Dokumenten- und Workflow-Management

Klassische Kategorien greifen nicht mehr

16.03.2001
MÜNCHEN (rg) - Im Bereich Dokumenten- und Workflow-Management führen viele Wege zum Ziel. Anwender sind daher gut beraten, sich bei der Wahl ihrer Lösung nicht nur unter den klassischen Anbietern umzusehen. Das machte ein von der Euroforum Deutschland GmbH veranstalteter Kongress deutlich.

Auch im Internet-Zeitalter, stellte der Vorsitzende des Kongresses Jörg Becker fest, liegen immer noch zwischen 75 und 80 Prozent der Geschäftsdokumente in Papierform vor. Darüber hinaus würden diese, so der Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, im Schnitt fünfmal kopiert.

Wo viele Anwender der Schuh drückt, zeigten zahlreiche Praxisbeiträge: Die Papierberge wachsen ins Unermeßliche, einzelne Dokumente werden oftmals an verschiedenen Standorten und in unterschiedlichen Versionen vorgehalten, die Prozesse, welche die Geschäftsunterlagen durchlaufen, sind nicht transparent, und für die Suche nach Informationen innerhalb des Unternehmens geht zu viel Zeit verloren.

Diese Probleme haben sich durch den zunehmenden Einsatz von IT-Systemen noch vermehrt. Über die gewachsenen, heterogenen Umgebungen und Insellösungen lässt sich der Workflow von Dokumenten nur schwer organisieren. Hinzu kommt der damit verbundene Datenwildwuchs: Die Anzahl der zusätzlich gespeicherten Dateien übertrifft vielerorts bereits die Menge an Papierakten.

So waren bei den Stadtwerken Duisburg die Reduzierung von Suchzeiten, Raumprobleme bei der Lagerung von Papierakten und die Vermeidung von Redundanzen die wichtigsten Gründe, ein DMS einzuführen. Stephan Endries, Projektleiter und stellvertretender Abteilungsleiter für IV-Grundsatzfragen, Bürokommunikation und allgemeine Organisation, beschrieb die anrollende Papierflut: Im kaufmännischen Bereich laufen bei dem Versorger pro Jahr rund 1,1 Millionen Kontoauszüge, 480000 Ausgangsrechnungen, 300000 Schriftverkehrsdokumente und Verträge sowie 90 000 Ausgangsrechnungen für Sonderkunden auf.

Die Stadtwerke wollten mit einem überschaubaren Projekt beginnen und entschlossen sich, mit den zusätzlich von den technischen Abteilungen genutzten und kontinuierlich gepflegten 4500 Hausanschlussakten zu beginnen. Für die elektronische Archivierung dieser Datensätze sprach außerdem, dass die damit befassten Abteilungen an mehreren Standorten angesiedelt sind. Der Einsatz der Workflow-Funktion der SAP-Lösung für Material- und Finanzwirtschaft kam nicht in Frage, weil damit nur 250 Mitarbeiter zu tun haben. Dagegen sind nahezu alle 1200 PC-Arbeitsplätze mit "Lotus Notes" als Kommunikationsplattform ausgestattet. Der Versorger nutzt daher die darin enthaltenen Workflow-Management-Anwendungen.

Nicht alles muss ins elektronische ArchivDass es oftmals keinen Sinn hat, alle im Unternehmen vorhandenen Akten in ein elektronisches Archiv zu überführen, zeigte das Projekt des Universitätsklinikums Ulm. Für die Archivierung von Dokumenten, die älter als fünf Jahre sind, aber aufgrund der Aufbewahrungspflicht weiter vorgehalten werden müssen, ist laut Franz Jobst, Leiter des Bereichs Informations- und Kommunikationssysteme am Uniklinikum, die Mikroverfilmung das wirtschaftlichste Verfahren. Die Ulmer entschlossen sich, für das Projekt "Elektronische Patientenakte" nur Unterlagen digital zu archivieren und zusammenzuführen, die zur Abwicklung von Behandlungsprozessen notwendig sind. Als zentrale Dokumentendatenbank nutzt das Krankenhaus das im ganzen Haus eingesetzte SAP-R/3-System. Dort wird die aus einzelnen Dokumenten bestehende elektronische Patientenakte als Verknüpfungstabelle hinterlegt. Damit die Lösung die im R/3-System enthaltenen Workflow-Funktionen nutzen kann, erfolgt der Zugriff auf die Akte über die BAPI-Schnittstelle der SAP oder via Remote Function Call (RFC).

