Anwenderbericht zur IBM-1750-lnstallation:

Kompetenzgewirr bei neuen Technologien

15.01.1982

Götz Mosig*, Berater auch im Kommunikationsbereich, schrieb diesen Bericht, der eine "Simulation" aus Facts und Erfahrungen ist, wie viele sie täglich realiter erleben. "Als EDV-Leiter war ich in zwei Konzernen mit der Installation von Kommunikations-Rechnern (Nebenstellenanlagen) beschäftigt, und jedesmal blieb ein bitterer Nachgeschmack zurück. Noch heute denke ich mit Wehmut daran, wie unter die abgehängten Decken und in die Fensterbankschächte ein ganzes Vermögen verkabelt und verjubelt wurde. Nun denn, der EDV-Leiter war nicht zuständig.

Im ELAN-Konzern wurde für unsere Büros der Zukunft außer einem kompletten neuen EDV-Zentrum auch gleich ein hypermodernes Verwaltungsgebäude erstellt, und rein zufällig erfuhr ich von den Technikern über die neue Nebenstellenanlage. Die Planung und Vergabe war bereits gelaufen, und so zogen wir halt in alle Ecken und Winkel doppelte Netze, hie Telefon, da Bildschirmkabel. Die EDV war schlicht übergangen worden, was hatte "die" auch in die Kommunikation reinzureden.

Im SLOW-Konzern wurde die EDV-Abteilung eingeschaltet, als es um die alte Klimaanlage aus dem EDV-Trakt ging und ob man diese für die neuen Kommunikations-Rechner weiterbenutzen könne. Wir setzten einen Analyse- und Entscheidungsprozeß auf die Schiene und engagierten uns wegen des bitteren Beigeschmackes aus alten Zeiten mehrere Monate für das Sujet. Eine neue Welt tat sich uns auf.

Hardware-Software-Comware

Kommunikations-Rechner sind mächtige Instrumente, und ihr Einfluß auf die neue Ablauforganisation ist mit Papier und Bleistift nicht mehr darstellbar. Dem zukünftigen Informations-Manager im Vorstand müssen zahlreiche neue Funktionen zuarbeiten, von denen mausgraue EDV-Leiter nur träumen können, wie zum Beispiel Textverarbeitung, Kommunikation, Methoden, Training und EDV-Organisation.

Die Analyse dieser Abhängigkeiten und die Vernetzung kann man unter anderem durch die Methode "Comware" erreichen, durch Kommunikations-Studien in Neuhochdeutsch.

Zielsetzung ist dabei die bedarfsgerechte Anwendung moderner Kommunikationsgeräte und -systeme. Doch woher kennt ein EDV-Leiter den Bedarf an Kommunikation der Fachabteilungen 1981 oder 1990, und hat er den Marktüberblick über die Vielzahl der Geräte?

Unser schlichtes "Nein" war zugleich ein Bekenntnis zu Comware. Mit dieser Methode wollten wir Licht in das Vielerlei der Bundespost bringen; Telefon, Telex, Telefax, Teletex, Bildschirmtext, Datex-P und was wir an Schlagworten so kannten. Kosten und Nutzen haben selbst die Fachleute der Hersteller nicht i n Griff, wie wir noch erfahren sollten.

Analysierte Nachrichtenströme

Comware analysiert typische Nachrichtenströme innerhalb und zwischen Organisationseinheiten. Kunde-Auftragsverwaltung-Logistik-AV-Debitorenbuchhaltung-Außenlager-Produktion-Lieferant etc. Dabei geht es aber nicht um die simple Frage: Wie viele Telefone werden wir 1990 wohl haben, muß es Typ A oder B vom Kommunikations-Rechner sein? Typische Fragen lauten dabei:

Gibt es diese Funktion noch 1990?

Gibt es 1990 neue Funktionen, welche?

Kommunizieren Computer miteinander?

Anwendungsgebiete für Bildschirmtext?

Integration Text + EDV + Kommunikation?

Welche internen und externen Netze gibt es 1990?

Schnittstellen-Probleme?

Die Praxis geht in solch einem Dilemma pragmatisch vor und bestellt, was die anderen auch einsetzen. Anbieter waren IBM, SEL und Siemens, nach gründlichem Aktenstudium ergab sich, daß die Angebote nicht vergleichbar waren. Weder im Preis, noch in der Leistung, noch im Technologiepotential, das dahintersteht. Wie kann ich das SNA-Netz mit Datex-P vergleichen, wie die Anwendungs-Software in den Kommunikations-Rechnern, wie Wartung, Service, Energieverbrauch etc.

