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Klage gegen IBM berührt jetzt auch Fragen der journalistischen Unabhängigkeit

24.06.2004

Die IBM sieht sich in den USA mit mehreren Klageverfahren konfrontiert. Darin werfen ehemalige Beschäftigte von Big Blue dem Konzern vor, er habe in verschiedenen Produktionsstätten giftige Stoffe eingesetzt, die erhebliche gesundheitliche Risiken bergen würden. Über die Beurteilung, inwieweit in Fertigungen eingesetzte Chemikalien gesundheitsschädigend seien, ist jetzt eine öffentliche Diskussion in den USA entbrannt, die auch Fragen der Pressefreiheit berühren.

Hintergrund der aufgeflammten Auseinandersetzung ist eine Aktion von 13 Wissenschaftlern. Diese hatten Artikel zurückgezogen, die in einem vierteljährlich erscheinenden Fachjournal aus der Verlagsgruppe Reed Elsevier veröffentlicht werden sollten. Das Wissenschaftsjournal "Clinics in Occupational and Environmental Medicine" hatte es abgelehnt, eine Studie zu publizieren, in der ein erhöhtes Aufkommen von Gehirn- und anderen Krebsformen bei Angestellten in IBM-Produktionsstätten diskutiert wurde.

Die in Rede stehende Studie war im Zuge einer Klage gegen die IBM wegen des Einsatzes möglicherweise gesundheitsgefährdender Chemikalien in den Fertigungsstätten von Big Blue erarbeitet worden. Bei den Autoren der wissenschaftlichen Untersuchung handelt es sich um Rebecca Johnson, einer Beraterin von Epi Center Inc. in Circle Pines, Minnesota, und um Richard Clapp, einen bekannten Epidemiologen der Boston University. Clapp hatte sich vor Jahren einen Namen gemacht, als er den Zusammenhang von Krebserkrankungen bei Vietnamveteranen mit dem in Asien eingesetzten Kampfstoff Agent Orange nachweisen konnte.

In ihrer Studie versuchen die beiden Forscher nachzuweisen, das IBM-Angestellte, die in verschiedenen Fertigungsstätten von Big Blue arbeiteten, vermehrt Nieren-, Gehirn- und andere Krebsformen erlitten. Würde sich ein Zusammenhang zwischen gesundheitsgefährdenden Werkstoffen in Fabriken und den bei IBM aufgetretenen Erkrankungen herstellen lassen, könnte diese Gefahr den Asbest-Skandalen vergangener Jahre nahe kommen. Dann würden auf Produzenten weltweit möglicherweise unabsehbare Klagewellen zurollen.

Rechtsanwälte der IBM haben die Untersuchung von Johnson und Clapp als "Müllwissenschaft" bezeichnet. Sie versuchen zu verhindern, dass diese Studie Eingang in anhängige Gerichtsverfahren findet. Im Oktober 2003 hatte Robert Baines, Richter am obersten kalifornischen Gericht, entschieden, dass die Clapp-Studie in dem von ihm geleiteten Verfahren gegen die IBM nicht benutzt werden darf. Er argumentierte seinerzeit laut dem "Wall Street Journal": "Diese Studie - vorausgesetzt, es ist eine Studie, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt - kann im Prinzip für alle möglichen Aussagen benutzt werden. Zum Beispiel könnte man sagen, dass in den Cafeterien von Halbleiterfirmen, in denen Krebsfälle vorkommen, auch Kaffee ausgeschenkt wird. Also kann man davon ausgehen, dass Kaffee Krebs erzeugt." Wegen solcher möglicher logischer Ungereimtheiten lehnte Baines die Clapp-Studie als Beweismittel ab.

Clapp war von Klägern beauftragt worden, die Arbeitskonditionen in einer Festplattenfabrikation der IBM in San Jose zu untersuchen. Im Zuge dieses Verfahrens hatten die Rechtsanwälte der ehemaligen Big-Blue-Angestellten Einblick in so genannte Mortalitätslisten von Big Blue erhalten. Das Unternehmen hielt in diesen die Todesursachen von rund 30.000 ehemaligen Mitarbeitern fest. Diese Daten stellen zwar eine Goldgrube für Forscher dar. Außerhalb der IBM hat bislang aber kaum jemand Einblick nehmen dürfen.

IBM-Anwälte befürchten, dass Clapp seine Untersuchungsergebnisse nicht nur bei Gericht benutzen, sondern auch einer breiten Öffentlichkeit präsentieren will. Deshalb hatten sie gewarnt, Clapp dürfe seine Studie nicht publizieren. Deren Ergebnisse seien nämlich von einem Gericht als vertraulich eingestuft worden.

Der Epidemiologe hatte in der Tat geplant, seine Erkenntnisse in der Reed-Elsevier-Publikation einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Der Verlag hatte sich aber entgegen der Einschätzung des bearbeitenden Lektors gegen eine Veröffentlichung ausgesprochen. Offizielle Begründung: Man veröffentliche im "Clinics in Occupational and Environmental Medicine" nur Besprechungen und keine Studien. Der Verlag bestritt, dass Druck von Seiten der IBM ausgeübt worden sei. Nach der Entscheidung, Clapps Artikel nicht zu veröffentlichen, zogen nun 13 Wissenschaftler ihre Zusage für Artikel in dem gleichen Medium zurück. (jm)