Hannover Messe 2021 Digital Edition

KI wacht über die Tiefkühlpizza

09.04.2021
Von   
Tillmann Braun ist freier Journalist und Kommunikationsberater für non-profit Organisationen und Unternehmen. Sein Fachgebiet sind innovative IT-Lösungen für die Vernetzung von Menschen und Maschinen. Zu seinen Spezialthemen gehören intelligente (Heim-)Netzwerke, Machine-to-Machine-Kommunikation, Mobile Payment, IT-Strategien und vielfältig einsetzbare Kommunikationssysteme.
Was Jahre der Aufklärungsarbeit nicht geschafft haben, ist mit dem Coronavirus innerhalb eines Jahres möglich geworden: Alles wird digital. Das gilt auch für die Hannover Messe.
ML und KI kommen inzwischen in zahlreichen Produktionsszenarien zum Einsatz - etwa zur Kontrolle des Pizzabelags.
ML und KI kommen inzwischen in zahlreichen Produktionsszenarien zum Einsatz - etwa zur Kontrolle des Pizzabelags.
Foto: Sergey Ryzhov - shutterstock.com

Wenn die Hannover Messe dieses Jahr ihre Tore öffnet, geschieht dies ausschließlich digital. Nachdem die Veranstaltung im letzten Jahr noch hatte ausfallen müssen, setzen die Organisatoren nun erstmals komplett auf Livestreams, Online-Präsentationen, Videokonferenzen und ein neues Vernetzungs-Tool. Ganz freiwillig fand dieser Wandel nicht statt. Doch zurück zu alten Gewohnheiten wollen die Veranstalter auch zukünftig nicht. Offenbar hat man die Vorzüge der Digitalisierung erkannt und plant bereits jetzt für die Hannover Messe im nächsten Jahr ein Hybridmodell.

Einen ähnlichen Effekt erhoffen sich die Aussteller, wenn sie vom 12. bis zum 16. April ihre neuesten Produkte und Lösungen präsentieren. Auf der weltweit größten Messe für Industrie-Technologie wird die Digitalisierung im Mittelpunkt stehen - teils wegen der Corona-Pandemie, aber auch aus anderen Gründen. Die Unternehmen stehen so oder so unter Druck, ihre Produktion in ein neues Zeitalter zu holen, um mit der internationalen Konkurrenz Schritt halten zu können. Doch längst nicht jeder Betrieb tut sich leicht damit. "Produzierende Unternehmen fühlen sich schnell überfordert, wenn sie in neue Technologien investieren oder die Modernisierung ihrer Fabrik in Angriff nehmen", sagt Amazon-CTO Werner Vogels. "Daher sollten sie sich zunächst nur auf das Sammeln ihrer Daten konzentrieren", erklärt Vogels.

Mit ML und KI die Produktion optimieren

Amazon hat sein Portfolio an Cloud-basierten Lösungen in den letzten Jahren noch weiter verbreitert, unter anderem geht der Cloud-Riese mit der neuen Initiative "AWS for Industrial" speziell auf die Bedürfnisse von Industriekunden ein. Um die Integration von verschiedensten IoT-Daten in die Cloud zu vereinfachen, hat AWS den Service AWS IoT SiteWise entwickelt. So lassen sich selbst riesige Mengen an Informationen etwa aus Industrieanlagen sammeln, speichern, organisieren und überwachen.

Die integrierte Edge-Gateway-Software automatisiert den Verbindungsaufbau der jeweiligen Anlagen im Unternehmen ebenso wie das Sammeln und Organisieren der Anlagendaten und das Senden dieser Informationen an die Cloud. Industrieunternehmen können diese Gateway-Software auch auf gängigen Industrie-Gateways von Drittanbietern ausführen, um Daten mit OPC-UA, dem Interoperabilitätsstandard der OPC Foundation, auszulesen.

