Ein Plädoyer für die Selbstverantwortlichkeit des Unternehmens (Teil 2)

Know-how-Tausch: Kontrolle des Marktes als Regulativ

25.10.1985

Technologie-Transfer gab es schon, bevor das Schlagwort in aller Munde war. Außerdem ist dieser Austausch vielfältiger, als in den naiven Bemühungen um seine Förderung allgemein unterstellt wird. Defizite an Qualifikationen sowie bei Hard- und Software hierzulande können über Innovations-Beratung, verstreut nach dem Gießkannenprinzip, nicht behoben werden. Die Lücke in der Infrastruktur zu ignorieren und einfach weiterhin potentielle Adressaten für Technologietransfer "aufzureißen" hieße: Brandstiftung ohne Löschkapazität. Teil 1 dieses Artikels ist in CW Nr. 42/85, Seite 32 erschienen.

Die Arroganz großer Apparate und Stäbe gaukelt stets die Kenntnis der "richtigen" Schlüsseltechnologien vor, die zu puschen sind, und impliziert angesichts der damit verbundenen wirtschaftlichen Erwartungen natürlich auch die Kenntnis der "richtigen" zukünftigen Märkte. Die Prognosen - oder man sollte besser sagen: die Vision - die dem Bild von der Informationsgesellschaft zugrunde liegen, haben dabei die gleiche wissenschaftliche Qualität wie die alte Behauptung von der Schlüsselrolle der Schwerindustrie, die der weltweiten Überkapazität

der Stahlproduktion heute zugrunde liegt. Sie besitzen die gleiche wissenschaftliche Qualität wie die Energiewachstumsprognosen der 60er Jahre, die nicht nur Förderer von zuviel Kapazität waren, sondern auch erhebliche gesellschaftliche Konflikte heraufbeschworen haben und dazu führen, daß die Forschungsmittel in der Bundesrepublik immer noch zu über der Hälfte in diesen Bereichen gebunden sind.

Liest man die gesamte Diskussion der 60er Jahre nach und ersetzt das Wort "Energie" durch "Mikroelektronik" oder "Informationstechnik", wird man feststellen, daß uns in den 80er Jahren überhaupt nichts Neues einfällt. Alle Argumente wurden früher schon ausgetauscht, nur unter dem Stichwort "Energie". An den Prognosen ist nichts qualitativ neu. Heute heißt es eben "Informationstechnik", "Mikroelektronik", morgen "Biotechnologie".

Indem durch dirigistischen Technologietransfer - und nur auf ihn

konzentriert sich meine Kritik - ganze Branchen und Forschungsgenerationen im Gleichtakt mit Japan und USA wie Lemminge auf überbersetzte Markt- und Forschungsfelder gelockt werden, regt man neue Überkapazitäten des Typs Butterwerften oder Stahl an.

Eine ähnliche Arroganz liegt auch der zweiten Vermutung vom Informationsdefizit zugrunde. Ich halte diese Informationsbeschaffungs-Diskussion schlicht für überzogen. Sicher gibt es eine Menge Information, die für wirtschaftliches Handeln in einem kleinen Betrieb wertvoll sind, doch spielen heute zu viele Lernte auf diesem rational utopische Klavier, das in etwa folgende schlichte Logik hat: je mehr Informationen, um so besser.

Am Beispiel eines Urlaubsreisen den heißt das: Wenn Du wissen willst, wo Du dieses Jahr am besten Deinen Urlaub verbringst, dann besorge Dir Informationen über alle Detailumstände des Urlaubsortes einschließlich der Belegungslisten im kommenden Sommer, das Wetter im August und ähnliches mehr. Die sicherste Lösung für solch einen Urlauber besteht darin, zunächst die Saison abzuwarten, bis der Urlauber über genaue Information über Belegung, Dichte, Wetter verfügt, um sich dann erst zu entscheiden. Er verbringt also die Saison wartend zu Hause, wird handlungsunfähig, freilich mit dem Ergebnis, daß er dann im Herbst über die erforderlichen vollständigen Informationen verfügt.

Und wie diesem Urlauber ergeht es eigentlich vielen Unternehmer, die ihr Handeln von Großdatenbanken moderner Datenfernübertragung etc. abhängig machen. Sie werden von Informationen überschüttet und zunehmend handlungsunfähig. Da derartige zentrale, aufwendige Informationseinrichtungen nicht nur dem Einzelunternehmen zugänglich sind - da kommt wieder dieser Lemminge-Effekt zum Tragen - sondern im Gleichschritt die gesamte Konkurrenz mit den gleichen Informationen versorgen, landet man wieder auf überbesetzten Marktfeldern.

Informationsmengen, Zeit, der Aufwand für derartige Zentraleinrichtungen und die daraus resultierende Notwendigkeit, möglichst viele Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Informationen zu versorgen, relativieren den immer nur absolut andiskutierten Wert derartiger Informationssysteme aus einzelunternehmerischer Sicht erheblich.

