Kliniken digitalisieren ihre Patienten

03.04.2006
RFID-Chips, digitale Patientenakten und die elektronische Gesundheitskarte sollen die Klinikabläufe effizienter machen. Doch noch hakt es am allgemeinen Konsens und an den Standards.

Das Unfallopfer hat viel Blut verloren. Während ein Sanitäter im Krankenwagen die lebensrettende Transfusion vorbereitet, legt der andere dem Patienten ein Radio-Frequency-Identification-Armband (RFID) an. Der Chip speichert alle wichtigen Informationen von der Identität über den Befund bis zur Blutgruppe. Automatisch werden diese Daten via Mobilfunk an die Klinik übermittelt, die der Wagen mit Blaulicht und Sirene ansteuert. In der Notaufnahme sind die Ärzte auf den neuen Patienten vorbereitet. Die Blutkonserven liegen bereit. Ein weiterer RFID-Chip prüft automatisch, ob die Blutgruppe des Patienten mit der der Konserve übereinstimmt. Innerhalb weniger Minuten gelingt es, den Zustand des Schwerverletzten zu stabilisieren, und die Türen des Operationssaales schließen sich hinter dem OP-Team, das über das klinikinterne WLAN-Netz bereits alarmiert wurde. Wertvolle Minuten sind gewonnen - Zeit, die über Leben und Tod eines Menschen entscheiden kann.

IT-Trauerspiel Gesundheitskarte

In letzter Zeit haben Negativschlagzeiten rund um die elektronische Gesundheitskarte das IT-Bild des deutschen Gesundheitssektors geprägt. Ursprünglich sollte der Nachfolger der Chipkarte, auf dem auch Patienten- und Rezeptdaten Platz finden sollen, bereits seit Anfang des Jahres flächendeckend im Einsatz sein. Da sich Kliniken, Ärzte, Krankenkassen und Apotheker aber monatelang nicht auf die notwendigen Spezifikationen einigen konnten, verzögerte sich das Vorhaben immer weiter. Im Herbst 2005 nahm Gesundheitsministerin Ulla Schmidt den Streithähnen das Heft aus der Hand. Ob es nun schneller geht, ist jedoch fraglich. Erst Mitte des Jahres soll die Karte in ausgewählten Testregionen an den Start gehen. Experten bezweifeln dies. Sie befürchten, dass sich die flächendeckende Einführung der E-Card bis 2008 hinauszögern wird.

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So stellen sich die Verantwortlichen der Asklepios-Klinik in Hamburg-Barmbek den zukünftigen Klinikalltag vor. Der private Krankenhausbetreiber hat im Rahmen seines "Future-Hospital"-Programms Ende Februar eine neue Klinik in der Hansestadt eröffnet. Das Haus soll als Referenzzentrum für mögliche IT-Einsatzszenarien im Klinikalltag dienen. Ziel des Programms ist, Klinikprozesse mit IT-Unterstützung effizienter abzuwickeln. Als Partner hat die Asklepios-Führung Branchengrößen wie Microsoft und Intel an Bord geholt.

IT-Anbieter buhlen um Kliniken

Damit trägt die Healthcare-Initiative, die beide IT-Anbieter vor rund einem Jahr gestartet hatten, erste Früchte. In Hamburg-Barmbek sollen verschiedene Techniken im Klinikalltag getestet werden. Beispielsweise lassen sich Patienten via RFID auf dem Klinikgelände orten. Außerdem könnte die Funktechnik helfen, Behandlungsfehler zu vermeiden. Mit Hilfe von tragbaren Rechnern sollen sich zudem Daten über die Patienten effizienter erfassen und verteilen lassen. Ärzte könnten beispielsweise direkt am Krankenbett über einen Tablet-PC drahtlos via WLAN auf die für die Behandlung notwendigen Informationen aus einem Klinik-Informationssystem (Kis) zugreifen.

Mehr Zeit für Patienten

Im Mittelpunkt aller Bemühungen stehe der Patient, beteuern die Beteiligten. Jedes Jahr würden weltweit rund zwei Millionen falsche Blutkonserven verabreicht, berichtet Louis Burns, General Manager der Digital Health Group von Intel: "Einige Menschen verlieren ihr Leben durch diese Fehler." Hier könne RFID helfen. Manche Ärzte verbrächten bis zu 60 Prozent ihrer Zeit damit, Informationen zu suchen, behauptet zudem Bernard Broermann, Gründer und Gesellschafter der Asklepios-Kliniken. Dieser Aufwand ließe sich mittels eines durchgängig IT-gestützten Informationssystems deutlich verringern. Damit hätten die Ärzte mehr Zeit für die Patienten.

