Know-how-Pendant made in Germany ausbauen

16.05.1986

- Wie kritisch ist unsere Situation was den Fundus der technisch verfügbaren Informationen in Europa, besonders in Deutschland betrifft? Und wie beurteilen Sie den Know-how-Transfer aus den USA herüber zu uns?

Die Situation ist in meinen Augen schon extrem kritisch. Nach neuesten Untersuchungen sind achtzig - ich habe neulich gehört neunzig Prozent - der technischen Informationen ausschließlich in amerikanischen Datenbanken gespeichert.

- Die verbleibenden zehn Prozent reichen natürlich bei weitem nicht aus für europäischen Erfindergeist?

Nein, wir befinden uns bereits in einer Informationsabhängigkeit. Der Export von Kapital und Arbeitsplätzen ist dabei lediglich ein Zusatzeffekt. Es ließen sich nämlich gerade im Sektor Information hierzulande hochwertige Arbeitsplätze installieren. Wir wären dann nicht immer gezwungen, unsere Mitarbeiter auf Datenbanken etwa in Santa Monica weiterzuverweisen. Im ganzen gesehen ist dies aber im Moment jedoch noch kein nennenswerter Betrag; abgesehen von den - nicht entstehenden - Arbeitsplätzen, werden schon mittelfristig erhebliche Beträge ins Ausland fließen, die natürlich auch die Handelsbilanz belasten. Aber das wesentliche: Information ist der Rohstoff für die zukünftige Forschung und Entwicklung. Und da sind wir in einer gefährdeten Position!

Jede Abhängigkeit in diesen hochkritischen Bereichen - ähnlich ist es beispielsweise bei Halbleiterbauelementen - führt dazu, daß unsere Wirtschaft von außen negativ beeinflußt werden kann. Dann entwickeln und forschen wir auf Gebieten, auf denen ja unter Umständen nicht selten schon Ergebnisse vorliegen. Es kann aufgrund von Untersuchungen und Beobachtungen beim Patentamt angenommen werden, daß bis zu dreißig Prozent der für Forschung und Entwicklung aufgewandten Finanzierungsmittel gespart werden könnten, wenn allein schon das bei uns vorhandene technische Wissen abgefragt und benutzt würde. Bei 52 Milliarden Mark F- und E-Aufwand in der Bundesrepublik, privat wie auch staatlich, sind es bis zu 30 Prozent, also bis zu 15 Milliarden Mark, die wir jährlich quasi verheizen.

Dieses wird umso kritischer und riskanter, je abhängiger wir werden und je zögernder sich die Informationsangebotsseite verhält - die Amerikaner sind da wahrhaftig nicht sehr ängstlich, den Zugang zu neuesten technischen Informationen zu erschweren, insbesondere wenn wir kein Gegenpotential aufweisen können. Wir müssen also gegenseitige Abhängigkeiten aufbauen, das heißt, auch relevante Informationen auf Datenbanken speichern, um bei Bedarf sagen zu können: Wenn ihr uns nicht - dann wir euch auch nicht.

- Können wir denn überhaupt noch ein Gleichgewicht herstellen?

Das nicht, aber eben doch ein Gegengewicht. Bei uns entsteht ja auch hochinteressantes technisches Wissen, das für die Amerikaner nicht ohne Bedeutung ist. Leider wird es aber nicht in Form von Datenbanken aufbereitet.

- Der erste Schritt wäre also - wie Sie es auch getan haben . . .

. . . ein technisch-naturwissenschaftliches Patent- und Fachinformationssystem aufzubauen. PAT DPA ist ein erster, aber immer noch zaghafter Schritt.

- Wie läßt sich denn PAT DPA im Vergleich zu den USA oder auch zu Japan charakterisieren? Wie leistungsfähig beispielsweise ist es?

