Kolumne

"Kohlescheffelnde Dichter und Denker"

03.01.1997

Schöne Bescherung. Den Mitarbeitern des Stuttgarter Softwarehauses Strässle muß die offizielle Begründung für den vorweihnachtlichen Gang zum Konkursrichter (siehe Seite 1) wie blanker Zynismus vorkommen: durch säumige Schuldner verursachte Liquiditätsprobleme. Das allein kann keine Pleite verursachen. Problematisch werden Außenstände erst dann, wenn Gesellschafter nicht bereit sind, diesen vorübergehenden Engpaß zu überbrücken. Genau das ist im Fall Strässle geschehen. Der Alleingesellschafter Christian Straube, in Lichtenstein ansässiges Mitglied der Familie Opel, hat den Geldhahn zugedreht.

Ob die Angaben des Strässle-Geschäftsführers Burkhard Vogel stimmen, wonach die 1995 eingeleitete Konzentration auf das Kerngeschäft PPS und CAD die gewünschten Ergebnisse gebracht haben, wird der Konkursverwalter herausfinden müssen. Straube wartet das Ergebnis nicht ab. Er nutzt die Zahlungsschwierigkeiten, um Konkurs anmelden zu lassen und durch den Verkauf einen Teil seines Kapitals zurückzuerhalten. Die deutsche Software-Industrie verliert mit der Liquidation von Strässle eines der wenigen Unternehmen, die noch eigenentwickelte Komplettprodukte anbieten. Viele andere wie die BIW, Quantum oder Seitz haben sich zu Systemhäusern großer Partner "weiterentwickelt". Sie bescheiden sich zumeist damit, sich an die Produkte ihrer Seniorpartner anzuhängen und sie mit Add-ons zu komplettieren. Ob dieses Leben als Wurmfortsatz sicherer ist, darf angesichts der schleppenden Geschäfte der SAP-Vertriebspartner durchaus bezweifelt werden.

Wo liegen die Gründe dafür, daß hierzulande von einer eigenständigen Software-Industrie kaum noch die Rede sein kann? An der vielbeschworenen Ingenieursmentalität (siehe Gastkommentar Seite 8), die dazu führt, daß Produkte zu spät auf den Markt kommen? An der risikoscheuenden Abneigung der Geldgeber, Softwareunternehmen zu finanzieren? Oder einfach an der Angst der Player, den großen Wurf zu riskieren? Es ist wohl eine Mischung aus allen drei Problemen. Wir sind offenbar mehr Auto-, Stahl-, und Kohlelieferanten. Mit immatriellen Gütern hat das Land der Dichter und Denker trotz aller gegenteiligen Beteuerungen zuwenig am Hut.