Kompatibilität wird zum Alptraum

25.09.1981

"Betriebssystem-Strategien" und "Datenbank-Konzepte" sind selten attraktive Themen für DV-Bildungsveranstaltungen. Man muß die Materie schon halbwegs kennen, um mitreden zu können.

In gewöhnlichen Computershows der Hersteller kommen diese Reizthemen deshalb kaum vor - es sei denn, es handelte sich um echte Nachaufklärung, nicht um Verkaufsmatineen.

Was sich Kunden und Lieferanten über die OS- und DB-Problematik zu sagen haben, ist ohnehin nicht für fremde Ohren bestimmt. Bezeichnenderweise sind sich in diesem Punkt sämtliche Hersteller einig. Kein Produzent, der sich zu vergleichenden Aussagen über das Basissoftware-Angebot seiner Mitbewerber provozieren ließe. Kein Benutzer auch, der die Betriebssystem-Malaise eines Mitbewerber-Kunden mitleidig belächelte. Denn hier geht's ans Eingemachte - und zwar für beide Seiten: Der Anwender sieht durch neuartige Software-Techniken, womöglich in schwer entzifferbaren Mikrocode verpackt, seine Programm-Investitionen gefährdet; der Hersteller ist zwar an der zügigen Markteinführung leistungsfähigerer Produkte interessiert, will aber seine treuen Altkunden nicht vergraulen.

Das Schlüsselwort heißt Kompatibilität: Wer auf ein neues System umsteigt, will sein Gepäck mitnehmen. Dieses Anliegen der User ist legitim, die Sorge, Probleme beim Verstauen zu bekommen, berechtigt.

Gerade langjährige DV-Klienten haben im Laufe der Zeit um bestehende Operating- und Datenbank-Systeme herum eine Vielzahl von Anwendungen entwickelt, die alle ihre geheimen Beziehungen unterhalb der Benutzer-Oberfläche haben. Ein Kappen dieser Verbindungen verbietet sich von selbst, weil damit das ganze Applikationsgebäude wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen würde.

IBM-Anwendern geht es da nicht anders als Siemens-, Honeywell-, Univac-, Burroughs-, NCR- oder ICL-Kunden. Sie leben im Software-Gestern, weil die großen Mainframer den harten Betriebssystem-Schnitt bisher nicht gemacht haben.

Wen wundert's, daß vor diesem Hintergrund für viele DV-Chefs der Gedanke an einen Neubeginn, an Programmieren auf der grünen Wiese - so verlockend das andererseits erscheinen mag - alptraumhafte Züge annimmt.

Das ist ja das Perverse: Vom Hersteller offerierte Kompatibilitätskrücken, die den Wechsel auf ein größeres, schnelleres, schöneres System erleichtern sollen, lösen das eigentliche Problem der Anwender nicht. In Wahrheit zementieren sie das Grundübel der Mehr-Generationen-DV, ständig mit veralteten Programmen fahren, mit Anwendungen leben zu müssen, die aus Endbenutzersicht weder komfortabel noch das Geld wert sind, das sie kosten. Ja, oft sind sie sogar die Ursache für neuerliche Hardware-Erweiterungen.

Aber auch die Rechnung der Hersteller geht nur scheinbar auf. Gewiß, die Kunden sind's zufrieden, wenn der RZ-Schornstein raucht. Aber von der Software-First-Maschine, die die enorme Performance der modernen Hardware tatsächlich auf den Doppelboden bringt, wagen IBM & Co. nicht einmal zu träumen. Der Betriebssystem-Fleckerlteppich wird zum Klotz am Bein. Man stemmt ihn, wie ein Kettensträfling, am besten über den Kopf, um nicht erwürgt zu werden. Solange die Kraft reicht. Es ist abzusehen, wann die Muskeln abschlaffen. Ob Vogel-Strauß-Politik die richtige Lösung ist?

Wie gesagt: Betriebssystem-Strategien sind selten attraktive Themen . . .