Kolumne/IBM und die Lotus-Kultur Dieter Eckbauer

09.06.1995

Die IBM will Lotus kaufen (Seite 1). Auch AT&T, EDS und Oracle sollen an dem Notes-Anbieter interessiert sein, wird kolportiert. Unter Wallstreet-Analysten herrscht Einigkeit: Als selbstaendiges Unternehmen koenne Lotus sowieso nicht ueberleben, der einstige Spreadsheet-Highflyer sei ein Uebernahmekandidat par excellence. Damit ist zumindest eine Vorentscheidung gefallen - ob im Sinne der IBM, steht dahin. Bei den Anwendern, davon muss man ausgehen, wird auf diese Weise der letzte Rest an Vertrauen in die angeschlagene Notes-Firma zerstoert, mag sich Lotus-Chef Jim Manzi auch noch so gegen die Abstempelung als moegliches Fusionsopfer straeuben.

Dass der erste offizielle Bieter IBM heisst, kann niemanden ueberraschen. Die Kriegskasse des Mainframers ist gut gefuellt, und IBM-Chef Louis Gerstner hat zuletzt kein Hehl daraus gemacht, was er von PC-Firmen wie Lotus haelt: Als One-product companies haetten sie im Markt des Enterprise-Computing keinen Platz; die Zukunft gehoere Allroundern wie IBM - Toene, die an die alte IBM erinnern. Die neue Arroganz der IBM waere ein eigenes Thema. Fuer die Beurteilung der Lotus-Lage ist es ohne Belang. Gegen die Macht des Geldes steht Manzi auf verlorenem Posten. Die Anwender koennen ihm nicht helfen, so sehr sie moeglicherweise bedauern werden, dass die DV-Welt wieder ein bisschen aermer wird. Lotus: welch ein Name fuer eine Computerfirma! Vielleicht bleibt er ja als Marke erhalten. Das aendert nichts an der Tatsache, dass sich der Konzentrationsprozess in der Branche fortsetzt, wobei es gar nicht so sehr darauf ankommt, von wem die Lotusbluete gebrochen wird.

Eine Uebernahme durch Oracle machte Sinn, weil sich Software zu Software gesellen wuerde. Ueber die Absichten des Datenbank-Primus ist indes am wenigsten bekannt - moeglich, dass Oracle-Chef Larry Ellison seine Truempfe nicht zu frueh ausspielen will. Andererseits koennten die Trauben fuer Oracle bei der Groessenordnung des Lotus- Deals zu hoch haengen. Was die IBM-Offerte betrifft, so koennen sich vorerst nur Boersenspekulanten die Haende reiben - der Lotus-Kurs schnellte nach der Ankuendigung sprunghaft in die Hoehe. Aber glaubt jemand, dass eine komplexe Software wie Notes bei Big Blue gut aufgehoben ist? Zur Erinnerung: Die Hardwarefirma IBM kam nicht einmal mit ihrer Eigenentwicklung Officevision zurecht - pikanterweise wurde das kraenkelnde Produkt teilweise durch Lotus- Applikationen ersetzt.

Fuer Firmenuebernahmen gibt es, wie unzaehlige Beispiele gerade in der DV-Branche gezeigt haben, keine Patentloesungen. Aber die Warnzeichen sind nicht zu uebersehen: Kommt es zu der Lotus- Uebernahme durch IBM, dann treffen zwei Unternehmenskulturen aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein koennen - dazu bedarf es keiner Gerstner-Kommentare. Behoerdenmentalitaet gegen Pioniergeist: Das Durchhaltevermoegen der IBM-Apparatschiks wird man hoeher ansetzen duerfen als die PC-Flower-Power der Lotus-Leute. Nachdenklich stimmt die Einer-weniger-Rechnung allemal. Fuer die Anwender, soviel ist sicher, wird es nicht einfacher.