Im Moment ist es nur bedingt leistungsfähig. Der Wert datenbankmäßig aufbereiteter Informationsbestände besteht in der Zeitdauer, die sie umfassen. Je weiter zurück die Bestände reichen, umso attraktiver ist natürlich ihr Informationsangebot, weil es um so mehr Einblick gewährt, um so zuverlässiger ist im Hinblick auf die Ergebnisse. Unsere Bestände, die letztlich im Jahr '81 aufsetzen, werden zunehmend wertvoll. Wenn zehn Jahrgänge "Wissenserzeugung" in einem solchen System untergebracht sind, dann stellt das PAT DPA wirklich einen Wert dar: Sie erfassen damit dann tatsächlich alles, was in den zurückliegenden zehn Jahren an technischen Ergebnissen erzielt wurde.

- Spielt also der zeitliche Faktor die gleiche Rolle wie eine Voll-Text-Dokumentation auf einer Datenbank?

Es muß beides zusammenkommen: In den Beständen sowohl Textteile, das sind bibliographische Angaben und Zusammenfassungen, als auch die Patent-Zeichnung oder Formeln enthalten. Der nächste Schritt wird dann die Voll-Text-Datenbank sein. Aber auch sie wird erst in dem Augenblick wertvoll, in dem sie mindestens vier, fünf Jahrgänge enthält. Also ich dränge nicht von ungefähr, uns sitzt wirklich der Zeitdruck im Nacken.

- Um einmal dieses gängige Bild zu benutzen: Ist der Zug schon abgefahren für uns?

Sagen wir: Es ist schon nicht mehr fünf vor zwölf. Viele erkennen nicht, wie kritisch die Situation schon ist.

Wir schützen Daten, wir haben Datenschutzbeauftragte - in meinem Haus, im Land, im Bund ist einer. Wann gibt es endlich einen Beauftragten für die Informationsaufbereitung, so daß man tatsächlich Daten besitzt, die schützenswert sind?

- Noch einmal zurück. Ist unsere Situation deshalb so kritisch, weil Amerikaner das Informationstor - wie sie es derzeit versuchen - zuschließen könnten?

Nicht zuschließen. Das funktioniert ja viel subtiler, so nämlich, daß man eigentlich gar nichts merkt. Nur durch Zufall stellt man plötzlich fest, wenn man beispielsweise in dem doch sehr dynamischen und kritischen Bereich Lasertechnik recherchiert, daß die Amerikaner seit 1976 keine neuen Daten, keine neuen Informationen in verfügbaren Datenbanken abgespeichert haben.

- Wieweit - die letzte Frage - ist das SDI-Programm prädestiniert, um da eine Verbesserung zu bringen?

Ich habe die SDI-Verhandlungen bisher in meinen Äußerungen nur am Rande angesprochen. Nach den mir zugänglichen Presseberichten ist ein wesentliches Anliegen bei den Verhandlungen unter anderem auch, den Informationsfluß, den Informationszugang auf kritischen Gebieten zu sichern. Allerdings halte ich natürlich gesprochene und auch geschriebene Worte für nicht so zuverlässig wie Fakten, die man selber schaffen kann.

Nicht ganz von ungefähr hat die Konrad-Adenauer-Stiftung im November vergangenen Jahres ein Zusammentreffen zwischen hochkarätigen Politikern der Amerikaner und unserer Seite in Washington veranstaltet. Das Thema hieß: "Zugang zur technischen Information". Und da hat sich wieder gezeigt, daß wir nichts im Austausch zu bieten haben, was zu einer gegenseitigen Abhängigkeit führen könnte.

Ich möchte diesen Komplex mit aller Leidenschaft vertreten und verfolgen, weil ich eben die Risiken kenne. Deshalb möchte ich nicht der Seher sein, dessen Schicksal es ist, immer Recht zu behalten. Ich möchte, daß auf unserer Seite etwas getan wird. Wenn sich in fünf oder zehn Jahren herausstellt, daß die derzeit mahnenden Stimmen sich zu recht erhoben haben - dann wird es bereits halb eins sein.