Klotzen statt Kleckern

21.01.2009
Von 
Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Für den Einstieg in die Service-orientierte Architektur (SOA) wählte die Deutsche Bank einen Kernprozess im Privatkundengeschäft. Die Ergebnisse überzeugten das Management.

Die Devise "Start small" passte noch nie so recht zum größten deutschen Geldinstitut. Das gilt auch für die IT. Obwohl SOA-Protagonisten gebetsmühlenhaft empfehlen, mit kleinen Pilotprojekten in das Thema einzusteigen, nahmen sich die Frankfurter Banker gleich zu Beginn einen dicken Brocken vor: "Mit dem Neukundenprozess adressieren wir einen der Kernprozesse im Privatkundengeschäft, der sich durch eine besondere fachliche und technische Komplexität auszeichnet", erläutert Christian Schmidt, Leiter der Abteilung Cross Business Services in der IT-Organisation des Konzerns.

Ursprünglich ging die SOA-Initiative von der IT aus. Im Jahr 2005 entschieden die Verantwortlichen, sich grundsätzlich mit dem Konzept zu beschäftigen. Dabei stand weniger die idealtypische IT-Architektur im Vordergrund, sondern die Frage, ob SOA der Bank einen wirtschaftlichen Nutzen bringen könne. Die Antwort war ein klares Ja, so Schmidt. Ausschlaggebend für das weitere Vorgehen sei gewesen, die Vorteile anhand eines konkreten Geschäftsprozesses deutlich zu machen.

Daraus entstand das Projekt Orinoco mit dem Ziel, die Geschäftsprozesse für das Anlegen von Neukunden so zu standardisieren, dass eine Automatisierung mittels Workflow und wiederverwendbarer Services möglich wurde. Schmidt: "Mit Orinoco wollten wir zeigen, dass die IT in der Lage ist, die immer volatileren Business-Anforderungen optimal zu erfüllen." Welche Dimension das Vorhaben hatte, belegt die personelle Ausstattung. Rund 45 Mitarbeiter stellte die Deutsche Bank dafür ab, die Hälfte davon stammte nicht aus der IT, sondern aus Fachabteilungen.

Von Anfang an konnte das Projektteam auf Rückendeckung aus dem Topmanagement zählen. Mit Hermann-Josef Lamberti, der als Chief Operating Officer im Konzernvorstand sitzt, hatten die SOA-Verfechter einen prominenten Fürsprecher. Wolfgang Gaertner, im Jahr 2007 von der computerwoche zum CIO des Jahres gekürt, will mit SOA einen Paradigmenwechsel von einer applikationszentrischen zu einer prozessorientierten Architektur schaffen. "SOA ermöglicht es, die laufenden Kosten des IT-Betriebs zu senken und neue IT-Funktionalität effizienter und schneller bereitzustellen", erläutert er. "Letztlich bedeutet SOA für uns mehr Flexibilität und schnellere Marktreife." Den entscheidenden Hebel für den Durchbruch von SOA sieht der Manager in der Frage nach der Business-Relevanz: "Schaffen wir es, Services anzubieten, die vom Business wirklich gebraucht werden, ihm das Leben direkt und spürbar erleichtern?"

Mission: Prozesse automatisieren

Die Antwort gab Gaertner mit dem Projekt Orinoco. Dabei war die Ausgangslage einigermaßen komplex: Der Finanzdienstleister kommt auf vielen unterschiedlichen Wegen zu neuen Kunden, beispielweise über Filialen, Telefon, Web und Vertriebspartner. Bis zum Einsatz von Orinoco ging damit eine papiergebundene und manuelle Verarbeitung in den Service-Centern einher, verbunden mit zahlreichen Altanwendungen und verteilten Datenbeständen. Die Idee hinter Orinoco bestand darin, zusammen mit dem Business einen Standardprozess zu isolieren und mit ei-ner Kombination aus Workflow und SOA-Diensten bereitzustellen. "Unterm Strich geht es uns darum, den Neukundenprozess zu standardisieren und zu automatisieren", so Projektleiter Schmidt.

Wesentliche Vorteile für Business und IT sind die Reduktion der Durchlaufzeiten, ortsunabhängige Verteilbarkeit des Workloads und Transparenz des jeweiligen Stands der Arbeitsaufträge. Da sich Prozesse und Services für neue Prozesse wiederverwenden lassen, werden diese schneller marktreif. Generell stehe für die Banken das Thema Industrialisierung auf der Prioritätenliste ganz oben, erläutert Schmidt.