Hinter dem IT-Engagement stecken jedoch auch handfeste wirtschaftliche Interessen. Die deutschen Kliniken sind nach den Veränderungen der Abrechnungsmodalitäten während der vergangenen Jahre gezwungen, effizienter zu arbeiten. Je nach Krankheitsbild bekommen die Häuser eine fixe Fallpauschale für jeden Patienten, egal ob dieser eine Woche oder einen ganzen Monat behandelt werden muss. Lange stationäre Behandlungen bescheren den Kliniken daher Verluste. Es gilt, den Aufenthalt der einzelnen Patienten möglichst kurz zu halten.

Mit diesen Rahmenbedingungen tun sich viele Krankenhäuser schwer. Rund ein Viertel der deutschen Kliniken verfolgt keine langfristige Planung, heißt es in einer Studie von BAH. Fast die Hälfte habe keine Prozesse implementiert, um die eigenen Budgets zu steuern. Da sich der wirtschaftliche Druck weiter verschärfen wird, seien in den kommenden 15 Jahren rund ein Viertel der Kliniken hierzulande in ihrer Existenz bedroht.

Klinik-IT hinkt hinterher

Um den Druck abzufedern, setzen Krankenhäuser, Ärzte und Apotheken zunehmend auf Kooperationen. Dieses Konzept der "integrierten Versorgung" erfreut sich einer Untersuchung der Fachhochschule Osnabrück zufolge zunehmender Beliebtheit. Allerdings hakt es noch in der Zusammenarbeit der Beteiligten, warnt Studienleiterin Ursula Hübner. Nur 17 Prozent der 335 befragten Krankenhäuser gaben an, Daten rein elektronisch auszutauschen. In über der Hälfte der Fälle erfolge dies noch auf Papierbasis. Erst acht Prozent der Häuser setzten eine voll funktionsfähige elektronische Patientenakte ein. "In Sachen IT haben die Kliniken noch einen weiten Weg vor sich", meint Hübner.

eHIP soll Probleme lösen

Als Lösung bringen Intel und Microsoft ihre "e-Health-Integrations-Plattform " (eHIP) in Stellung. Neben Intel-basierenden Client-Rechnern und Servern bilden Microsofts Windows-Betriebssysteme, die Datenbank SQL Server sowie der Biztalk Server die Grundlage von eHIP. Ziel sei es, eine Kommunikationsplattform mit offenen Schnittstellen anzubieten, erläutert Jens Dommel, Geschäftsbereichleiter Kommunen, Öffentliches, Gesundheitswesen von Microsoft. Hier sollen sich Ärzte, Apotheken und andere Dienstleister mit ihren eigenen Systemen einklinken können.

"Es scheitert häufig daran, dass die Transparenz, die ein solches System schafft, von bestimmten Parteien nicht gewollt ist", warnt Volker Hüsken, unabhängiger Berater und ehemaliger CIO des Universitätsklinikums Köln. Manche Ärzte und alteingesessene Professoren an Unikliniken wollten seinen Ausführungen zufolge kein Instrument unterstützen, das sie in ihrer Arbeit kontrollieren könnte. Daher schleppten sich die Entwicklungen dahin.

Allerdings geht Hüsken davon aus, dass sich in den kommenden Jahren einiges ändern wird. Vor dem Hintergrund deutlicher Konsolidierungstendenzen gerade im Segment der kleineren Spezialsoftwareanbieter für Klinik- und Arztanwendungen verspreche die Initiative der IT-Größen durchaus Erfolg. Mittlerweile haben bereits die Anbieter von Praxisinformationssystemen Compugroup und Docexpert angekündigt, die Schnittstellen der eHIP-Plattform nutzen zu wollen. Damit soll die Kompatibilität der elektronischen Patientenakte zwischen den unterschiedlichen Systemen sichergestellt werden.

Davon profitiert jeder, wirbt Intel-Manager Burns: der Patient, die Klinikorganisation und auch die IT-Hersteller, für die sich ein interessanter Markt öffnet. Die Hoffnung, dass IT alle Probleme im Klinikumfeld löst, sei jedoch trügerisch, warnt ein Insider. Nach wie vor seien es Menschen, die die Technik bedienten. "Wenn eine Krankenschwester den falschen RFID-Tag auf die Blutkonserve klebt, nutzt dem Patienten die ganze moderne Technik nichts."