informationstechnisches fachwissen allein verliert an bedeutung

Kleiner Lichtblick für Quereinsteiger

23.04.1999
Management-Qualifikationen sind langfristig wichtiger als ausschließlich technische Kompetenzen, meint Professor August-Wilhelm Scheer**. Auch Geistes- und Sozialwissenschaftler hätten gute Karten im Jobpoker.

young professional Was erwartet ein IT-Dienstleister von einem Berufseinsteiger?

scheer Weniger spezielles Informatikwissen als man zunächst annehmen könnte. Natürlich erwartet ein IT-Unternehmen von einem Bewerber, daß er über Fach-Know-how verfügt. Immer wichtiger wird aber der Gesamteindruck, also die Frage: Wie tritt eine Person auf?

young professional Welche Qualifikation soll ein Bewerber mitbringen?

scheer Neben informationstechnischem Basiswissen sind besonders Persönlichkeitsmerkmale gefragt. Gerade im Beratungsbereich geht es darum, prägnant formulieren, ein Projekt gut präsentieren und notfalls eine Lösung auch verteidigen zu können. Ausdrucksweise und die Fähigkeit zu überzeugen sind zentrale Voraussetzungen, um ein Projekt erfolgreich zu managen.

young professional Wie sieht es mit den Anforderungen an die Teamfähigkeit aus?

scheer Die Informationstechnik dient ja heute in erster Linie dazu, Geschäftsprozesse zu optimieren. Deshalb ist die Einführung eines neuen Informationssystems ein Projekt mit vielen Beteiligten aus unterschiedlichen Fachbereichen, die sich nicht immer grün sind. Ein Berater - ebenso wie ein IT-Manager beim Anwender - muß soziale und kommunikative Fähigkeiten besitzen, um Teams leiten und moderieren zu können.

young professional Die Einführung von neuen Informationssystemen erfolgt häufig unternehmens- oder konzernweit. Welche Konsequenzen hat eine solche Entscheidung für den IT-Berater?

scheer Man kann einen Trend zur Internationalisierung von Consulting-Aktivitäten beobachten. Viele global operierende Unternehmen verlangen, daß ihre Consulting-Partner Projekte rund um den Globus managen und anschließend auch einen entsprechenden Support bieten. Aus diesem Grund ist die Sprachausbildung von wachsender Bedeutung: fließendes Englisch und am besten noch eine zweite Fremdsprache sind Voraussetzung.

young professional Alles Fähigkeiten, die bei einem Informatikstudium heute nicht berücksichtigt werden.

scheer Es ist richtig, daß die Wirtschaft bei Informatikabsolventen einen Mangel an diesen Qualifikationen beklagt. Die Hochschulen müssen ihr Lehrangebot hier erweitern. In Saarbrücken beispielsweise haben wir im Wintersemester den ersten Wochenendkurs in Rhetorik, Kommunikation und Teamarbeit angeboten.

young professional Wie groß ist das Interesse?

scheer Überwältigend. Innerhalb von wenigen Tagen hatten sich mehr als 350 Interessierte angemeldet. Leider stehen derzeit nur 50 Plätze zur Verfügung. Besonders gefreut hat mich, daß das Angebot nicht nur von Saarbrücker Studenten angenommen wird. Ein erheblicher Prozentsatz der Bewerber kommt aus der Wirtschaft - ein klares Zeichen, daß von den Unis berufliche Weiterbildung erwartet wird.

young professional Ohne Informatikwissen wird es aber doch auch in Zukunft nicht gehen.

