Texas Instruments veranstaltet drittes "AI Satelliten-Symposium":

KI und traditionelle DV zur Vernunftehe verurteilt

17.04.1987

MÜNCHEN (CW) - Neue Trends der Künstlichen Intelligenz standen im Mittelpunkt des dritten

internationalen "AI Satelliten-Symposiums", das unter der Schirmherrschaft von Texas Instruments in

München stattfand. Diskutiert wurde ferner, wie es in diesem Bereich um die Investitionsbereitschaft der

Unternehmen bestellt ist und welche Einsatzmöglichkeiten bereits in der Praxis realisiert sind.

Zu der weltweiten Diskussionsrunde hatte Texas Instruments KI-Experten und -Anwender in

zwölf europäischen Städten und an diversen Übertragungsorten in den USA versammelt. Einhellige

Meinung der Fachleute: Künstliche Intelligenz und traditionelle Datenverarbeitung werden immer stärker

zusammenwachsen. Als besonders wichtiger Aspekt gilt dabei die Verknüpfung von wissensbasierten

Systemen mit Datenbank-Management-Systemen. Die Möglichkeiten der beiden oft als gegensätzlich

titulierten Welten, so die Fachleute, müßten bestmöglich ausgeschöpft und vereint werden.

Natürlichsprachliche Systeme auf dem Vormarsch

Unter dem Stichwort Integration erläuterte beispielsweise Barbara Sanders, Direktor für KI-

Systeme und Planung bei General Motors (GM), die Vorgehensweise ihres Unternehmens: Der Konzern

setze auf eine unternehmensweite Organisation zur Förderung und Koordinierung von KI-Programmen.

GM implementiere seine Expertensysteme auf der Basis früherer Erfahrungen mit anderen Disziplinen - vor

allem mit Robotersteuerungen und optischen Systemen. Deshalb habe man sich auch zu einer

Kapitalinvestition in die Teknowledge Corp. entschlossen.

Besonders fortschrittlich zeigt sich die US-Navy, wenn es um die Integration von Künstlicher

Intelligenz und konventioneller DV geht. Beim pazifischen Flottenkommando werden zwei Entwicklungen -

ein wissensbasiertes System und eine natürlichsprachliche Schnittstelle - mit einer bestehenden Datenbank,

Grafikfunktionen, Echtzeitdatenerfassung und einem Computernetzwerk verknüpft. Unter der Bezeichnung

"Force Requirements Expert Systems" (Fresh) wird dieses System eingesetzt, um signifikante

Veränderungen bei der Einsatzbereitschaft einer Flotte festzustellen sowie alternative Maßnahmen zu

bewerten und zu vergleichen.

"Wenn von Künstlicher Intelligenz die Pede ist", so kritisierte TI-Vertreter Dr. Harry Tennant,

"denken die meisten Leute nur an Expertensysteme. Inzwischen sind aber auch andere KI-Technologien

dem Laborstadium entwachsen und in einigen Einsatzbereichen kommerziell nutzbar geworden."

Besonders wichtig seien hier die Möglichkeiten, natürlichsprachliche Systeme einzusetzen. So arbeite

beispielsweise die US-Küstenwacht mit einem Produkt, das Texte verstehen kann und die von

Handelsschiffen eingehenden Meldungen lese. Kritische Daten wie Position, Geschwindigkeit oder Kurs

würden mit Hilfe dieses Systems in die Datenbank der Küstenwacht übernommen und könnten dazu

dienen, einem in Seenot geratenen Schiff schnellstmöglich Hilfe zu schicken.

Für die Verwendung von KI-Techniken im Rahmen des Rapid Prototyping sprach sich 4GL-Guru

James Martin aus: Die Veränderung der traditionellen DV-Welt schreite immer schneller voran, und dieser

Entwicklung müßten auch die in der Praxis verwendeten Systeme Rechnung tragen. Herbe Kritik übte der

Verfechter der Sprachen der vierten Generation vor allem an den DV-Praktikern: "Die Anwender betreiben

in ihrem eigenen Unternehmen fast grundsätzlich zuwenig Forschung und fördern Entwicklungsaktivitäten

nicht in ausreichender Weise."

Zu einem Round-table-Gespräch hatte Texas Instruments außerdem in Dallas amerikanische KI-

Experten an einen Tisch geholt. Von akademischer Seite vertreten waren Edward Feigenbaum, Dozent an

der kalifornischen Universität Stanford, und Roger Schank, Professor an der Yale University. Als

Repräsentanten der Industrie beteiligten sich Apple-Fellow Alan Kay, Douglas Lenat, wissenschaftlicher

Leiter des KI-Projekt bei der amerikanischen Privatinitiative MCC (Microelectronics and Computer

Technology Corporation) Herbert Schorr, Direktor der Gruppe Produkte und Technologie bei IBM, und

George Heilmeier, Senior Vice President and Chief Technical Officer von Texas Instruments.

Nach Ansicht von Yale-Professor Schank basieren viele Vorurteile gegen die Künstliche

Intelligenz auf einer falschen Interpretation des Begriffs "Artificial Intelligence". Dem Nicht-Spezialisten

werde hier eine Bedrohung suggeriert, die in der Praxis kaum in dieser Weise vorhanden sei. Schank: "Im

Prinzip sollte man all diese Produkte als dumme Systeme bezeichnen."

Künstliche Intelligenz in der Zwickmühle

Daß wissensbasierte Systeme den menschlichen Experten überflüssig machen könnten, will auch

Edward Feigenbaum nicht gelten lassen. Dies sei schon deshalb nicht möglich, weil jeder Fachmann auf

einem bestimmten Gebiet notwendigerweise über ein wesentlich breiteres Spektrum an Know-how verfüge,

als ein Expertensystem bieten könne. Ziel aller KI-Entwicklungen, so fordert Herbert Schorr, müsse es

deshalb sein, nicht den Experten zu automatisieren, sondern die Technik, die ihn unterstützt.

Durchaus kritische Stimmen gab es von seiten der nach München eingeladenen KI-Experten. Uwe

Gill, Geschäftsführer der Insiders GmbH in Mainz, beschrieb die Situation der Künstlichen Intelligenz

folgendermaßen: "Wir befinden uns zwischen den beiden Messern einer Schere. Einerseits wird überall das

Thema KI diskutiert. Auf der anderen Seite aber sehen die Leute nur die schnelle Mark, die mit dieser

Technik eventuell zu machen ist. Dadurch kommt es zu einer übersteigerten Erwartungshaltung beim

Kunden, der man mit den heutigen technischen Mitteln und Produkten noch nicht Rechnung tragen kann."

Ähnliche Erfahrungen hat auch Gerhard Barth, Professor an der Universität Stuttgart, gemacht.

Für ihn ist es ein wesentliches Kennzeichen der Informatik, daß oft zu schnell zu viel Neues gefordert

werde. Daraus resultiere dann unweigerlich Frust, bis sich das Pendel zwischen Euphorie und Ablehnung

auf ein gesundes Mittelmaß eingeschwungen habe. Sein Fazit: "KI ist eine durchaus praktisch nutzbare

Disziplin. Sie wird sich aber als Flop erweisen, wenn sie nicht in den richtigen Anwendungsbereichen zum

Einsatz kommt."