Betrachtet man diese wohlbedachten und sicherlich gut gemeinten Aktivitäten zur zentralen Informationsbeschaffung,

-verwaltung und -vermittlung, muß man feststellen, daß die dort beschäftigten Angestellten der Beamten vom Auswahlproblem überfordert sind. Sie haben ja die unternehmerische Verantwortung für die Nutzung der jeweiligen Information nicht von selbst zu tragen.

Wenn ihre Informationen wirklich so gut wären, Wettbewerbsvorteile versprechen und auch halten - dann frage ich mich, warum sie sie nicht selbst nutzen anstatt sie - staatlich subventioniert - an irgendwelche Unternehmen weiterzugeben.

Wird aber der einzelne nachfragende Unternehmer mit Informationen überschüttet, sieht er sich einer gewaltigen Masse an Daten gegenüber, die er nur noch mit Hilfe von entsprechenden Beratern abarbeiten und bewältigen kann. Er verliert damit zunehmend seine unternehmerische Funktion der Risikoübernahme bei der Informationsauswahl.

Ich möchte nicht mißverstanden sein: Wir brauchen dringend derartige Informationsvermittlungseinrichtungen. Es steckt ja eine gewaltige Kostendegression darin. Doch damit nicht staatlich subventionierte Informationsmonster entstehen, brauchen wir zugleich eine klare marktliche Kontrolle solcher Einrichtungen. Denn wenn diese Informationen wirklich so wertvoll sind, wie in der Diskussion immer wieder behauptet wird, werden sie auch einen Marktpreis haben. In diesem Sinne kann öffentliche Anforderung nur Initialfunktion haben. Danach gehört die marktliche Kontrolle sehr schnell eingeführt.

Die verbreiteten und auf Vermittlerfunktion und Selbstdarstellung reduzierten Technologietransferkonzepte des Wissenschaftssystems im Verbund mit der Politik, leben aber von der Utopie - ich bin wieder bei dieser Informationsvermutung - daß hinreichende Lösungsbausteine für innovatorische Defizite irgendwo vorhanden sind. Sie müßten lediglich über solche Einrichtungen vermittelt oder vermarktet werden. Die Kompatibilität, die ich bereits angesprochen habe, wird nun durch die Beschaffung der richtigen Information versprochen. In ihrer schlichten Vorstellung, die Lösung von Technologie-Diffusions-Problemen sei ein rein informatorisches Problem ähneln derartige Konzepte aus meiner Sicht dem Verhalten eines Straßenbauers, der glaubt, zur Herstellung einer Verkehrsverbindung sei es ausreichend, Verkehrszeichen aufzustellen. Verkehrszeichen und Technologietransfer in diesem Sinne sind keineswegs schlecht - sie sind aber nicht problemadaquat.

Bei - wie man das im politischen Raum zur Zeit gern formuliert - auf Impulsfunktion und Informationsdienste konzentrierten Inhalt und Anspruch erfüllen derartige Technologietransfer-Konzepte sicher eine ganz wichtige Funktion. Es ist aber gefährlich, wenn die damit verbundenen Erwartungen zu weit gesteckt werden, wenn, um im Bild zu bleiben, der Straßenbau entfällt, und das Verkehrszeichen dann Alibi für fehlende Aktivitäten wie konkrete Baumaßnahmen ist.

Fehlende Aktivitäten, das zeigen weiterführende Analysen zur Diffusion solcher Techniken in den Unternehmen, sind die Schaffung innovationsfordernder Rahmenbedingungen und das gezielte Auffüllen der die Umsetzung tatsächlich verhindernden Defizite. Und es handelt sich eben nicht nur um Informationsdefizite, sondern vor allem auch Defizite an Anschlußtechnologien, die noch zu entwickeln sind. Diese kommen nicht aus der Datenbank heraus. Es sind Defizite an Personalqualifikation, an Software, Hardware, Defizite, die traditionell durch eine institutionelle Infrastruktur aus technischwissenschaftlichen Vereinigungen aus Instituten der angewandten Forschung, von Unternehmen - sehr vielen Dienstleistungsunternehmen auch auf diesem Sektor - aufgefüllt werden.

Das Problem der Defizite, so betrachtet, können nach dem Gießkannenprinzip angeordnete Innovationsberatungsstellen nicht auffüllen. Sie schließen eben die Forschungs- und Qualifikationslücke nicht. Die Infrastrukturlücke neuer Technologien ignorieren oder überspielen sie schlicht. Auch an diesem Punkt möchte ich nicht überzeichnen: Diese Bemühungen, so notwendig sie sind, bilden so, wie sie sich heute politisch darstellen, eine Störung des Aufbaus einer geeigneten Infrastruktur zur Lösung dieser Umsetzungsprobleme für neue Technologien.

Das Aufreißen von potentiellen Adressaten des Technologietransfers für neue Technologien bedeutet unter solchen Umständen eigentlich Brandstiftung ohne hinreichende Löschkapazität. Der durch den Aktivismus geweckte Erwartungshorizont der Wirtschaftspraxis ist nicht zu decken: weder durch das verfügbare technische Potential und geeignetes Personal, noch durch die vorgesehenen Subventionsvolumina der öffentlichen Haushalte. In allen drei Bereichen bestehen Engpässe. Es ist deshalb zu erwarten, daß dieser Aktivismus in erheblichem Umfang Frustration erzeugt, insbesondere dann wenn man auf die dritte Vermutung, die Verfügbarkeit einer Technologiehalde, stößt. Denn diese Spekulation, in Wissenschaftseinrichtungen eine Technologiehalde vorzufinden, ist ein Grundübel dieser hysterischen Technologietransfer-Diskussion.

