„Können Sie die Dokumentenarchivierung scannen”?

02.06.2006
Pflichtenhefte sind dazu da, die genauen Anforderungen einer (nicht nur) ERP-Lösung festzuschreiben, damit alle den gleichen Kenntnisstand haben, damit Missverständnisse vermieden werden, jeder weiss, was zu tun ist und worauf sich alle Beteiligten vertraglich einlassen. Möchte man zumindest meinen - doch alle Theorie ist grau. In der täglichen Unternehmenspraxis geht es indes sehr viel bunter zu.

Da gibt es nmlich Anforderungen, die so selbstverständlich sind, dass man gar nicht darüber reden mag. Und es gibt Anforderungen, die auch auf Nachfrage nicht erklärt werden können - und solche, die sich gegenseitig ausschließen. Und deshalb beginnt dann oft ein regelrechter Pflichtenheft- Wahnsinn.

Godelef Kühl, Gründer und Vorstand des Mainzer ERP-Herstellers Godesys AG, kann ein Lied davon singen: „Viele denken, dass sie nichts falsch machen können, wenn sie in ihrem Pflichtenheft alle verfügbaren Features abbilden, um damit für alle Eventualitäten in der Zukunft gerüstet zu sein - wir reden dann immer von den Features für alle Fälle“. Dass bestimmte Prozesse sich dabei gegenseitig ad absurdum führen oder dass Funktionen abgefragt werden, die mit den eigenen Geschäftsprozessen rein gar nichts zu tun haben, ist an der Tagesordnung. „Wenn wir mit unseren Kunden reden,“ sagt Kühl,„ist schon so manches Pflichtenheft über den Jordan gegangen.“

Die Situation wird noch absurder, wenn etwa ein Handelshaus ein Pflichtenheft eines Produktionsbetriebs abkupfert. Kühl: “Oft passiert es auch, dass Anforderungen missverständlich formuliert sind. Wenn man nachfragt, was es damit auf sich hat, bekommt man - wohlgemerkt vom Ersteller des Pflichtenhefts - zu hören, das könne man im Moment auch nicht richtig beantworten.”

Die Praxis schreibt das beste Pflichtenheft

Einer, der in der Vergangenheit gezeigt hat, dass es auch anders geht, ist Matthias Krauss, Geschäftsführer der Leonberger Techart GmbH, die ihr Geld mit der Individualisierung und Veredelung von Porsche- Fahrzeugen verdient. Bei der Auswahl ihres neuen ERP-Anbieters, hat dem Unternehmen geholfen, dass es bereits eine gute Vorstellung ihres Anforderungsprofils hatte. „Durch den langjährigen Einsatz des Altsystems hatten wir ausreichend praktische Erfahrungen und konnten recht gut formulieren, was wir wollten“, sagt Krauß.

Den Aufwand, ein Pflichtenheft zu erstellen, habe sich das Unternehmen deshalb erspart.„ Meiner Meinung nach“, so Krauß weiter, „ist es wesentlich effektiver, nur die wichtigsten Eckpunkte der Anforderungen an die Software zu definieren. Die eigentlichen Fragen fallen einem ein, wenn man mit dem System richtig arbeitet. Denn die Praxis schreibt nun mal das beste Pflichtenheft.“

Auch Dieter Massong, Chef der auf Brandschutz und Sicherheit spezialisierten Fritz Massong GmbH aus Frankenthal, ist heute schlauer: „Bei der Fülle an Angeboten und Anbietern wollten wir die richtige Entscheidung für unser Unternehmen treffen. Allerdings kann zu viel Information auch verwirrend sein. Wir haben uns damals selbst verrückt gemacht, denn die Realität sieht ganz anders aus. Wir haben zwar die für unser Unternehmen richtige Entscheidung getroffen, aber auch heute, sechs Jahre nach Einführung der SO: Business Software von Godesys nutzen wir sie noch nicht zu hundert Prozent.“ Dabei hat er gelernt, dass ein Unternehmen vor allem auch genügend Zeit für die Prozeßanalyse und -gestaltung einplanen muss. Denn „die Software kann zwar alle Prozesse abbilden, strategisch erdenken muss sie aber noch immer der Unternehmer selbst - erst die Prozesse, dann die Features“.