GMD: Zwischenbericht aber Computerkonferenzsystem "Komex"

Kommunikationsexperiment am eigenen Leib

22.10.1982

ST. AUGUSTlN (pi) - Die GMD hat in den letzten Jahren das Computerkonferenzsystem "Komex" (Kommunikation, experimentell entwickelt. Seit Anfang 1982 wird das System im eigenen Haus erprobt. An dem Versuch sind rund 150 GMD-Mitarbeiter beteiligt, die das System regelmäßig und aktiv für einen Teil ihrer innerbetrieblichen Kommunikation nutzen. Alle Vorstandsmitglieder der GMD und viele Instituts-, Abteilungs- und Projektleiter nehmen an dem Versuch teil.

Einige Zahlen über die bisherige Systemnutzung: Pro Monat werden durchschnittlich 1400 Nachrichten versendet, 2500 Nachrichten empfangen (Mehrfachversand) und 1500 Terminalsitzungen durchgeführt.

Bei einem solchen Versuch interessiert natürlich, wofür das neue Kommunikationsmedium genutzt wird und ob und wie sich das Kommunikationsverhalten dadurch verändert. Die Antworten auf solche Fragen können freilich zur Zeit nur vorläufig sein. Denn es erfordert Zeit, bis der Umgang mit einem neuen Kommunikationsmedium eingeübt ist. Es müssen neue Verhaltensgewohnheiten und Kommunikationskonventionen entwickelt, erprobt und dann gelernt werden. Dabei reicht es nicht aus, daß ein einzelner diese Gewohnheiten isoliert entwickelt, sondern eine ganze Gruppe muß sich darauf verständigen. Dazu sind wenige Monate Praxisversuch nicht ausreichend. Man denke nur an die vielen Konventionen, die entwickelt worden sind, um sich über das Telefon miteinander verständigen zu können.

Trotz dieser Vorbehalte sollen im folgenden einige erste Eindrücke aus dem bisherigen Einsatz von "Komex" geschildert werden. Drei Beobachtungen sind besonders bemerkenswert:

- Komex wird überwiegend für die "kleine" Kommunikation eingesetzt. Kurze Nachrichten und Hinweise, Erinnerungen, Terminvereinbarungen, einfache administrative Angelegenheiten, Vor- und Nachbereitung von Sitzungen dominieren. Demgegenüber sind lange Ausführungen über inhaltliche und schwierige Komplexe relativ selten und finden, wenn überhaupt, in der Form statt, daß ein Teilnehmer einen Entwurf für einen Text erarbeitet und die anderen dazu mit kurzen Anmerkungen Stellung nehmen.

- Die Kommunikation über Komex ist zum einen Teil Ersatz für Kommunikation über andere Medien und zum anderen Teil ist sie zusätzliche Kommunikation, die über andere Medien gar nicht entstehen würde. Da Komex-Nachrichten von den meisten Teilnehmern bisher relativ schnell bearbeitet werden, bedient man sich dieses Mediums zum Beispiel gerne, um Leute zu erreichen, die über Telefon schwer erreichbar sind. Zusätzliche Kommunikation entsteht zum einen einfach durch die bequeme Möglichkeit der Verteilung von Nachrichten an mehrere Teilnehmer; der Aufwand ist nicht größer ist der Nachrichtenversand an einen einzelnen. Zum anderen werden aber auch tatsächlich zusätzliche Informationen ausgetauscht über Anlässe, die einen Telefonanruf oder gar einen Brief oder Vermerk nicht zu lohnen scheinen. Insofern entsteht durch dieses Medium auch eine neue Qualität von Information.

- Der Kommunikationsstil in Komex unterscheidet sich von dem Stil anderer Medien. Sprachlich und grammatikalisch ist der Komex-Stil viel ungezwungener und legerer als etwa in einem Brief; teilweise sind die Nachrichten sogar undiszipliniert formuliert, so daß sie kaum noch verständlich oder gar schroff oder verletzend sind. Auch Ironie, Micky-Maus-Sprache, Telegrammstil werden häufig verwendet. In Komex reagieren die Teilnehmer teilweise spontaner als bei anderer schriftlicher Kommunikation. Dies schafft einerseits neue Möglichkeiten, bringt aber andererseits auch die Gefahr von Mißverständnissen und übereilten Reaktionen.

