Kinder und zwei Karrieren

28.07.2008
Eltern, die beruflich nach oben wollen, brauchen den richtigen Arbeitgeber - und viel Disziplin.

Er klotzt ganztags in einem Softwareunternehmen, sie sucht als Vollzeit-Personalerin Topleute aus der IT-Branche. Er fegt morgens mit den Kindern zum Kindergarten, sie springt zwischendurch mit den Kleinen zum Arzt. Er will mehr Zeit für seine Kinder, aber die Karriere nicht an den Nagel hängen. Sie will Zeit für ihre Karriere, aber die Kinder nicht darunter leiden lassen. Viele scheitern an dem doppelten Gleichklang oder wagen ihn gar nicht erst. Doch es gibt sie, auch in der IT-Branche: Paare, bei denen beide Partner eine erfolgreiche Berufslaufbahn mit einem erfüllten Familienleben verbinden. Menschen wie Birgit Oßendorf-Will, IT-Personalerin bei British Telecom Global Services, und ihr Mann, Fitnessberater und Personalcoach. Paare wie Astrid Elbe und Ralf Dietzel, sie Director Develoment bei Infineon, er Leiter der Steuerabteilung bei Nokia Siemens Networks. Was machen sie anders? Wie gelingt ihnen der Kraftakt mit Kindern und Karriere?

Kinderbetreuung als größte Herausforderung

Die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin hat im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung und des Bundesfamilienministeriums knapp 1200 Frauen und Männer teils persönlich in Fallstudien, teils online befragt. Beide Partner haben eine Fach- oder Führungsposition oder streben sie an, und sie haben in der Regel zwei oder mehr Kinder, leben häufig in einer Großstadt oder in der Nähe davon, sind im Schnitt zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig.

Die Studie "Kinder und Karrieren: die neuen Paare" zeigt: Beides zusammen ist nur mit ausgefeiltem Betreuungssystem und vor allem partnerschaftlich zu stemmen. Obwohl die Paare der EAF-Studie stark berufs- und aufstiegsorientiert sind, wollen sie keine Karriere um jeden Preis, vor allem nicht auf Kosten der Kinder. Mit ihnen verschieben sich die Prioritäten. Die Paare nehmen Auszeiten oder reduzieren ihre Arbeitszeit, schlagen ein Angebot zunächst aus oder verzichten auf den Ortswechsel. Das Besondere ist: Es sind nicht automatisch die Frauen, die zugunsten der Kinder zurückstecken. Die Kunst besteht darin, immer wieder aufs Neue auszuhandeln, wer welche Stufe der Karriereleiter nimmt. In der Fallstudie gelang es 40 Prozent der Paare, sich die Auszeiten zu teilen, in der Online-Befragung waren es 15 Prozent. Diese Zahlen liegen über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 10,5 Prozent.

"Dass die Partner in beiden Welten - der beruflichen und der familiären - zu Hause sind, stärkt das gegenseitige Verständnis und stabilisiert die Partnerschaft", sagt Co-Studienleiterin und stellvertretende EAF-Geschäftsführerin Kathrin Walther. "Insofern überrascht es wenig, dass die Paare mit ihrem Lebensmodell, der Entwicklung ihrer Kinder und ihrer beruflichen Entwicklung sehr zufrieden sind. Die Familie stärkt ihnen den Rücken und ist ein wichtiger Ausgleich zum Berufsleben." Allerdings zahlen sie auch einen Preis: Die Organisation der Kinderbetreuung und das Zeit-Management werden als größte Herausforderungen gesehen, und die Hälfte der Mütter und Väter ist unzufrieden mit der eigenen Work-Life-Balance.

Birgit Oßendorf-Will, Personalleiterin British Telecom Global Services, 45

Als Birgit Oßendorf-Will schwanger wurde, begannen lange Diskussionen zwischen ihr und ihrem Mann: Wie machen wir's? Beide wollten sich um das Kind kümmern, beide wollten Karriere machen. Sie strebte als Personal-Managerin in der IT-Branche nach oben. Er hatte sich als Chef eines Kölner Fitnessstudios selbständig gemacht. Sie beschlossen: Das bekommen wir trotzdem hin.

