Kolumne/Denk ich an IBM am Vormittag Dieter Eckbauer

22.09.1995

Nein, um den Schlaf gebracht wird wohl mit Ausnahme von Boersenspekulanten niemand mehr durch die Berichterstattung ueber IBM. Das hat natuerlich auch damit zu tun, dass Big Blue von Microsoft weitgehend aus den Schlagzeilen verdraengt wurde. In punkto Popularitaet kann es Lou Gerstner mit Bill Gates nicht aufnehmen. Der versteht es, sich auch dann ins Gespraech zu bringen, wenn eigentlich eine Schwamm-drueber-Attituede geboten waere. Die IBM dagegen kommt von ihrem Mainframe-Image nicht los. Das schraenkt zwar den Kreis der Kritiker ein, weil "Mainframe- Computing" nun einmal ein Insider-Thema bleibt, birgt aber gleichzeitig die Gefahr der unaufhaltsamen Selbstzerstoerung: Do it again, Lou!

Es war ja voreilig, die IBM gesundzuschreiben. Nur Berufsoptimisten konnten annehmen, die Phase der Rekonvaleszenz des blauen Riesen liesse sich allein durch Abspecken abkuerzen. Es haette klar sein muessen, dass die Schlankheitskur nur eine Begleitmassnahme sein konnte, bitter und notwendig zwar, aber bei weitem nicht ausreichend, um den Patienten fuer das Herstellerleben in der Client-Server-Welt fit zu machen. Falsche Freunde aus der Beraterzunft haben den Traditionsanbieter noch dazu darin unterstuetzt, den flotten Wendespruch vom "Mainframe als Superserver" fuer ein Erfolgsrezept zu halten.

War was? Ist was? Natuerlich war nichts. Mit solchen Suggestivaussagen versuchten einige Analysten IBMs Schwierigkeiten mit dem Paradigmenwechsel von der geschlossenen, proprietaeren zur offenen DV herunterzuspielen, ohne den wirklichen Grund fuer die IBM-Krise beim Namen zu nennen: Big Blue hat immer noch zu viele "treue" IBM-Mainframe-Kunden, die ihre Investitionen in 360/370/390-Systeme geschuetzt wissen wollen. Das Problem heisst Altlasten, nicht Mainframe-Schwaeche. Blech bleibt Blech, nur proprietaer verformt sollte es nicht laenger sein. Das trifft die IBM mehr als ihre Kunden. Die Anwender haben die Wahl, sich entweder eine technologische Verschnaufpause zu goennen, also mit der Einfuehrung flexiblerer Grossrechner noch ein Weilchen zu warten, oder - sollten sie doch umstellen - bei den neuen "Server- Mainframes" der Kompaktklasse in den Genuss erheblicher Preisvorteile zu gelangen. In beiden Faellen traegt IBM den Schaden in Form von Umsatzeinbussen, die durch hoeheren Stueckabsatz nicht ausgeglichen werden koennen.

Das Rezept, wie ein Mainframer ein erfolgreicher Client-Server- Anbieter werden kann, ist leicht zu geben, aber die Ausfuehrung setzt Eigenschaften voraus, die gern uebersehen werden, wenn man von einer "neuen IBM" spricht: Offenheit sollte eben nicht nur technisch verstanden werden, sondern als Merkmal eines Mindsets, einer Grundeinstellung, die in den Koepfen saemtlicher IBMer fest verankert ist - statt RISC also Risikobereitschaft, die Kunden notfalls mit inkompatiblen Produkten zu verprellen. Was nuetzt das offenste System, wenn die Kunden nicht auf der gruenen Wiese anfangen koennen? Der Mut zum Bruch mit der Mainframe-Tradition gehoert dazu: bei der IBM - und bei den Anwendern.