Integration von Middleware, Clustering und Back Office

Komplette Infrastruktur soll NT-Entwickler ködern

11.07.1997

Windows NT verzeichnete bis dato vor allem Erfolge als File- und Print-Server auf Kosten von Novell Netware. Unix-Anbietern dagegen, die den Markt für Applikations-Server dominieren, konnte Microsoft nur geringe Anteile streitig machen. Die Gates-Company versucht nun deshalb verstärkt, ihr Betriebssystem-Flaggschiff für diese Aufgabe attraktiver zu machen.

Ironischerweise verfolgt der Windows-Hersteller, der mit Client-Server-Computing groß geworden ist, zu diesem Zweck eine Strategie, die eher für Anbieter proprietärer Midrange-Systeme typisch war. Microsoft versucht nämlich, Anwendern und Softwarehäusern (ISVs) die komplette Infrastruktur für die Entwicklung und den Einsatz verteilter Applikationen anzubieten. Das Motiv für dieses Bemühen scheint ziemlich einleuchtend: Nicht die Preise für Hardware, sondern das schwierige Zusammenspiel von Software verschiedener Anbieter treibt die Kosten für Client-Server in die Höhe. Microsoft verspricht, das Problem der vielfältigen Schnittstellen mit integrierten Lösungen aus der Welt zu schaffen.

Dieses Vorhaben umspannt Betriebssysteme, Entwicklungswerkzeuge, Middleware und Datenbanken. Als alles umfassende Klammer fungiert das hauseigene Component Object Model (COM).

Auf der Server-Seite bemühen sich die Redmonder schon länger, Windows NT durch das Softwarepaket "Back Office" als Applikationsplattform aufzuwerten. Die jüngste Offensive des Softwareriesen, Anbieter für ein "One Stop Shopping" zu werden, betreffen Programmier-Tools und Middleware. Bei den Entwicklungswerkzeugen soll das wuchtige Bundle "Visual Studio" Programmierern alle erdenklichen Mittel zur Anwendungserstellung in die Hand geben (siehe CW Nr. 25 vom 20. Juni 1997, Seite 13).

Eine "Enterprise Edition" soll die Attraktivität von Windows NT für unternehmenskritische Anwendungen erhöhen. Diese Variante ist hauptsächlich ein Produkt-Bundling, das neben dem Betriebssystem eine umfassende Infrastruktur zur Entwicklung mehrstufiger Anwendungen bieten soll. Zur beigepackten Software zählen neben den NT-üblichen Zugaben (wie der "Internet Information Server") die Clustering-Software "Microsoft Clustering Server" (MSCS, Codename "Wolfpack"), der "Transaction Server" (Codename "Viper") und der mit IBMs "MQ Series" konkurrierende "Message Queue Server" (Codename "Falcon").

Änderungen am Betriebssystem vergrößern zudem den verfügbaren Adreßraum für Anwendungen von 2 auf 3 GB, außerdem unterstützt das OS standardmäßig acht anstelle der sonst üblichen vier Prozessoren.

Sowenig die in Visual Studio zusammengepackten Programmier-Tools dem Anspruch nach einem integrierten Werkzeugkasten gerecht werden, sowenig empfiehlt sich Microsofts Middleware derzeit als Basis für unternehmensweite Anwendungen. Der Transaktions-Server unterstützt beispielsweise nur Distributed COM (DCOM), nicht aber die auf den meisten Server-Plattformen verbreitete Common Object Request Broker Architecture (Corba). Außerdem arbeitet er nicht mit dem weitverbreiteten Transaktionsmonitor "Tuxedo" zusammen. Ein weiteres Defizit besteht darin, daß er nicht auf das hauseigene Repository abgestimmt ist. Dessen Einsatz beschränkt sich auf die Entwicklungsphase, zum Betrieb der Anwendungen spielt es keine Rolle. Ähnliche Beschränkungen gelten auch für das Clustering von NT, das nur maximal zwei Rechner koppeln kann.

Allerdings ist Microsoft entschlossen, durch entsprechende Investitionen dem Ziel einer auf Basis von NT beruhenden, umfassenden Infrastruktur näherzukommen. Verbesserungen stellt das Unternehmen mit der nächsten Version von NT ("Cairo") und Wolfpack II in Aussicht.

Die Gates-Company will mit der integrierten Plattform vor allem Software-Entwickler für sich gewinnen. Eine vollständige Umgebung aus einer Hand könnte den Aufwand reduzieren, den diese auf die Bewältigung von Infrastrukturproblemen verwenden müssen. Unabhängige Softwarehäuser versprechen sich daher Konkurrenzvorteile für ihre Anwendungen, da sie mehr Zeit in deren Funktionalität investieren können. Diese Aussicht veranlaßt schon heute zahlreiche Entwickler trotz der bekannten NT-Mängel, auf das Microsoft-Angebot einzusteigen. Eine Studie der Meta Group geht davon aus, daß NT-Anwendungen in vier bis fünf Jahren Unix-Applikationen generell an Funktionalität übertreffen werden. Für Anwender könnte dies bedeuten, daß sie NT allein wegen der verfügbaren Applikationen einsetzen müssen, auch wenn sie sich nie explizit für das Microsoft-System entschieden haben.