Mit der Milchpumpe ins Büro

Acht Wochen nach der Geburt machte sich Oßendorf-Will mit Milchpumpe und Aktenkoffer auf den Weg in den Job. Von 8.30 bis 19 Uhr saß sie in Meetings, entwickelte Konzepte für die Personalentwicklung, managte Umstrukturierungen und Organisationsänderungen. Derweil schob ihr Mann den Kleinen durch den Stadtpark, wickelte, stapelte Bauklötze, las Geschichten vor. Wenn das Baby schlief, erledigte er Telefonate, delegierte Aufgaben. Um 15.30 Uhr übergab er den Staffelstab an eine Babysitterin und ging ins Studio. Ein wenig Bedenken hatte sie anfangs schon, erinnert sich Oßendorf-Will. Denn jeden Tag kam eine andere Helferin: ihre Mutter, die Schwiegermutter, eine ältere Dame vom Theater, einige junge Mädchen aus der Nachbarschaft. Und würde ihr Mann alles richtig machen mit dem Kind?

"So ein Unsinn", sagt Oßendorf-Will heute. Aber damals trieben sie solche Gedanken um. Bis sie merkte, dass ihr Mann es mindestens so gut wie sie kann, und bis sie beobachtete: Die Vielfalt der Bezugspersonen ist eine Bereicherung, gerade weil der Sohn älter wird. Theater und Zoo mit den einen, Fußball spielen mit den anderen. Sicher, der Alltag war ein Organisationsmonstrum, das sich noch aufblähte, als drei Jahre später der zweite Sohn geboren wurde und der erste in den Kindergarten kam. Wenn Oßendorf-Will nach Hause kam, war die Zeit für die Kinder oft knapp: Bettgehen, Gute-Nacht-Geschichte, an guten Tagen Abendbrot, Spielen, Toben, Kuscheln.

Ohne große Flexibilität im Job wäre der doppelte Spagat zwischen Job und Kindern kaum möglich gewesen. Krankheit, Kindergeburtstag, ein unverhoffter wichtiger Termin - das geht nur mit einem engmaschigen Netzwerk und Mut zur Offenheit. "Wenn man offen mit Kinderterminen umgeht, ist die Akzeptanz erstaunlich groß", so Oßendorf-Will. Als ihr alter Arbeitgeber nach ihrer Rückkehr aus der ersten Schwangerschaft seine Zusage über 80 Prozent Teilzeit zurückzog, wechselte die Personalerin das Unternehmen.

Mittlerweile ist die 45-Jährige in einer Position, in der sie selbst den Rahmen für ihre Mitarbeiter stecken kann. Und das tut sie. Es gibt einen Strauß an Teilzeitmodellen. Wenn ein Schultermin oder Arztbesuch ansteht, können Eltern später kommen oder von zu Hause arbeiten.

Nichts bereut

Bereut hat Oßendorf-Will ihren Weg nie. Nach ihrem Umzug nach München hat ihr Mann sich eine Weile ganz um die Kinder gekümmert, jetzt startet er als Personaltrainer durch. Die Kinder sind elf und 14. Die Eltern können sie entspannt drei, vier Stunden alleine lassen. Das schlechte Gewissen, das Oßendorf-Will lange Zeit verfolgte, haben ihr die Jungs genommen: "Lieber verbringen wir wenige tolle Zeiten mit euch, als im Alltag nebenherzulaufen, wie das bei vielen Freunden üblich ist." Ein wichtiges Gefühl. Sie weiß: "Nur wenn privat die Situation stabil ist, ist man auch gut im Job."