Siemens kann mit dem SNA-Netz problemlos kommunizieren, behaupteten die Vertriebsbeauftragten. Wir waren mißtrauisch und ließen uns die Anwendung bei Telefunken in Konstanz demonstrieren. Sie konnten!

Big Blue schien sich plötzlich im Telefonzubehör qualifizieren zu wollen. Unseren Systemanalytikern war allerdings IBM 3750 oder 1750 absolut fremd. Die Anwendungsbeschreibungen allerdings waren bestechend, bei telefonischen Rückfragen aber oft noch in Planung.

Wir haben uns dann während der Veranstaltung "Institut 81" in Mainz im Vorführwagen umfassend über das System IBM 1750 informiert. Fazit: Mit diesem Hobel können wir einen Großteil der geplanten Anwendungssysteme wegschmeißen; es geht nämlich auch anders. Nachträglich, aus heutiger Sicht, ist der Kauf einer 1750 nicht unbedingt falsch, da IBM die Bildschirmtext-Zentralen mit 4300-Rechnern und /1-Minis ausrüstet (CW Nr. 49/1981) und SNA groß rauskommen wird. Anfang 1981 war die Situation aber anders.

Verkabelung ist sündhaft teuer

Verkabelung von Industrieunternehmen ist sündhaft teuer, dies wußten wir vom ELAN-Konzern. Telefonkabel, Datentelefon und Kommunikations-Rechner sind eine Alternative, Btx eine weitere, Computer-Handshaking eine dritte, mobile Datenerfassung eine vierte, etc, etc. Wir setzen auch Mikrocomputer zuhauf ein, wollten die etwa auch miteinander? Der langen Analysen kurzer Sinn, ein Netzwerk mußte her! Am besten gleich zwei, ein externes und ein internes. Draußen herrschte die Bundespost und das SNA-Protokoll, drinnen war noch Vakuum. Wer verkabelt wen, war die Frage.

Die Werksrechner (plant computer) kommunizieren untereinander, mit dem Host, mit den Lieferanten und Kunden, mit dem Konzern-Rechner und mit der Armada von Mikrocomputern, die fleißig in den Fachabteilungen budgetiert wurden. Die Gleitzeiterfassung hängt an dem 8100-System und über Datentelefon via IBM 1750 kann man eingeben und abfragen, falls autorisiert. Und Textverarbeitung? Kein Problem, meint der VB, wissend, daß in den nächsten zwei Jahren da via 8100 und DPPX nicht viel läuft. Und Bildschirmtext? Herrlich, das kommt in Farbe!

Es wurde "Pi mal Daumen" bestellt für die nächsten zwanzig Jahre. Ohne Unternehmensmodell, Planungsmethodik und schrittweiser Abstimmung der Anwendungstechnik untereinander läuft da nichts. Wer Lagerleitstände eingerichtet hat und die gute alte Arbeitsvorbereitung in eine schlagkräftige Logistikabteilung verwandelt hat, weiß was gemeint ist. Man kann die Zukunft planen oder sich zu ihr durchwurschteln. Wir sind für ersteres, sprich Software-Engineering.

Späte Rache

Die Inhouse-Netze wurden schlicht nicht installiert, die entsprechende Software und die Hardware-Komponente nicht bestellt. Was geht den Leiter EDV/Org. auch die Nebenstellenanlage an!

Die späte Rache ist ein Bumerang. Wenn die Loopkabel erst einmal liegen, dann müssen sie auch abgeschrieben, sprich genutzt werden. Und wer heute in Konzernorganisationen Mikros einsetzt, die nicht miteinander können oder wollen, der produziert babylonische Zeiten! In zwei bis drei Jahren ist das dann alles Computerschrott! Über die Netze rollt IBM den Mikromarkt von hinten auf, schwant mir.

Und auf dem Altenteil können wir dann jedem, der es hören will oder nicht, erzählen, wir hätten es so kommen sehen. Nein, die EDV-Abteilung muß sich die neuen Techniken untertan machen, sonst wird es der Unternehmensberater & sie tun, ohne sie!

Ein Trost, daß für Mikros und Kommunikations-Rechner die Schnittstellen-Software zu den großen Standardpaketen noch fehlt. Dadurch wird die Entwicklung etwas gebremst, und Fehlplanungen fallen kaum auf. Im Industriebetrieb müßte "Copics" zum Beispiel durch Mini-Copics ersetzt werden, mit ausgelagerten Funktionen auf Mikros oder IBM 1750 zur Betriebsdatenerfassung.

Wenn diese Software-Lücke alsbald geschlossen ist, hat der VB Grund zum Feiern. Dann gibt es Punkte im exklusiven Heimspiel für Big Blue.

*Software Engineering, G. Mosig GmbH & Partner