Konkurrenz für SpezialanbieterDiese beiden Projekte bestätigen eine Entwicklung, mit der viele Anbieter klassischer DM- und WF-Systeme zu kämpfen haben: Funktionen zur Erfassung, Verwaltung und Reproduktion von Informationen sowie deren Routing für die Vorgangsbearbeitung sind mittlerweile in fast alle kaufmännischen Anwendungen, Branchenapplikationen und Groupware-Systeme integriert. Hier haben unter anderem große Anbieter wie Microsoft oder Lotus massiv im Revier der Spezialanbieter gewildert. Lotus bietet beispielsweise Komponenten für Archivierung, Dokumenten-Management und Workflow aus einer Hand.

Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Project Consult GmbH in Hamburg, bestätigt diesen Trend: Durch die Nutzung der schon vorhandenen Softwareressourcen lasse sich die Anschaffung neuer Workflow-Systeme oft vermeiden. Nach der Entscheidung, welche Applikation die Worklow-Funktionen übernimmt, solle das Unternehmen allerdings prüfen, ob andere Tools abgeschaltet werden müssen, damit die in verschiedenen Anwendungen angelegten Repositories nicht in Konkurrenz zueinander stehen und zusammenarbeiten können.

ACD-Anlage übernimmt den WorkflowVor dieser Wahl stand auch Dietmar Schicker, stellvertretender Leiter des Service-Centers der Hamburgischen Elektrizitätswerke (HEW), als es darum ging, dort ein Workflow-System zu implementieren. In dieser Abteilung bearbeiten insgesamt 130 Mitarbeiter pro Jahr 700000 Telefonanfragen, 110000 Kundenschreiben, 10000 E-Mails und rund 15000 Faxe. Die Workflow-Funktion des unternehmensweit eingesetzten Kunden-Management-Systems von Siebel kam für das Service-Center nicht in Frage. Für die zeitkritische Bearbeitung von eingehenden Telefonaten reichten dessen Reaktionszeiten nicht aus. Zudem hätte die regelmäßige Wartung der Siebel-Anwendung zu hohe Ausfallzeiten nach sich gezogen, so Schicker. Stattdessen nutzen die Entwickler der HEW die Workflow-Funktionen der vorhandenen ACD-Anlage von Rockwell (ACD = Automatic Call Distribution) und entwickelten den unter anderem für die Verteilung der eingehenden Aufgaben nötigen Service-Information-Management-Server sowie die für die Arbeitsplätze benötigte Oberfläche selbst.

Berater Kampffmeyer hingegen riet seinen Zuhörern, auf die Einführung neuer Benutzeroberflächen so weit wie möglich zu verzichten und stattdessen auch hier die Möglichkeiten zu nutzen, die die vorhandene Software bietet. Anders als bei den Messepräsentationen der Anbieter gezeigt, sei es sinnvoll, Dokumenten- und Workflow-Management-Systeme nicht als führende Anwendung über die gesamte Softwarearchitektur zu stülpen, sondern sie als Dienste umzusetzen, die im Hintergrund laufen. Das Suchen, Bearbeiten und Speichern von Dokumenten erfolge also über die Funktionen der Standardanwendungen. Bei der Integration in die Bürokommunikation setze dies unter anderem die Installation eines einheitlichen Postkorbs für alle Formen von Dokumenten und Nachrichten voraus. Außerdem müssten Inhalte in verschiedenen Dateiformaten wie PDF, DOC oder Tiff darstellbar sein.

Das Archiv sollte als Informations-Backbone so einfach wie möglich gehalten werden, keine Anwendungen enthalten und nur über eine Schnittstelle mit dem System verbunden sein. Dadurch bleibt das Archiv, so Kampffmeyer, bei der Langzeitspeicherung konsistent, auch wenn einzelne Applikationen im Lauf der Jahre ausgetauscht werden. Besonders wichtig sei dies in Branchen mit langen gesetzlichen Aufbewahrungsfristen, die bis zu 30 Jahre betragen können.

Unternehmen sollten also keine Akten, sondern einzelne Dokumente speichern, damit neue Verknüpfungen möglich bleiben. Besonders im Bereich Rechts- und Revisionssicherheit kommen auf Archivierungssysteme neue Anforderungen zu. Hier stellt vor allem der rein elektronische Austausch rechtlich bindender Dokumente sowohl Softwarehäuser als auch Anwender vor Probleme, da es für den Umgang mit elektronischen Signaturen noch keine rechtlich gesicherte Vorgehensweise gibt. Um zu vermeiden, dass mit Ablauf der Signatur auch das Dokument seine Gültigkeit verliert, kann der Inhalt von der Signatur getrennt werden. Gemeinsam mit der unveränderlichen Version der elektronischen Unterlagen muss dann ein Vermerk gespeichert werden, dass die Signatur zur Zeit des Eingangs gültig war. Kampffmeyer zufolge steht eine befriedigende Lösung hier noch aus.

