Künstliche Intelligenz in der Business-Strategie

KI bringt mehr und anderes Geschäft

21.06.2020
Von 
Prashant Kelker ist Director bei Information Services Group Germany (ISG).
Wer mit Künstlicher Intelligenz (KI) wirklichen Mehrwert erzielen möchte, kommt nicht darum herum, fünf Grundprinzipien zu beachten.

2016 war das Jahr, als sich Unternehmen erstmals ernsthaft mit den wirtschaftlichen Potenzialen Künstlicher Intelligenz beschäftigten. Ein erstes Fazit lässt sich bereits ziehen: Jeder sich wiederholende Prozess wird am Ende von KI oder Machine Learning (ML) gesteuert werden. Also die allermeisten Prozesse. Der menschliche Part hingegen wird vor allem darin bestehen, die komplexen Ausnahmen dieser Standardprozesse zu managen.

Künstliche Intelligenz und Machine Learning verfügen über das Potenzial, Wertschöpfungsketten neu zu definieren.
Künstliche Intelligenz und Machine Learning verfügen über das Potenzial, Wertschöpfungsketten neu zu definieren.
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

Für den AI- und ML-Einsatz steht heute mittlerweile eine Fülle von Technologien zur Verfügung, sowie Verfahren, diese zu implementieren. Über den wirtschaftlichen Erfolg dieser neuen Technologien entscheiden deshalb nicht mehr nur die eingesetzten Produkte und Lösungen. Vielmehr sollten Unternehmensverantwortliche vor allem fünf Faktoren beachten, wenn am Ende auch ihr Business von den eingesetzten KI- und ML-Lösungen profitieren soll.

1. Stimulieren Sie die Fantasie Ihrer Mitarbeiter

Die wahre Herausforderung bei AI und ML liegt nicht in der Technologie, sondern darin, die richtigen Anwendungsszenarien (Use Cases) zu bestimmen. Damit verbunden stellen sich Fragen wie: Wie schafft es ein Unternehmen, dass seine Mitarbeiter die Scheuklappen ablegen, mit Weitsicht und zukunftsorientiert denken sowie sich selbst in diesem Zukunftsbild wiederfinden? Was hingegen blockiert die Fantasie und Kreativität von Mitarbeitern?

Eines der größten Hindernisse sind hierarchische Strukturen, die unvermeidlich auch das Denken der Mitarbeiter prägen und ihre Sicht verengen. Wer hingegen gemeinschaftliches Vorgehen einführt und unterstützt, fördert damit auch neue Ideen, legt versteckte Talente offen und stimulierte eine Kreativität, die altes Lagerdenken hinter sich lässt und viele Hindernisse aus dem Weg räumt.

2. Nehmen Sie sich Zeit

Der Schuss geht schnell nach hinten los, wenn neuen Technologien einem Unternehmen nach Schema F und zu schnell übergestülpt werden. Zunächst geht es vielmehr darum, zusammen mit den Mitarbeitern ein Gleichgewicht herzustellen – zwischen Investitionen in KI- und ML-Technologien und den bereits bestehenden Geschäftsabläufen.

Hinzu kommt: Mitarbeiter stehen neuen Technologien viel aufgeschlossener gegenüber, wenn sie verstehen, dass diese neuen Technologien sie nicht überflüssig machen. Die Auffassung, dass KI und ML Menschen komplett ersetzen, ist ein großes Missverständnis. Vielmehr übernehmen intelligente Technologien lediglich Routineaufgaben, sodass sich die Mitarbeiter auf die komplexeren, sozusagen "menschlicheren" Aspekte ihres Jobs konzentrieren können.

Deshalb ist auch sehr wichtig, die Geschäftsprozesse durchgängig neu zu gestalten, anstatt Stückwerk zu produzieren. Denn so wird die Bedeutung des menschlichen Handelns im Kontakt von KI und ML deutlich. Denn der erfolgreiche Einsatz der neuen Technologien hängt zu einem großen Teil von jenen menschlichen Fähigkeiten ab, die sie selbst nicht besitzen: Kreativität, zwischenmenschliche Kommunikation und Empathie. Nur in dieser Kombination lassen sich neue Unternehmenswerte sowie neue Jobs und Verantwortlichkeiten schaffen.

3. Setzen Sie auf neues Produktdesign und neue Architekturen

Technologieexperten entwerfen nun schon seit Jahrzehnten deterministische Systeme. Das Design dieser Software-Produkte und -Systeme folgt dem Prinzip des klar definierten Inputs und Outputs. Heute sind Systeme dank selbstlernender Algorithmen hingegen in der Lage, selbst zu entscheiden, wie sie mit Daten umgehen.

