DV-Perspektiven bis 1980

Kleine Rechner mit großen Speichern

21.11.1975

BONN - Die im Rahmen des 2. DV-Programmes vom Bund geförderten deutschen Unternehmen haben sich insgesamt günstig entwickelt: Allerdings sind ihre Marktanteile nicht in dem Maß gewachsen, wie man es beim Start des 2. Förderprogrammes erhofft hatte. Zu dieser Schlußfolgerung kamen die Bonner Förderpolitiker bei einer Untersuchung der Lage der deutschen DV-Industrie. Begünstigt durch die Einführung der modernen hochtechnisierten Bauelemente, verlief die Entwicklung bei kleineren DV-Systemen sowie bei den Prozeßrechnern günstiger als bei den mittleren und großen Rechnern.

Bei den mittleren und großen Rechnern bestimmen die amerikanischen Hersteller - so stark das Marktgeschehen, daß sie der übrigen Branche Innovationstempo und Marktgepflogenheiten aufzwingen. IBM setzt nicht nur von der Zahl der installierten Systeme her, sondern auch mit einem Jahresüberschuß von etwa 14 Prozent des Umsatzes (nach Steuern) Maßstäbe. Siemens muß beispielsweise nicht nur Entwicklungs- und Anlaufkosten in Kauf nehmen, sondern auch durch Anpassung an den IBM-Generationswechsel kürzere Standzeiten von Mietmaschinen in Kauf nehmen.

60 bis 90 Prozent Altkunden

Während IBM derzeit etwa 80 Prozent des Gesamtumsatzes mit Stammkunden abwickelt und ICL (wegen der starken Präferenzpolitik in England) sogar einen Altkundenanteil von 90 Prozent hat, erhielt Newcomer Siemens erst etwa 60 Prozent der Aufträge von Anwendern, die vorher schon einmal eine Siemens-Anlage benutzt hatten. Die Investition der Bundesfördermittel hat sich insofern ausgezahlt, als Siemens jetzt immerhin in der Bundesrepublik einen Marktanteil von 17,9 Prozent hat und damit nach IBM (59 Prozent) vor Honeywell (6,9 Prozent) an zweiter Stelle liegt.

Deutsche Prozeßrechner führen in Deutschland

Wesentlich besser steht Siemens bei den Prozeßrechnern da: Das Unternehmen führt mit 35 Prozent Marktanteil vor AEG-Telefunken (21,7%) und Digital Equipment (12,1%). IBM hat auf diesem Sektor in der Bundesrepublik wertmäßig nur gleich viel Marktanteile wie Hewlett Packard nämlich 3,8 Prozent.

Die Bonner Förderpolitiker sind der Meinung, daß auf dem weiterhin expansiven Prozeßrechnermarkt für die deutschen Unternehmen gute Chancen bestehen. Mit größeren Zuwachsraten als auf dem Markt der mittleren und großen DV-Systeme rechnet man auch bei kleinen Systemen und intelligenten Terminals. Hierbei ist allerdings IBM mit dem System 32 in diesem Jahr neu als unbekannte Größe aufgetaucht: Die amerikanische Marktforschungsgesellschaft Quantum Science Corp. schätzt zwar die IBM-Verluste aus dem System-32-Geschäft für 1975 auf 20 Millionen Dollar - den IBM-Gewinn aus dem Kleinrechnergeschäft für 1980 aber auf rund 800 Millionen Dollar. (Vorausgesetzt, daß die zweite Prognose eintritt, wonach das System 32 am US-Markt Ende der 70er Jahre etwa 25 Prozent Marktanteil haben soll.)

Da Siemens Rechner der 7000-Serie schon mit Halbleiter-Speichern ausstattet, die auf einem Silicium-Kristall 1024 Bit speichern können, Halbleiter-Speicher mit 16 KBit erprobt und 64 KBit-Oneship-Einheiten vorbereitet, glaubt man in Bonn, daß eine der wesentlichen technologischen Voraussetzungen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen DV-Industrie gegeben sei. Ihre Hoffnungen setzen die Konstrukteure in München und die Politiker in Bonn darauf daß künftig bei einmal installierten Systemen die Speicher durch Austausch jeweils der neuesten Technologie angepaßt werden können.

Ein Betriebssystem pro Familie

Ab 1980, so rechnet man, werden die zu einer Familie gehörenden Rechner mit ein und demselben Betriebssystem ausgestattet sein weil bei hohem Integrationsgrad die Halbleiter-Speicher so billig werden, daß auch kleine DV-Systeme mit großen Hauptspeichern ausgestattet werden können. Für den Hersteller reduzieren sich Entwicklungs-, Wartungs- und Schulungskosten, für den Anwender die Umstellungskosten bei Übergang auf größere Systeme, wenn ein universelles Betriebssystem eine ganze Rechnerfamilie abdeckt. Parallel dazu hofft man für eine Rechnerfamilie nur noch einen Zentraleinheiten-Grundbaustein entwickeln zu müssen. Wichtigstes noch zu überwindendes Problem: Entwicklung von Betriebssystemen, die modular aus mehr als zwei Einheiten aufgebaute Rechnersysteme unterstützen .

Die Entwicklung im Bereich der Nah-Peripherie wird durch Erhöhung der Speicherdichte bei Platten (möglich erscheint eine Erhöhung um den Faktor 100), nicht mechanische Schnelldrucker und optische Lesegeräte für unterschiedliche Druckbilder sowie Handschrift, wichtig vor allem für die Datenerfassung in Archiven und zum Aufbau großer Datenbanken, bestimmt werden. Bei der Fernperipherie, die ein überdurchschnittliches Wachstum zu erwarten hat wird das Schwergewicht auf Bildschirme, Datenerfassungsgeräte und textverarbeitende Systeme zu legen sein. Es wird damit gerechnet, daß sich die Grenzen zwischen Minicomputern und intelligenten Terminals zunehmend verwischen.

Priorität für schnelle Schaltkreise und branchenspezifische Terminals

Hohe Priorität für die Förderpolitiker in Bonn hat die Entwicklung von schnellen Schaltkreisen, Mikroprozessoren und die mikroprogrammierbaren, hochintegrierten Speicher. Während bei Siemens mittlere und große Rechner nur noch bis zum Ende des Jahrzehnts gefördert werden sollen, treten die Bonner DV-Fachleute dafür ein, die neu genannten Schlüsselprodukte der Nahperipherie sowie - bevorzugt bei Kleinrechnerherstellern - die Neuentwicklung von Fernperipheriegeräten, insbesondere von branchenspezifischen Terminals zu fördern. Als wichtig sieht man in Bonn ferner die Förderung von Gemeinschaftsentwicklungen bei Kleinrechnerherstellern sowie der Entwicklung von Schnittstellen für Verbundinstallationen. In Abstimmung mit den Plänen der EG-Kommission waren von Bonn aus DIN- und ISO-Normen sowie EG-Standards für alle Beschaffungsaktionen der öffentlichen Hand zu verbindlichen Standards erklärt worden. Damit würde die von Brüssel geförderte Software-Normung Bestandteil der deutschen DV-Politik.