Unbedingt nötig ist vor diesem Hintergrund die Versionskontrolle von Dokumenten. Sie garantiert nicht nur, dass ausschließlich dazu berechtigte Mitarbeiter Änderungen vornehmen können, sondern erlaubt darüber hinaus die gezieltere Information von Anwendern. So kann beispielsweise ein Sachbearbeiter mit allen Dokumenten zu einem Vorgang versorgt werden, während ein nicht involvierter Kollege nur die aktuelle Version angezeigt bekommt. Die durchgängige Rechtevergabe ist überdies eine wichtige Voraussetzung für Unternehmen, die im Rahmen ihrer E-Commerce-Strategie Teile ihres IT-Systems für Kunden, Partner und Zulieferer öffnen müssen.

Spätes Scannen ist unwirtschaftlichEine viel diskutierte Frage war auf dem Kongress der richtige Zeitpunkt der Überführung von Papierdokumenten in das IT-System. Die Stadtwerke Duisburg schlagen beispielsweise den Weg ein, während einer Übergangsphase Rechnungen erst nach ihrer Bearbeitung zu scannen, um sie dann im Archiv abzulegen. So will der Versorger seine Mitarbeiter schrittweise an das neue System heranführen. Laut Kampffmeyer ist dieses späte Scannen jedoch nicht wirtschaftlich. Dadurch könnten lediglich Kosten für Personal und Räume gespart werden, die für das System und dessen Betreuung wieder ausgegeben werden müssten. Nur das frühe Scannen ermögliche es, Workflow-Funktionen optimal zu nutzen und damit zusätzliche Einsparungen zu erzielen.

Tipps für die Auswahl der richtigen LösungBei der Wahl von Produkten und Anbietern wird die Entscheidung laut Ulrich Kampffmeyer häufig mehr oder weniger zufällig von der eingenommenen Perspektive bestimmt. Die Festlegung auf einen Blickwinkel, der entweder das kooperative Arbeiten, die Daten, die Dokumente oder die Prozesskontrolle in den Mittelpunkt stellt, enge den potenziellen Anbieterkreis aber unnötig ein, da mittlerweile fast jedes fachliche Problem mit unterschiedlichen Anwendungen lösbar sei. So könne unter Umständen eine Groupware-Lösung für die Organisation von Geschäftsabläufen besser geeignet sein als ein klassisches Workflow- oder Knowledge-Management-System.

Statt eines technischen Kriterienkatalogs sollten nach einer abteilungsübergreifenden Ist-Analyse aller Organisationsstrukturen die Kernanforderungen an das geplante System in einem Fachkonzept zusammengefasst werden. Überlasse nun der Anwender dem Anbieter die Erstellung der technischen Spezifikationen, habe er einen doppelten Vorteil: Einerseits lasse sich so erkennen, ob der Anbieter verstanden hat, worum es eigentlich geht, andererseits könne sich der Lieferant der Lösung nicht darauf herausreden, er habe die technischen Anforderungen erfüllt, wenn die installierte Applikation den fachlichen Anforderungen nicht genügt.

Als Zusammenfassung der vom Anbieter zugesagten Funktionen kann der Kriterienkatalog so als vertragliche Absicherung des Kunden dienen. Als zentrales Mittel zur Entscheidungsfindung sprechen jedoch weitere Gründe gegen den Katalog. Zum einen unterscheiden sich die Produkte funktional kaum, zum anderen beantworten Anbieter einzelne Fragen nicht ganz wahrheitsgemäß, um nicht frühzeitig aus dem Auswahlverfahren herauszufallen. Darüber hinaus lassen sich viele wichtige Aspekte in Katalogform nur schlecht abfragen. Dazu zählt, ob der Anbieter schon vergleichbare Projekte innerhalb des vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmens betrieben hat, wie es um die personellen Ressourcen und Qualifikationen bestellt und ob entsprechendes Branchen-Know-how vorhanden ist. Da Dokumenten-Management-Systeme sich meist langfristig auf die Organisation eines Unternehmens auswirken, sollte auch möglichst genau geprüft werden, ob sowohl das Produkt als auch der Anbieter am Markt reelle Überlebenschancen haben. Dies ist jedoch in Zeiten, in denen Übernahmen an der Tagesordnung sind, keine leichte Aufgabe.