In diesem Fall sollten Benutzer alles vermeiden, was die Synergieeffekte der Microsoft-Plattform beeinträchtigen könnte. Peter Burris, bei der Meta Group zuständig für Server-Strategien, warnt vor jeglichem "value add", also vor Anpassungs- und Veredelungsmaßnahmen von Drittanbietern. Dazu zählt er Cluster-Lösungen von Hardwarefirmen ebenso wie die Optimierung der Middleware. Sie zerstören den Vorteil einer standardisierten Infrastruktur und wirken kostensteigernd, was sich beispielsweise bei Updates bemerkbar macht. Damit verlieren NT-Systeme, die laut Gartner Group ohnehin nur geringfügig preisgünstiger als Unix sind, einen wesentlichen Vorzug. Der US-Analyst empfiehlt, einen NT-Applikations-Server am besten wie eine Black Box zu behandeln, also wegzusperren und nicht anzutasten, solange er läuft.

Der Erfolg von NT-Anwendungen könnte somit zu der paradoxen Situation führen, daß Anwender das Microsoft-System zwar einsetzen müssen, dieses aber - zumindest vom heutigen Entwicklungsstand aus betrachtet - nicht leistungsfähig genug für unternehmensweite Applikationen ist. Als Bremsklotz macht sich derzeit vor allem seine schlechte Skalierbarkeit bemerkbar. Sie äußert sich darin, daß mehr als vier CPUs kaum einen Leistungszuwachs bewirken (siehe Abbildung). Das von Microsoft ursprünglich für Hochleistungssysteme propagierte Wolfpack-Cluster gilt mittlerweile bloß als Technik zur Verbesserung der Ausfallsicherheit (Failover). Hauptargument gegen ein NT-Cluster zur Leistungssteigerung sind die hohen Kosten (siehe Rechenbeispiel im Kasten). Ein solches kommt bis zu doppelt so teuer als SMP-Systeme unter Unix, die auch jenseits von acht CPUs gut skalieren. Mehrere Studien gehen davon aus, daß Unix bei der Skalierbarkeit auch über die Jahrtausendwende hinaus einen Vorsprung gegenüber Windows NT behalten wird.

Für weitere Kosten von NT-Clustern sorgen der größere Administrationsaufwand und die Preise für verteilte Datenbanken. Letztere spielen bei solchen Kalkulationen eine entscheidende Rolle, weil es meistens Datenbank-Server sind, die als erste an die Grenzen der Skalierbarkeit stoßen und daher die Cluster-Option ins Spiel bringen. Die Anbieter verteilter Datenbank-Management-Systeme lassen sich ihre Technologie mit überproportional hohen Aufschlägen bezahlen. Das liegt vor allem daran, daß Microsofts Preisdrücker in diesem Markt, der "SQL Server", verteilte Systeme nicht unterstützt. Das soll sich mit der Ver- sion 8.0 ändern, die aber erst für 1999 zu erwarten ist.

Die Attraktivität vermehrt auftauchender NT-Anwendungen könnte schließlich unter einem weiteren Manko der MS-Infrastruktur leiden. Aufgrund des heterogenen Umfelds droht dem Anwender, daß sich die beteiligten Hersteller bei auftretenden Problemen für nicht zuständig erklären. Microsoft deckt zwar mit dem Betriebssystem, der Middleware und eventuell der Datenbank einen großen Teil der Software-Infrastruktur ab, dennoch begleiten im Vergleich zur AS/400 oder auch Unix noch eine ganze Reihe von Mitspielern das NT-Umfeld. Bei Supportfragen ist für den Anwender einer NT-Applikation nicht ohne weiteres ersichtlich, an wen er sich wenden soll (siehe Grafik).

Rechenbeispiel

Die Studie "Surfing the NT Tidal Wave" der Meta Group zeigt anhand einer Beispielkalkulation, daß Cluster zur Leistungssteigerung von Windows NT ausgesprochen kostspielig sind. Die fiktive Konfiguration umfaßt neben der Hardware eine R/3-Installation und eine Oracle-Datenbank. Das auf zwei Vier-Wege-Rechnern vom Typ NCR 4300 laufende, geclusterte NT-System kostet demnach 5 817 200 Dollar. Im Vergleich dazu beläuft sich eine um 25 Prozent leistungsstärkere Sun Enterprise 5000 mit acht Prozessoren auf 5094800 Dollar.