Projektschritte und mehrere Standorte hinweg.

Auch beim Kooperativen Projekt-Management haben die aktuellen Trends rund um Collaboration ihre Spuren hinterlassen. Die Entwicklungen treiben sich hier gegenseitig voran.

Cross Company Planning

Der bislang letzte Schritt ist die Methode des Cross Company Planning (CCP). Damit sind Teilplanungen, die parallel in verschiedenen Unternehmen laufen, zu einer gemeinsamen Datenbasis vernetzbar. Sie lassen sich dann in der Multiprojektlandschaft einem Verantwortlichen zuordnen, der die Hoheit über seine persönlichen Termine behält. Zugleich haben alle Projektmitarbeiter jederzeit darauf Zugriff, um den aktuellen und projektweit synchronisierten Planungsstand einzusehen und sich aktiv in den Prozess einzubringen. So tauschen sie relevante Informationen kontinuierlich zwischen ihren jeweiligen Multiprojektlandschaften aus.

Kommt es zu Problemen im Projektablauf, so lassen sich diese mit Hilfe von Kooperation und Kommunikation lösen: Während herkömmliche Methoden bei auftretenden Terminkonflikten auf der nächst niedrigeren Ebene nach dem Fehler suchen und dort rückblickend Alarm schlagen, informieren die neuen Lösungen mit automatischen Benachrichtigungen und Warnfunktionen auch die von den Folgen betroffenen Projektmitglieder.

Zwang zur Kommunikation

Wer bei welchem Konflikt eine bestimmte Aktion einleiten und entsprechend alarmiert werden muss, lässt sich individuell festlegen. So sind sämtliche Arbeitsbereiche in der Lage, frühzeitig zu reagieren. Alle Projektbeteiligten müssen im Konfliktfall die weitere Projektplanung abstimmen und gemeinsam anpassen. Dabei behalten sie den Überblick über das Gesamtprojekt sowie über die parallel laufenden Vorhaben.

Der entscheidende Vorteil des Kooperativen Ansatzes gegenüber anderen Projekt-Management-Methoden ist, dass er allen Beteiligten gleichermaßen hilft - Auftraggebern wie etwa Autoherstellern und Auftragnehmern, also beispielsweise Zulieferern. Bei dem Automobilzulieferer Edscha, einem Spezialisten für Türscharniere, arbeiten die zirka 180 Mitarbeiter der Produktenwicklung in den Geschäftsbereichen Scharnier- und Betätigungssysteme oft parallel an mehr als 350 Projekten. Dabei müssen Liefertermine gegenüber den Herstellern strikt eingehalten werden - ganz gleich, zu welchen Verzögerungen es intern kommt. Um dies zu gewährleisten, laufen sämtliche Planungsdaten und Terminpläne in einer zentralen Datenbasis zusammen. Bei Abweichungen in der ständig aktualisierten Planung erhalten die von der Änderung betroffenen Projektleiter oder -teams sofort einen Hinweis mit den Auswirkungen auf das eigene Projekt. Über CCP können auch die Autohersteller in diesen Prozess einbezogen werden. Für Auftraggeber bringt diese Methodik den großen Vorteil, dass sie auch in extrem komplexen Entwicklungsvorhaben die Projekthoheit behalten - und damit vor allem den Einführungszeitpunkt von Produkten selbst steuern und festlegen können. (ws)