scheer Natürlich nicht. Informatik ist eine fachliche Kernkompetenz. Die Frage ist nur: Worin bestehen heute die fachlichen Anforderungen? Nehmen wir die Einführung eines Informationssystems wie SAP R/3. Voraussetzung sind die Kenntnis der Geschäftsprozesse, die das System abbildet, und das Verständnis, wie das System in einer Branche eingesetzt werden kann, um bestimmte Unternehmensziele zu erreichen. Darüber hinaus muß der Kandidat die Parametrisierung, also das Customizing des Systems beherrschen. Auf welcher Hardware das System läuft und welche Softwaretechnologie in der Programmierung eingesetzt wurde, ist dagegen weniger wichtig. Gefragt ist also eine interdisziplinäre Verknüpfung zwischen branchenspezifischem Know-how, organisations- und anwendungsorientiertem Informatikwissen sowie eine gewisse Produktkompetenz.

young professional Die Technik tritt bei der Beratung in den Hintergrund?

scheer Das sieht man besonders gut bei den großen Herausforderungen der IT wie dem Supply Chain Management. Um eine logistische Versorgungskette aufzubauen, muß ich zuerst ein Organisationskonzept entwickeln, das viele Abläufe synchronisiert und sowohl Kunden als auch Lieferanten einbezieht. Darauf aufbauend kann schließlich die entsprechende Software auch ausgewählt werden.

young professional Die IT-Branche benötigt mehr Fachkräfte als derzeit an Hochschulen ausgebildet werden. Haben Quereinsteiger eine Chance?

scheer Studien zufolge fehlen in Deutschland mehr als 100 000 IT-Fachleute und in Europa sind gegenwärtig gar über eine halbe Million IT-Stellen unbesetzt. Um qualifiziertes Personal hat ein regelrechtes Hauen und Stechen zwischen den Unternehmen begonnen. Da sich Informatiker immer mehr mit Inhalten auseinandersetzen und Management-Aufgaben übernehmen, haben auch Sozial- und Geisteswissenschaftler gute Karten. Auch exotische Nebenfächer schaden nichts. IMC, ein Spin-off-Unternehmen meines Instituts, ist ein Beispiel dafür: Es sucht gegenwärtig Theaterwissenschaftler für die Aufbereitung multimedialer Lerninhalte. In manchen Dienstleistungsunternehmen sind solche Quereinsteiger bereits in großer Zahl vertreten, und es werden immer mehr…

young professional …um nach dem Jahr 2000, wenn die vielen IT-Projekte zur Datums- und Euro-Umstellung abgeschlossen sind und sich der Arbeitsmarkt wieder beruhigt hat, durch Informatiker ersetzt zu werden.

scheer Die Datumsumstellung hat vor allem dazu geführt, daß innovative Projekte verschoben wurden. Insofern glaube ich nicht, daß der Boom in der Consulting-Branche so schnell wieder abflauen wird. Gerade Internet-Anwendungen werden in Zukunft stark nachgefragt werden und erfordern viel kreatives Potential. Der ganze Multimedia-Bereich steckt heute noch in den Kinderschuhen und kann sich zur Jobmaschine entwickeln.

young professional Wer kann sich aus den Jobangeboten die Rosinen herauspicken?

scheer Unternehmen erwarten heute mehr, als eine gestellte Aufgabe solide abzuarbeiten. Entscheidend sind Praxiswissen und die Bereitschaft, sich immer wieder in neue Aufgaben einzuarbeiten. Wer in die High-Tech-Branche gehen möchte, sollte schon während des Studiums in der Wirtschaft jobben und sich als Knowledge-Worker bewähren.

young professional Was heißt das konkret?

scheer Wissensarbeiter sind Menschen, die ihr Wissen organisieren und anderen vermitteln können, anstatt es zu horten. Moderne Medien wie das Internet spielen hierbei eine große Rolle. Sowohl als Werkzeug, um Wissen zu verteilen als auch als Medium, um etwa durch Telekurse auf dem laufenden zu sein. Wer lebenslanges Lernen nicht ernst nimmt, hat in der High-Tech-Welt nichts verloren.

*Heidrun Haug ist freie Journalistin in Tübingen.

**August-Wilhelm Scheer ist Professor an der Universität Saarbrücken für Wirtschaftsinformatik und Geschäftsführer des Softwarehauses IDS Prof. Scheer GmbH in Saarbrücken.