Diese Halde ist aus meiner Sicht ein Märchen, der Technologietransfer-Aktivismus ein Alibi. Er kompensiert vor allem Fehlentwicklungen in anderen Bereichen, insbesondere der Technologieproduktion, und damit meine ich die Forschung und Entwicklung sowohl in der Industrie als auch im Wissenschaftssystem.

In unserer Forschungsstatistik sieht es zwar so aus, als wären die Forschungs- und Entwicklungsaufgaben (F + E-)Ausgaben der deutschen Wirtschaft um 2,8 Prozent im Schnitt in den 70er Jahren gewachsen, bereinigt um alle möglichen Größen. Aber dagegen gehalten:

- daß erstens zum Beispiel Subvention von Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in größerem Ausmaß zur Umdefinition von Aktivitäten geführt haben;

- daß zweitens gerade in den letzten Jahren immer mehr klein- und mittelständische Unternehmen eigentlich erst entdecken, daß das, was sie schon immer getan haben, im Sinne von Personalkostenzuschüssen Forschung und Entwicklung ist;

- und daß sich, drittens, auch noch Berater installiert haben, die darauf spezialisiert sind, Unternehmen darin Nachhilfe zu geben und somit Zugang zu Subventionsmitteln für Forschung und Entwicklung zu erschließen - dann korrigieren diese Fakten das F + E-Bild natürlich ganz gewaltig.

Weiter unterstellt,

- daß große Teile der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der Industrie zur rein defensiven Forschung- und Entwicklung eingesetzt werden (man kocht ja immer nur im eigenen Kreis, die Schätzungen gehen bis zu 50 Prozent) zur Erhaltung alter Märkte, also alter Produktionsprogramme;

- daß viele Forschungskapazitäten in ihren personellen und sachlichen Ausstattungen auf Alt-Technologiebereiche ausgerichtet sind und

- daß sich Betriebe mit der Kompatibilität und Aufnahmefähigkeit bei neuen Techniken schwertun: dann ist diese Entlastungsdiskussion im Schwarzer-Peter-Spiel, dem Wissenschaftssystem gleichsam als Bringschuld fertige Innovationsergebnisse abzuverlangen, doch eine recht schäbige Diskussion. Und sie wird dem Wissenschaftssystem durchaus von einem Teil der Politiker und Industrie in der Bundesrepublik aufgezwungen.

Auf der anderen Seite belegen einzelne Branchen oder Betriebe ihre Subventionsforderungen mit dem Vorsprung ihrer Konkurrenten in ehemaligen Schwellenländern wie Japan. Wenn man dort die P + E-Aufwendungen der Wirtschaft sieht, wird sehr schnell deutlich, daß die Verhältnisse gerade umgekehrt sind.

Um also die vorhandene Lücke zu schließen, stürzt man sich neuerdings in der Bundesrepublik auf Großforschungseinrichtungen, Einrichtungen, die zum großen Teil für Forschungsaufgaben von gestern und vorgestern ins Leben gerufen wurden. Dies zeigen schließlich auch die Qualifikation und das Durchschnittsalter der dort plazierten Wissenschaftler, die die Aufgaben von morgen zu lösen haben. Auch die Hochschulen entdeckt man neu, die nach der Diskussion um die Bildungskatastrophe in gigantische Massenlehranstalten umgewandelt wurden. Im Nebel des Humboldtschen Idee, der Einheit von Forschung und Lehre glaubt man nun, die Substanz dieses Hochschulsystems gleichzeitig für die Berufsausbildung der geburtenstarken Jahrgänge verzehren und für die kurzfristigen Forschungsbedarfe notleidender Branchen aussagen zu können.

Die Kuh wird also gleichzeitig geschlachtet und gemolken. Hier Technologiehalden zu vermuten, wo neben den vorher schon angesprochenen Discount-Besetzungen der Ausbauphase auch Sachmittelkürzungen, Stellensperring und Verwaltung eine Forschung nur noch schwer aufkommen lassen: wo wissenschaftliche Nebentätigkeit diskriminiert und der Drittmittel akquirierende Forscher bestraft wird, signalisiert aus meiner Sicht entweder Blauäugigkeit oder doch ein gerütteltes Maß an Ratlosigkeit bei Politikern, notleidenden Unternehmern und Branchen.

Wird fortgesetzt

*Professor Dr. Erich Staudt ist Leiter des Instituts für Angewandte Innovationsforschung in Duisburg. Dieser Beitrag entstammt dem Ersten Europäischen Innovations- und Technologie-Kongreß der mittelständischen Wirtschaft, veranstaltet von der Vereinigung Mittelständischer Unternehmer e. V. (VMU) im April 1985 in München.