Knackpunkt für ihr Lebensmodell sind familienfreundliche Arbeitsbedingungen. Und das heißt vor allem: Flexibilität. "Das hören wir von Führungskräften mit Kindern durch die Bank: Die wichtigste Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Topjob sind flexible Arbeitsmodelle", so Walther. "Nur dann kann man im Notfall mit den Kindern zum Arzt, das Schulfest besuchen oder von zu Hause arbeiten. Das ist umso wichtiger, je höher man in die Führungsetagen aufsteigt, wo weit über das tarifliche Maß hinaus gearbeitet wird. Ohne Zeitsouveränität in gewissen Grenzen, ad hoc oder langfristig, geht es dort nicht, wenn man sich um Kinder kümmern muss." Eine EAF-Studie über Mütter in Führungspositionen vor zwei Jahren ergab dasselbe Bild: Ob sie Vollzeit oder Teilzeit arbeiten, ist zweitrangig, weil sich der Stellenzuschnitt dadurch nicht ändert, sie dieselben Aufgaben erledigen müssen. Viel wichtiger ist die Flexibilität.

Besonders schwierig ist die Vereinbarung von Karriere und Kinder für Männer. Weniger als ein Drittel der Unternehmen erweist sich hier nach Einschätzung der befragten Väter, die Familienpflichten übernehmen wollen, als hilfreich - auch wenn die Firmen sich gerne mit familienfreundlichen Maßnahmen brüsten. Größte Bremse ist die Arbeitskultur: Wer als engagiert und leistungsfähig gelten will, bleibt lange im Büro. Dennoch, es tut sich was. Viele Unternehmen bieten ihren Führungskräften Laptops an, mit denen sie gelegentlich von zu Hause aus arbeiten können. Das ist zwar oft schwer umzusetzen, doch allein die theoretische Möglichkeit setzt ein Signal. Im nächsten Schritt kommt es darauf an, dass die Möglichkeiten genutzt werden.

Eltern müssen Firmen Lösungen vorschlagen

"Entscheidend ist, dem Unternehmen Lösungen vorzuschlagen, mit denen der Elternteil und die Organisation beide zufrieden sein können", sagt Walther. "Für die Firma ist Familienfreundlichkeit zunächst mit Mehraufwand verbunden, und sie fragt sich: Was haben wir davon? Deshalb müssen die Mitarbeiter manchmal lange bohren. Aber es lohnt sich." Denn die Studie hat gezeigt, dass Unverständnis gegenüber berufstätigen Vätern und Müttern vor allem herrschte, solange die Situation noch gar nicht eingetreten war.

Das bestätigt auch Birgit Tenhofen. "Wenn der Arbeitgeber merkt", so die Leiterin Sourcing & Development bei Siemens IT Solutions and Services, "der Mitarbeiter will wieder zurück und setzt sich in gewohnter Weise ein, dann arrangiert sich der Betrieb recht gut mit den neuen Gegebenheiten." Die 37-Jährige ist selbst Mutter von zwei Kindern, ihr Mann leitet die Controlling-Abteilung einer Klinikkette. Acht Wochen nach der Geburt ihrer Kinder saß die studierte Betriebswirtschaftlerin bereits wieder an ihrem Schreibtisch und gilt heute mitunter als Vorbild für werdende Mütter und Väter, die von ihr Rat erbitten. "Manchmal muss ich denen den Kopf waschen", so Tenhofen. "Ihre Vorstellungen - ein Jahr Babypause, mein Chef vertritt mich - sind unrealistisch." Der Vorgesetzte hat selbst eine übervolle Agenda, und nach zwölf Monaten ist er vielleicht gar nicht mehr da, um den Rückkehrer zu protegieren. "Die IT-Welt dreht sich schnell, da muss man aufpassen, seine Andockstellen nicht zu verlieren." Zumal man sonst Gefahr läuft, nach der Rückkehr an einen Chef zu geraten, der einen nicht kennt und beweisen möchte: Kinder und Karriere? Unmöglich!

