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Psychogramm

"Klick mich" fragt nach der Identität im Netz

18.09.2012
Julia Schramm, Enfant terrible unter den Netz-Promis, hat ein Buch geschrieben. Die "Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin" sind Dokument eines Lebensstils, der das Netz ins Zentrum stellt - mit all seiner Beliebigkeit, Hilflosigkeit und dem Ruf nach Veränderung.

Man nehme: Ein kleines Profilbild, ein paar kesse Sprüche, fertig ist die virtuelle Identität. Sehr viel schwieriger ist es, diese mit der eigenen Persönlichkeit in Deckung zu bringen, authentisch mit Leben zu füllen. Von dieser Schwierigkeit handelt das erste Buch von Julia Schramm: "Klick mich. Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin".

Die Berlinerin breitet ihr Leben im Internet aus. Als sie Anfang des Jahres auf Twitter ihre Verlobung mit dem Berliner Piraten-Abgeordneten Fabio Reinhardt bekanntgab, wurde sie in einer Schlagzeile als "Piratenbraut" bezeichnet. Sie hat geholfen, das Schlagwort "Post-Privacy" bekannt zu machen, und den Schutz der Privatsphäre als überholt bezeichnet. Bald darauf ließ sie sich umstimmen und akzeptierte, dass Datenschutz auch wichtig ist.

Jetzt schreibt sie in ihrem Buch: "Mein Name ist Julia und ich lebe im Internet." Sätze wie diesen haben Kritiker als Schülerzeitungsstil beanstandet. Vielleicht aber braucht die Autorin solche Aussagen, um sich in der neuen Endlosigkeit zu verorten, die das Netz ins Dasein gebracht hat.

Für die "Politologin, Publizistin, Piratin im Bundesvorstand, Provokateurin, Privilegienmuschi und Feministin" - so der Klappentext - ist das Netz ein "Flechtwerk elektronischer Impulse", in dem Gedanken zu Pixeln werden, jeden Tag neu, oft auch ohne Bezug zueinander. Die eigenen Äußerungen verselbständigen sich als Teil der virtuellen Welt. Und damit stellt sich auch die alte philosophische Frage neu: "Wer bin ich?"

Julia Schramm lässt sich von Elend und Ungerechtigkeit anrühren, von den Nachrichten aus aller Welt, die das Netz in ihren Alltag spült, bleibt dazu aber "in seltsamer Distanz". Man könne ja doch nichts weiter tun und sei nicht dafür verantwortlich, ob in der äußeren Mongolei Demokratie eingeführt werde oder nicht. "Aber ich kann zumindest für die Freiheit und Anonymität des Netzes eintreten."

Warum ist das Netz so wichtig? Weil ungehinderte Kommunikation das Leben ausmacht. Die Autorin spricht oft von den vielen Informationen und Wissensinhalten im Internet, manchmal auch von Erkenntnissen, kaum von Konsequenzen daraus. "Es gibt kein konsequentes Leben im falschen", variiert sie den konsequenten Denker Theodor W. Adorno.

Und zieht dann doch eine Schlussfolgerung: "Übrig bleibt nichts. Außer der Angst vor dem Nichts und vor der Bedeutungslosigkeit." Dem nihilistischen Elend ließe sich mit einem bewussten Leben begegnen, im Netz wie in der übrigen Welt - wenn nicht das Internet auch die Flüchtigkeit der eigenen Identitätsbildung erhöhen würde, wie Julia Schramm notiert.

Die Flucht vor der Konsequenz, mitunter auch vor denen im Netz, die alles lächerlich machen, zieht sich wie ein roter Faden durch das öffentliche Psychogramm des Buchs. Bis zum Schluss. Da lässt die Autorin ihre Leser noch einmal an einer Szene aus dem realen Leben teilhaben, an der Räumung eines besetzten Hauses, die sie trotz ihrer Dramatik wie ein Spiel erlebt, vielleicht wegen der "High Heels, auf denen ich erstaunlich gut vor der Polizei fliehen kann".

Der Anhang von "Klick mich" will noch einmal einen Anker werfen, ankommen in etwas Zuverlässigkeit und Beständigkeit. Hier findet sich nicht nur ein Glossar mit Erklärungen bekannter und weniger bekannter Netzbegriffe, sondern auch ein "Weltveränderungsmanifest" mit Positionen der Piratenpartei aus Sicht von Julia Schramm - und daher auch mit ihren Widersprüchlichkeiten. In einem Atemzug wird hier der Kampf "gegen jegliche Obrigkeit" verknüpft mit dem Eintreten "für einen offenen und nachvollziehbaren Staat". Die Fortsetzung von "Klick mich" findet im Netz statt. Dort wartet bereits die nächste Version von Julia Schramm. (dpa/tc)