IT in Behörden/Sozialamt der Stadt Essen erneuert seine IT

Kompass im Dschungel der Sozialgesetze

13.08.2004

Selbst erfahrene Sachbearbeiter finden sich im Dschungel der Sozialgesetzgebung und all der Vorschriften nur noch schwer zurecht. In Anbetracht der permanenten Änderungen in der Renten-, Arbeitsmarkt-, Sozialhilfe- und Gesundheitspolitik wird sich die Lage auch in Zukunft kaum bessern. Man denke nur an die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Stichwort: Hartz IV). Sie wird sich auch auf die kommunal finanzierte Sozialhilfe auswirken. Denn nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit werden deutschlandweit etwa 500 000 Empfänger des alten Arbeitslosengeldes kein Geld mehr bekommen und somit nicht zu den Empfängern des Arbeitslosengeldes II zählen. Sie müssen Sozialgeld beantragen. Auch im Sozialamt Essen sind Transparenz und schnelles Handeln gefragt, um die heute schon große und stetig wachsende Flut von Anträgen bearbeiten und Antragsteller beraten zu können. Essen ist mit rund 600 000 Einwohnern die sechstgrößte Stadt Deutschlands.

Woher die Komplexität in den Prozessen des Sozialamtes rührt, zeigt ein Blick in die Tätigkeit der Sachbearbeiter: Unter dem Strich geht es darum, ob ein Bürger Leistungen wie etwa Sozialhilfe, besonderen Mietzuschuss oder Hilfe zur Arbeit erhält. Die Schwierigkeit steckt im Detail. Jeder Bürger hat ein individuelles Umfeld, einen sozialen Status, Verbindlichkeiten und unterschiedliche Bedürfnisse. Erst aus diesen sehr spezifischen und an die Person gebundenen Merkmalen errechnet sich sein Anspruch auf Leistungen.

Die Gründe für die Essener, sich nach einem neuen System umzusehen, sind typisch. Das seit 1990 eingesetzte Altverfahren "SOZ NRW" wurde vom Verbund der Gemeindegroßrechenzentren NRW ursprünglich als reines belegbasierendes Batch-Verfahren für Siemens- und IBM-Großrechner entwickelt. Das Essener Systemhaus (ESH), das als Dienstleistungsrechenzentrum für alle Ämter der Stadt fungiert, erstellte eine Dialogoberfläche und setzte diese auf die Standardverfahren auf. Änderungen und Erweiterungen, die durch neue Gesetze und Vorschriften nötig waren, wurden zwar zentral in das Basissystem eingebaut, die damit verbundenen Anpassungen der "Essener Version" wurden aber für das Systemhaus auf Dauer zu teuer. Da weder die zeichenorientierte Benutzeroberfläche noch der Einsatz eines Großrechners als Daten- und Applikations-Server dem Stand der Technik entsprach, entschied sich das ESH, den Support für das eigene Programm mittelfristig einzustellen.

Altsysteme waren zu teuer

Eine Arbeitsgruppe, die mit der Auswahl einer neuen Lösung beauftragt war, erstellte zunächst einen dreistufigen Anforderungskatalog. Stufe eins umfasste alle Funktionen und Leistungsmerkmale, die das neue System haben sollte. Dazu zählten die Berechnung aller notwendigen Leistungen, Sicherheitsaspekte, ein definierter Unterschriftenkatalog (differenziertes Vier-Augen-Prinzip) sowie eine einheitliche Oberfläche für alle Verfahren. Daneben sollten sich mit dem System Zahlungen zurückrufen und ordnungsgemäß verbuchen lassen können. Zur Stufe zwei gehörten Merkmale, welche die Arbeit zusätzlich erleichtern sollten, wie etwa Eingabehilfen. Stufe drei umfasste Funktionen, die als "nice to have" eingestuft wurden. Darunter fiel unter anderem ein Standard-Interface zum Kassenverfahren (SAP), das sowohl Buchungen vom Sozialamtssystem in das SAP-System als auch umgekehrt unterstützt. Ferner sollten Alarmfunktionen und unbegrenzte Rückrechenmöglichkeiten vorhanden sein.