Latente Skepsis der Führungskräfte

Dass er dazu einen Weg finden wird, davon ist Dagmar Schimansky-Geier überzeugt. Die Geschäftsführerin der Bonner Personalberatung 1a Zukunft weiß: Auch wenn Doppelkarrierepaare wissen, was auf sie zukommt und sie sich perfekt organisieren können - unter den Führungskräften hierzulande gibt es nach wie vor viele Skeptiker. "Das wird offen natürlich nicht ausgesprochen, aber es kommt immer wieder vor, dass Unternehmen überaus kompetente Kandidaten nicht einstellen, wenn sie Kinder haben und einen Partner in leitender Position." Die Kölner Personalberaterin ist ein großer Fan von familien- und karriereorientierten Paaren: "Das kommt den Kindern sehr zugute. Sie lernen früh, Verantwortung zu übernehmen, sie setzen sich Ziele und ziehen Dinge durch." Außerdem denken solche Führungskräfte an Kollegen in ähnlicher Lage: Sie setzen sich in ihrem Arbeitsumfeld für Familienfreundlichkeit und Chancengleichheit ein. "Und die steht Deutschland gut zu Gesicht", meint Schimansky-Geier. (hk)

Astrid Elbe, Director Development & Site Management Infineon Technologies, 36

Astrid Elbe kommt ursprünglich aus Ost-Berlin. Für sie ist es normal, dass Frauen kurz nach der Geburt eines Kindes wieder arbeiten und die Männer zu Hause mit anpacken. Die Entwicklungs-Managerin bei Infineon versteht zwar, "dass es Eltern schwerfallen kann, ihr Kind einer Tagesmutter zu übergeben. Aber was ist mit den eigenen Interessen? Ich wollte meine nicht aufgeben. Ich wollte immer Kinder und Karriere. Mein Mann auch."

Schlechtes Gewissen der Bayern

Gerade in Bayern spürt die promovierte Physikerin die andere Mentalität. Berufstätige Frauen haben, selbst wenn sie nur in Teilzeit arbeiten, häufig ein schlechtes Gewissen, und die Infrastruktur ist schwach. "Die meisten Krippen nehmen Kinder erst ab sechs Monaten und haben, wenn man denn einen Platz bekommt, nur bis 17 Uhr offen."

Für sie und ihren Mann, Leiter der Steuerabteilung bei Nokia Siemens Networks, war klar: Wir schaffen uns unser eigenes Modell. Der Familienservice hat eine Tagesmutter in der Nähe des Chipherstellers vermittelt. "Dort waren unsere beiden Jungs von acht bis 18 Uhr, wenn es sein musste, auch mal länger." Heute toben sie im unternehmenseigenen Kindergarten. "Das ist eine unglaubliche Erleichterung, ich verliere beim Hinbringen und Abholen kaum Zeit und kann sofort zur Stelle sein, wenn etwas sein sollte." Bislang kam das noch nicht vor: "Meine Kinder sind quasi immer gesund und sehr stabil." Für die 36-Jährige eine Grundvoraussetzung, dass es so rund läuft. Auch dass ihr Mann Ralf Dietzel sie unterstützt. Wenn Elbe nach 18 Uhr eine Sitzung hat, einmal pro Woche nach Augsburg muss, ab und an nach Graz, Bangalore oder Bukarest, bringt er die Kleinen in den Kindergarten und holt sie wieder ab. Danach beginnt wie jeden Abend die Familienzeit. "Wir versuchen nicht nachzuholen, was wir tagsüber versäumt haben. Wir sind einfach nur für unsere Kinder da und lassen uns von nichts und niemandem ablenken." Für Hobbys bleibt kaum Zeit. "Kinder und Karriere gehen vor." Beiden Lebensbereichen gerecht zu werden erfordert hohe Disziplin. Tauschen möchte Elbe trotzdem nicht: "Nachbarn bewundern und bedauern uns. Sie können sich so ein durchorganisiertes Leben nicht vorstellen." Im Gegensatz zu Spaniern und Franzosen, die wie Elbe ihre Kinder um 18 Uhr aus der Infineon-Kita holen.