"AWS ist zu einem Team-Player geworden und setzt verstärkt auf Open Source", erklärt Max Hille, Senior Analyst bei Crisp Research/Cloudflight. "Unternehmen ist ihre Unabhängigkeit wichtig und sie wollen neue Technologien beherrschen. Das spiegelt sich im neuen Ansatz von Amazon wider", erklärt Hille.

Predictive Maintenance zum Nachrüsten

Unter anderem mittels Machine Learning (ML) und Künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich die gesammelten Daten dazu nutzen, Prozesse und Produktionsabläufe in Industrieunternehmen zu optimieren. Ein in der Produktion mittlerweile weit verbreitetes Einsatzgebiet dafür ist Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung. Mit Amazon Monitron bietet AWS hier eine eigene einfache Lösung für das Retrofitting an. Ältere Maschinen und Anlagen, die noch nicht über entsprechende Sensoren verfügen, lassen sich mit Monitron-Sensoren nachrüsten, um Vibrationen und Temperaturen zu erfassen. Die Sensordaten werden dann via Bluetooth (BLE) an ein spezielles Gateway gesendet und von dort aus via WLAN in die AWS-Cloud übertragen.

Dank Machine Learning kann das System nach einer Trainingsphase zwischen normalen und ungewöhnlichen Vibrationen und Temperaturen unterscheiden und so die Maschinen beziehungsweise einzelne Komponenten überwachen. Kommt es zu Abweichungen, wird eine Warnung über die App verschickt, sodass die zuständigen Mitarbeiter umgehend informiert sind und die notwendigen Maßnahmen einleiten können. Constantin Gonzalez, Principal Solutions Architect bei AWS, erklärt hierzu: "Amazon Monitron lernt ständig dazu: Kunden können über die Amazon-Monitron-App Feedback zur Genauigkeit der Warnungen eingeben, die sie erhalten. Das System nutzt dieses Feedback dann, um die gerätespezifischen Machine-Learning-Modelle besser zu trainieren."

AWS ist selbstverständlich nicht der einzige Anbieter, der auf Predictive Maintenance setzt. Die vorausschauende Wartung gehört schon seit geraumer Zeit in den IIoT-Suiten der großen Player wie Bosch, IBM, Microsoft, PTC, Siemens oder Software AG zum Standard-Repertoire. Daneben bietet beispielsweise auch der deutsche Marktführer für Notruflösungen, Telegärtner Elektronik, Predictive-Maintenance-Lösungen an, die dafür sorgen, dass Maschinen und Anlagen gewartet oder auch repariert werden, bevor es zu längeren Ausfallzeiten oder sogar Schäden kommt. Die Lösungen von Telegärtner Elektronik kommen weltweit in Aufzügen zum Einsatz, aber auch in der Industrie. Mit der TG Services GmbH sowie Siwaltec kann das Crailsheimer Unternehmen dabei auf die Dienste und Lösungen von Schwesterfirmen zugreifen, etwa für das komplette SIM-Karten-Management oder die Bereitstellung einer externen Leitstelle.

Digitale Qualitätskontrolle von Tiefkühlpizzen

Auch zur Qualitätskontrolle und für andere Bereiche in Industrieunternehmen lassen sich mittlerweile Digitallösungen einsetzen, mit denen die Prozesse schneller und zugleich zuverlässiger und produktiver ablaufen. So erkennen beispielsweise beim größten schwedischen Lebensmittelproduzenten Dafgard intelligente Kameras, ob Tiefkühlpizzen gleichmäßig belegt sind, selbst wenn diese in Sekundenbruchteilen an den Kameras vorbeisausen. Möglich sind solche Produktionsabläufe nur mit digitalen Lösungen - im Fall von Dafgard mit dem KI-Dienst Amazon Lookout for Vision. Umso wichtiger ist es, die Chancen zu kennen und zu nutzen, die in der Industrie 4.0 stecken. Welche weiteren Neuheiten es in diesem Bereich gibt, wird sich schon bald zeigen - auf der erstmals digitalen Hannover Messe. (mb)