Koordiniertes Verhalten notwendig

Aus diesen Beobachtungen lassen sich bereits einige Schlußfolgerungen sowohl für den praktischen Einsatz von Bürokommunikationssystemen als auch für die zukünftige Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet ableiten.

Die Einführung eines Bürokommunikationssystems ist viel schwieriger als die Einführung eines Systems, das sich nur an einen einzelnen Benutzer wendet. Allein schon deshalb, weil hier eine ganze Gruppe sich in ihrem Verhalten koordinieren muß. Daher muß für jedes Bürokommunikationssystem eine sorgfältige Einführungsstrategie erarbeitet werden. Es ist nicht damit getan, ein solches System einfach zur Verfügung zu stellen und die Nutzung sich selbst entwickeln zu lassen. Die Vereinbarungen und Konventionen unter den Benutzern, welche Aufgabe sie wie über das neue Medium abwickeln wollen, müssen zumindest in ersten Ansätzen vorab entwickelt werden. Die Einführungsphase eines Bürokommunikationssystems sollte nicht zu knapp bemessen sein und reichliche Hilfe und Unterstützung der Benutzer vorsehen.

Dominanz der "kleinen Kommunikation"

Die Unsicherheit über geeignete und richtige Formen der Nutzung solcher Systeme ist trotz aller Versuche noch immer groß. Die bisherigen Forschungsergebnisse sagen noch recht wenig darüber aus, wie die Konventionen der Kommunikation in diesen Systemen im einzelnen aussehen können oder sollten. Dies gilt gleichermaßen für Kriterien der ökonomischen Effizienz wie für soziale Aspekte der Nutzung von Bürokommunikationssystemen .

Die bisherige Erfahrung mit der Dominanz der "kleinen" Kommunikation wirft auch die Frage auf, ob zur Unterstützung der Kommunikation über inhaltliche und komplexe Themen nicht zusätzlich ganz andere Instrumente benötigt werden, als sie heute in Bürokommunikationssystemen üblicherweise angeboten werden. Die heutigen Systeme unterstützen sehr gut die Produktion von Nachrichten und deren Verteilung. Dagegen wird der Empfänger von Nachrichten vergleichsweise wenig unterstützt; die Systeme stellen zwar Archive, Aktenpläne, Wiedervorlagen und ähnliches zur Verfügung aber diese Instrumente sind doch vergleichsweise konventionell und den manuellen Büroprozeduren nachgebildet. Hierfür bessere Lösungen zu finden, ist eine der Aufgaben die sich der Forschung in den nächsten Jahren stellt. Ein Ansatzpunkt liegt darin, die Systeme mit mehr Wissen über die ablaufende Kommunikation auszustatten und sie nicht nur als mehr oder weniger komfortable Transport- und Speichermedien zu verwenden.

Eine andere Richtung des Ausbaus wäre die Ausstattung der Systeme mit Instrumenten, die die Anwendung verschiedener Kreativitätstechniken (brain storming etc.) oder bestimmter Diskussionstechniken (zum Beispiel Metaplan) unterstützen. Solche Systeme würden sich von der Nachbildung konventioneller Kommunikation auf dem Computer lösen: Man kann nicht nur Statements abgeben, die von dem System verteilt und verwaltet werden, sondern in diesen Systemen wird der Computer zum Kommunukationsinstrument wie zum Beispiel das Flip-Chart oder der Tageslichtprojektor; natürlich mit anderen Funktionen als diese.

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz von Komex haben gezeigt, daß mit diesem System nützliche Unterstützung der Kommunikation in einem Unternehmen geleistet werden kann. Es gibt schon heute Mitarbeiter in der GMD, die auf ein solches System auf keinen Fall mehr verzichten wollen. Der Versuch hat aber auch neue Fragen und neue Richtungen aufgezeigt, die noch erforscht werden müssen.

Komex ist im Institut für Planungs- und Entscheidungssysteme der GMD entwickelt worden. Mitarbeiter an dem Projekt waren und sind: Horst Santo, Robert Babatz, Uta Pankoke-Babatz und Gabriele Theidig.

Informationen: GMD, Bereich Birlinghoven Postfach 1240, 5205 St. Augustin 1, Tel.: 0 22 41/14-1.