Pioniere sitzen in den Startlöchern

Kommt Software demnächst nur noch über Netze ins Haus?

10.05.1996

Einer der Vorreiter in diesem Bereich ist Stream International Inc., ein Softwaredistributor aus Westwood, Massachusetts. Das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Dollar will in dieser Woche drei Internet-Programme vorstellen, die für Kunden gedacht sind, die Bu-siness-Applikationen per Mausklick erwerben und pflegen wollen. Für diese Zwecke will Stream folgendes anbieten:

- den "Internet Software Store", einen Java-basierten Web-Server, der Nutzern in großen Firmen Kauf und Upgrades von Applikationen online ermöglicht

- den "Software Store", den Firmen in Lizenz nehmen und zum Aufbau interner Softwaredistributions-Server nutzen können, sowie

- technischen Support über das Internet, der von Streams 2500 Supportmitarbeitern betreut wird und Zugriff auf verschiedene Helpdesk-Datenbanken bietet.

Gleichzeitig wird Microsoft seine Richtlinien vorstellen, an die sich Reseller und Distributoren halten müssen, wenn sie Programme aus Redmond über das Internet und andere Online-Dienste vertreiben wollen. Nach Aussagen von Johan Liebgren, bei Microsoft zuständig für neue Vertriebskanäle, hat der Softwaregigant grundlegende Standards bezüglich Zahlungssicherheit, Kundendienst und "eines gepflegten Einkaufserlebnisses" verabschiedet. Beispielsweise müssen sich elektronische Händler bei Kreditkartentransaktionen und anderen sensiblen Daten künftig an bestimmte Verschlüsselungsstandards halten.

Heutige Bandbreiten bremsen das Konzept aus

Die beiden Firmen Commerce Direct International Inc. und Online Interactive Inc., Hersteller von Produkten für den elektronischen Handel, haben bereits für diese Woche Systeme versprochen, die die Kriterien der Gates-Company erfüllen. Damit zielen die Anbieter auf Micro Ingram, Merisel und andere Großdistributoren, die den elektronischen Vertriebskanal öffnen wollen.

Nach Ansicht von Benutzern und Analysten tun sich damit interessante neue Möglichkeiten auf. Innerhalb von Corporate Networks könnten die Softwaredistribution und -Inventarisierung mit zentralen Download-Servern drastisch vereinfacht und beschleunigt werden. Die Versandkosten ließen sich nach Ansicht von Ken Henley, Leiter des User-Supports beim Magazin "Outside" aus Santa Fe, New Mexiko, ebenfalls stark reduzieren. Henley träumt von Applikationen, die den Endbenutzer automatisch auffordern, die neueste Version aus dem Internet zu laden, und "sich dann vor seinen Augen selbst updaten. Damit würde ein Supporttraum wahr werden."

Doch noch sieht die Wirklichkeit angesichts geringer Bandbreiten ganz anders aus. Jeff Tarter, Redakteur des Industrie-Informationsdienstes "Softletter" aus Watertown, Massachusetts, erwartet, daß "User sich die Softwarepakete auch weiterhin lieber zuschicken lassen, anstatt riesige Files herunterzuladen". Da der Download einer "normalen" Applikation wie Netscapes "Navigator", der in der aktuellen Version bei einigen Betriebssystem-Varianten auf 6 MB angewachsen ist, selbst bei optimaler Verbindung nicht unter 20 Minuten zu schaffen ist, muß bei umfangreicheren Applikationen wie Textverarbeitungen oder Tabellenkalkulationen mit stundenlangen Downloads gerechnet werden. Zudem beherrschen die gängigen Internet-Protokolle Hypertext Transfer Protocol (HTTP) und File Transfer Protocol (FTP) kein Resume, also die Wiederaufnahme unterbrochener Übertragungen. Damit steht hinter den Bestrebungen, Anwendungssoftware online verfügbar zu machen, für die nähere Zukunft erst einmal noch ein großes Fragezeichen.