Kommentar Die DV-Schablone passt nicht mehr

09.12.1994

Kompliment! Was der Muenchner Kreis und das Bundesministerium fuer Forschung und Technologie mit ihrem Kongress "Neue Maerkte durch Multimedia" auf die Beine stellten, war a la bonne heure. Ob private oder professionelle Nutzung, technischer Status quo oder soziologische Einwaende, Multimedia wurde aus allen moeglichen Blickwinkeln unter die Lupe genommen. Der Versuch indes, Maerkte exakt einzugrenzen, schlug fehl.

Warum? Multimedia erweist sich als ein aeusserst komplexes Phaenomen. Bisher gueltige DV-Schablonen lassen sich darauf nicht eins zu eins uebertragen. Eine erste Aufweichung erfaehrt die "klassische DV" derzeit durch das Eindringen der Sprache in diese ehemals abgeschottete Welt. Hinzu kommt eine weitere Speerspitze in Gestalt des PCs. Er wird nicht nur als Traeger multimedialer Applikationen Bestandteil von professionellen Client-Server- Loesungen sein, sondern auch der private Consumer wird mit diesem Endgeraet seine Fuehler tief in die Unternehmensnetze ausstrecken.

Multimedia wird die bislang gewohnte strikte Trennung zwischen gewerblicher und privater Anwendung verwaessern. Die Option, kuenftig interaktiv mit dem Kunden Kontakt aufnehmen zu koennen, macht den PC - und vielleicht sogar den Fernseher - zum potentiellen Endgeraet in Netzen von Banken und Versicherungen.

Die Telekooperation, ein wichtiges oekonomisches Kriterium multimedialer Zukunft, wird ebenfalls zur Durchlaessigkeit in Corporate Networks beitragen, ebenso Teleworking und -learning, Fernwartung und Online-Dienste.

Waehrend das wirtschaftliche Potential von Multimedia unbestritten ist, birgt die Technologie auch soziale Gefahren. Interaktivitaet und Rueckkanal rufen durchaus Gedanken an Orwells grossen Bruder wach. Selbst wenn man den Teufel nicht gleich an die Wand malt, stellt Multimedia doch einen Eingriff in herkoemmliche Arbeits- sowie Kulturgewohnheiten dar. Hier bestehen Probleme, die zum Stolperstein fuer Multimedia werden koennten.

Es waere jedenfalls ein fataler Fehler, wenn sich die Multis der Computer-, Medien- und TK-Industrie das Fell des Baeren voreilig teilen wuerden. Multimedia-Maerkte sind heute noch nicht eindeutig festzulegen. Sicher ist, dass nur ueberzeugte Anwender, ob professionell oder privat, Voraussetzung lukrativer Geschaefte sind. Will die Industrie dieses Potential ausschoepfen, muss sie erst ihre Hausaufgaben machen und Maerkte kreieren.