Java-Wrapper für Cobol-Funktionen

Die benötigten Softwareservices kapselte das Projektteam fast ausschließlich aus bestehenden Anwendungen. Zu Letzteren zählen vor allem die Stammdatenverwaltung, aber auch produktbezogene Anwendungen und unterstützende Systeme etwa für die Authentifizierung. Wichtig für den Neukundenprozess waren zudem die Anwendungsbereiche Dokumenten-Management und Output/Druck-Management. Aus den zum größten Teil noch in Cobol programmierten Anwendungen generierten die Entwickler mit Hilfe eines Java-Wrappers rund 40 bis 50 grobgranulare Services, die über ein zentrales Repository konzernweit zur Verfügung stehen.

Die Infrastruktur für die SOA besteht aus vier Ebenen. Die unterste Schicht bilden die bereits vorhandenen Backend-Anwendungen, darüber liegt ein EAI-System (Enterprise Application Integration), das die technische Integration gewährleistet. Zu Prozessen orchestriert werden die einzelnen Services erst auf der nächsthöheren Workflow-Ebene. Deren Herzstück bildet eine BPEL-basierende (Business Process Execution Language) Prozess-Engine, die wie das EAI-System vom Softwareherstel-ler Tibco stammt. Anwender greifen über ein Eclipse-Frontend auf die Prozessanwendung zu.

Kundenprozesse laufen schneller

Mit Orinoco sei es gelungen, die Verarbeitungszeiten im Neukundenprozess zu verkürzen, berichtet Schmidt. Zudem habe man durch effiziente Nutzung der Workflows und Services Filialen von Abwicklungsprozessen entlastet und die Arbeitsverteilung zwischen den Servicezentren verbessert. Der Deutsche-Bank-Manager legt in diesem Kontext großen Wert auf die Wiederverwendung einmal erstellter Services und Prozesse, ein Thema, das in der SOA-Szene kontrovers diskutiert wird. Dass dieser Aspekt nicht nur auf dem Papier steht, belegt das erste Nachfolgeprojekt, mit dem die Deutsche Bank den Prozess der Kreditanträge beispielsweise auch bei Vertriebspartnern standardisierte. Rund 90 Prozent der für Orinoco entwickelten Services und Prozesse konnte das Team eigenen Angaben zufolge für die Backoffice-Prozesse wiederverwenden. Lediglich individuelle Funktionen wie das Frontend für den Verkaufsprozess in den Verbrauchermärkten mussten neu entwickelt werden. Die technische Abwicklung im Backend läuft weitgehend über bestehende SOA-Dienste. Ein weiterer Effekt: Das Nachfolgeprojekt für die Kreditabwicklung habe nur etwa ein Fünftel der Zeit des Orinoco-Vorhabens in Anspruch genommen, resümiert Schmidt.

Ausblick

Für 2009 plant die Deutsche Bank eine Europäisierung der SOA-Plattform. Sie soll als Basisinfrastruktur für EAI- und BPM-Aufgaben (Business-Process-Management) im operativen Privatkundengeschäft dienen und beispielsweise klassische Workflow-Funktionen zur Verfügung stellen. Schritt für Schritt will der Finanzdienstleister auch die Prozesse für andere Bankprodukte wie etwa Kreditkarten automatisieren und weitere Konzernbereiche in die SOA einbinden. Über einen Shared Service sollen künftig auch andere Geschäftsbereiche auf die Basisinfrastruktur zugreifen.

Projektsteckbrief

  • Projektkategorie: SOA.

  • Kernprodukte: Tibco.

  • Aufwand: zirka 45 Projektmitarbeiter aus IT- und Fachabteilungen.

  • Herausforderungen: komplexer Prozess, technisch anspruchsvolle Servicedefinition und -implementierung, Standardisierung von Geschäftsprozessen und Services.

  • Ergebnisse: Standardisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen, verkürzte Verarbeitungszeiten im Neukundenprozess, kürzere Time to Market durch wiederverwendbare Services und Prozesse.

  • Zeitrahmen: Mitte 2006 bis August 2008.

  • Ansprechpartner: Christian Schmidt, Deutsche Bank.