Suchabfragen unter einer Sekunde

Nach Vorstellung der am Markt befindlichen Verfahren durch die Hersteller und intensiven Tests durch das Projektteam - das Sozialamt hatte sich dazu alle in Frage kommenden Lösungen im Hause installiert - fiel das Votum eindeutig für eine Lämmerzahl-Lösung aus. Das Dortmunder Softwarehaus ist auf IT-Lösungen für Kommunen und Verwaltungen im Sozialhilfebereich spezialisiert. Im Einsatz befinden sich in Essen die Module Grundsicherung, Pflegewohngeld und Sozialhilfe.

"Wir sind zufrieden. Die Performance und die bedienerfreundliche Oberfläche überzeugen uns", lobt Rüdiger Becker, Koordinator für Informationsverarbeitung im Sozialamt Essen. Gut gefallen ihm die kurzen Antwortzeiten: "Eine Suchabfrage ist unter einer Sekunde erledigt." Die Monatsabrechnungen für mehr als 29 000 Fälle brauchen nur noch sechs Stunden; dabei würden für die Neuberechnung der monatlichen Zahlbeträge knapp zwei Stunden benötigt. Ein Indiz dafür, dass die Software auch für Großstädte geeignet ist, so Becker.

Das Fundament der Software sind Entwicklungs-Tools, ein relationales Datenbanksystem sowie der Application Server des Herstellers Progress Software.

Der Anwender muss am Bildschirm nur die Merkmale der Kunden eingeben, dann wird der Input unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorschriften verarbeitet. Neben den allgemeinen Stammdaten wie Adresse und Bankverbindung werden Daten zur Familien- und Wohnsituation erfasst. Zur Berechnung des Hilfeanspruchs ist es einerseits erforderlich, die vorhandenen Bedürfnisse sowohl für jeden Einzelnen als auch für die Gemeinschaft zu erfassen, andererseits müssen vorhandene Einkommen in die Berechnung einfließen.

Da die Software sich auf den gängigen Hardware- und Betriebssystem-Plattformen betreiben lässt, konnte sie auch in das Systemumfeld des ESH eingebunden werden. Ein weiterer Pluspunkt ist die Einheitlichkeit der Verfahren. So lassen sich alle Prozesse beliebig miteinander kombinieren, jedes Modul ist über ein Icon in der Symbolleiste aufrufbar. Integriert sind die Bausteine über eine Progress-Datenbank, so dass die Anwender Eingaben nur einmal tätigen müssen und die Daten danach aus allen Sachgebieten heraus aufrufen können.

Begleitet wurde die Installation durch Schulungen, wobei sich aufgrund der übersichtlichen Benutzeroberfläche und der logischen Programmabläufe der Aufwand auf maximal drei Tage pro Arbeitsplatz beschränkte. Insgesamt gab es 110 Schulungstage mit Gruppen von bis zu zehn Teilnehmern. Die Applikationen selbst laufen im Rechenzentrum des ESH auf einem IBM-Server unter dem Betriebssystem AIX. Als Frontends werden PCs unter Windows 2000 eingesetzt. Um bei etwaigen Updates die Softwareverteilung zu vereinfachen, ist ein Serviceverzeichnis auf dem Server eingerichtet, von dem sich jeder PC die neuesten Versionen automatisch herunterlädt - ohne dass der Anwender oder die Servicemitarbeiter tätig werden müssen. (bi)

*Julia Dippel ist DV-Koordinatorin und Projektleiterin im Sozialamt der Stadt Essen.

Hier lesen Sie ...

- womit das Sozialamt Essen den Dschungel der Sozialgesetzgebung lichtet;

- warum die Anpassung der eigenen Programme auf die Dauer zu teuer wurde;

- weshalb die neue Lösung auch für Großstädte geeignet ist.

Sozialamt Essen

"Sozialamt - Menschen im Dialog" lautet seit Frühjahr 2003 der offizielle Slogan des Amtes. Er kennzeichnet die Nähe zu den Hilfesuchenden und die entsprechende Kundenorientierung. Als sozialer Dienstleister hat das Amt die gesetzliche Aufgabe, die Existenz hilfebedürftiger Menschen in Essen zu sichern und ihnen ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Im Vordergrund der Hilfegewährung nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) steht die Förderung der Selbsthilfe, um die Klienten möglichst schnell von der Sozialhilfe unabhängig zu machen. Die kommunale Beschäftigungsförderung Pro Chip und die Vermittlungsberatung fördern die wirtschaftliche Unabhängigkeit und berufliche Qualifizierung. 16 Nebenstellen, des Amtes verteilen sich gleichmäßig auf das gesamte Stadtgebiet.