Die Kunst besteht nicht mehr darin, Systeme mit klaren Regeln und eindeutiger Logik zu erstellen. Heutige Designer und Entwickler müssen vielmehr in der Lage sein, Systeme zu erschaffen, die mit mehr und mehr Daten gefüttert werden und dadurch immer besser lernen. Egal ob Anforderungsanalyse oder Testen – die Paradigmen der Software-Entwicklung verändern sich dadurch grundlegend und zwar unabhängig davon, ob das Vorgehen agil ist oder dem alten Wasserfallmodell folgt.

Dadurch verändern sich auch ERP-(Enterprise Resource Planning-)Systeme. Datenarchitekturen treten in den Vordergrund. Individualisierte Standardsoftware, welche die Prozesse eines Unternehmens modelliert, ist hingegen nicht weiter erforderlich. KI, ergänzt um ständig neu erstellte Apps, wird ERP-Systeme sozusagen zu "Betriebsmaschinen" machen. Wenn Unternehmen ihre Geschäftsprozesse verändern, um von neuen Geschäftsmodellen und neuen Märkten zu profitieren, benötigen sie solche intelligenten Technologien, um ihre ERP-Migration möglichst reibungslos zu gestalten.

4. Finden und halten Sie passende Partner

Auch die Zusammenarbeit mit Zulieferern und Technologie-Plattformen wandelt sich im Zeitalter der nicht-deterministischen Systeme grundlegend. Unternehmen werden ein Stück weit abhängiger von den Angeboten ihrer Anbieter, da diese nun die KI-Lösungen als integralen Bestandteil enthalten. Die Frage ist dadurch nicht mehr, welcher Provider die beste Qualität bietet, sondern ob ein Anbieter die angebotene KI ethisch und kompetent im Rahmen eines Geschäftsprozesses betreiben kann.

KI-Start-ups gibt es mittlerweile wie Sand am Meer – die meisten mit einem sehr speziellen Fokus, einem Mangel an Kapital und kaum Zugang zu den Märkten von Großkunden. Dies eröffnet den Beschaffungsabteilungen die große Chance, passende Partner für langfristige Beziehungen zu finden, wenn sie die damit verbundene notwendige Recherche und Evaluation betreiben. Gleichzeitig dürfen sie dabei nicht vergessen, dass solche Partnerschaften auf Verträgen basieren, die eine gemeinsame Kreation, ein Teilen sowohl des Erfolges als auch des geistigen Eigentums beinhalten.

5. Setzen Sie KI als Geschäftstreiber ein

Während sich die Einsatzfelder für KI gerade exponentiell vermehren, können Unternehmen beim Thema KI nicht länger zögern, um dann noch rechtzeitig auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Beim Einstieg kommt es sehr darauf an, in welcher Branche und welchem Marktumfeld sich das jeweilige Unternehmen befindet. Dabei lösen sich lange gültige Grenzen auf.

So wandeln Industriefertiger auf den Spuren von Finanzdiensteistern oder Handelsunternehmen, indem sie KI-Werkzeuge für das Marketing einsetzen. Umgekehrt folgen Versicherungen Paradigmen aus der Industrie, indem sie zum Beispiel mithilfe von "Digital Twins" die Risiken der von ihnen versicherten Güter bewerten.

Insofern sollte KI nicht nur als ein Mittel betrachtet werden, mit dem sich der Betrieb optimieren lässt. Unternehmen sollten vielmehr darüber nachdenken, wie KI zu völlig neuen Formen der Umsatzgenerierung führt. KI und ML verfügen über das Potenzial, Wertschöpfungsketten neu zu definieren – und zwar weltweit. Heutige Marktführer können KI dafür einsetzen, ihre Position weiter zu festigen, während Herausforderer KI nutzen können, um sich angesichts auflösender Wertschöpfungsketten neu zu positionieren.

Das passende Mitarbeiter-Know-how, der Einsatz neuer Technologien, das Re-Design des eigenen Geschäfts und das Schmieden neuer Partnerschaften sind die Schlüssel für Akzeptanz und Erfolg von KI als fester Bestandteil der Business-Strategie. Das ist keine leichte Aufgabe. Zu oft bleibt zunächst unklar, welchen Mehrwert die neuen Technologien bringen. Deshalb gilt es auf Basis von Daten und Algorithmen immer wieder durchzurechnen, ob sich die verfolgten Produktideen und getätigten Investitionen auch wirklich lohnen.